Mittwoch, 15. Juli 2009

Selbeck schießt den Vogel ab



Am kommenden Wochenende feiert Selbeck sein Schützenfest. Ich sprach aus diesem Grunde mit Brudermeister (Vorsitzende) der gastgebenden St. Sebastianus Schützenbruderschaft, Wolfgang Thieme, warum diese Tradition in seinen Augen auch 108 Jahre nach der Gründung noch zeitgemäß ist und wie seine Schützenbrüder und er die kontroverse Diskussion über Waffenbesitz und Schießsport nach den Amokläufen von Erfurt und Winnenden reflektiert haben.


Was war Ihre Motivation, der Schützenbruderschaft beizutreten?


Ich bin seit 1990 dabei. Ursprünglich wollte ich gar nicht beitreten, weil ich mir gesagt habe: Diese Vereinsmeierei macht mir keinen Spaß. Nachdem ich mich dann aber doch dazu überreden ließ, habe ich mich nachträglich darüber geärgert, dass ich nicht schon viel früher eingetreten war. Was mir am Vereinsleben gefällt, ist nicht nur die Geselligkeit, sondern auch der Umstand, dass bei uns jeder für den anderen einsteht, wenn mal was ist. Anfangs stand für mich aber auch der sportliche Gedanke und die Möglichkeit, an Meisterschaften teilzunehmen, im Vordergrund. Letzteres ist allerdings in den Hintergrund getreten, nachdem ich 1997 die Führung des Vereins übernommen habe.

Die Sportschützen gerieten nach den Amokläufen von Erfurt und Winnenden ins Kreuzfeuer der Kritik. Wie ging und geht man bei Ihnen damit um?


Natürlich habe wir über diese Ereignisse auch diskutiert. Doch das, was in Winnenden passiert ist, wäre nach meiner Meinung auch durch Gesetze nicht zu verhindern gewesen. Denn es gibt leider immer mal wieder einen Deppen, der seine Waffe liegen lässt und dann kommt man da dran. Da hätte ich auch Verständnis für, wenn der Gesetzgeber versucht, die Waffenkontrollen besser umzusetzen. Denn sich anzukündigen und zu sagen; Ich komme mal in einer Woche vorbei und gucke, ob du deine Waffen auch im Waffenschrank verschlossen hast, ist natürlich schwachsinnig. Dann wird jeder seine Waffen gut verschlossen haben.
Was wurde in Ihrem Verein nach Erfurt und Winnenden anders?
Uns ist das Leben schon nach Erfurt sehr schwer gemacht worden. Die Richtlinien für Schießstände sind wesentlich verschärft worden. Wenn jemand heute bei uns ein Kleinkalibergewehr beantragt, muss er nachweisen können, mindestens ein Jahr lang an einem offiziellen Schießstand geschossen und unterrichtet worden zu sein, was in sogenannten Schießkladden dokumentiert wird. In den Verein einzutreten und mal eben eine Waffe zu beantragen, das funktioniert nicht. Bei uns bekommt niemand eine Waffenbesitzkarte, der nicht regelmäßig für den Verein und bei Turnieren schießt. Nach Erfurt bin auch ich einmal von der Stadt angeschrieben worden und die Polizei wollte meinen tresorartigen Waffenschrank sehen, in dem ich meine Waffen gelagert habe. Außerdem müssen wir der Polizei jeden melden, der aus unserem Verein ausgetreten ist, damit seine Berechtigung, eine Waffe zu besitzen, überprüft werden kann.


Braucht man ein polizeiliches oder psychologisches Führungszeugnis, um bei Ihnen eine Waffe beantragen zu können?


Das ist mir nicht bekannt. Als ich meine Waffenbesitzkarte beantragt habe, ist so etwas nicht verlangt worden. Aber wenn ich unbedingt an eine Waffe herankommen will, dann brauche ich dafür keinen Schützenverein. Die kann ich mir auch irgendwo am Bahnhof besorgen. Der Schützenverein ist nicht der Kern des Problems. Hinzu kommt, dass die, die bei uns eine Waffenbestzkarte bekommen, keine Fremden sind. Wir kennen sie über längere Zeit und wissen, wie sie sich am Schießstand verhalten. Wenn jemand bei mir eine Waffenbesitzkarte beantragen würde, der zwar volljährig ist, von dem ich aber den Eindruck hätte: Der hat nicht die nötige Reife dafür, dann würde er auch keine Karte bekommen. Der Kreis unserer Sportschützen ist sehr überschaubar. Und bei diesem Personen kreis bin ich mir ziemlich sicher, dass da nichts passiert.


Wo liegen die Wurzeln der Selbecker St. Sebastianus Schützenbruderschaft?


Im Gründungsjahr 1901 ließ man sich von den damals bereits bestehenden Schützenvereinen der umliegenden Orte inspirieren und sagte sich: So etwas wollen wir hier auch haben. Dabei ging es ursprünglich weniger ums Schießen, sondern, wie der Name sagt, um das Beschützen der Leute. Und unser Name St. Sebastianus Schützenbruderschaft verweist auf den Schutzheiligen der Schützen. Bis in die 60er Jahre hinein konnten nur katholische Christen Mitglied werden. Seitdem haben wir uns auch für evangelische Christen geöffnet. Man muss einer christlichen Kirche angehören, um unser Schützenbruder werden zu können.
Ist eine Schützenbruderschaft heute zeitgemäß?
Wenn wir nicht zeitgemäß wären, hätten wir bald keine Mitglieder mehr. Und dann wäre es bald zu Ende. Doch wir haben in den letzten Jahren konstant etwa 120 Schützenbrüder, davon etwa 30 Jungschützen. Auch wenn jemand mal wegzieht oder verstirbt, kommt immer von unten Nachwuchs nach, dem wir nicht nur Schießabende, sondern auch Ausflüge und andere Aktivitäten anbieten. Also kann das, was wir machen, nicht ganz so falsch sein. Natürlich ist der Zustrom auch nicht mehr so groß, wie noch vor 20 Jahren. Doch das liegt daran, dass das Freizeitangebot in den letzten Jahren geradezu explodiert ist. Doch damit haben alle Vereine zu kämpfen.

Ist es schwer, Schützenkönige zu finden? Das ist doch eine teure Angelegenheit.


Abgesehen von den Kriegsjahren hatten wir immer Schützenkönige. Vor 20 oder 30 Jahren hat man vielleicht mit fünf oder zehn Leuten auf den Rumpf geschossen. In den letzten fünf Jahren haben wir mit jeweils drei oder vier Leuten geschossen. Schützenkönige werden vom Verein unterstützt, müssen aber auch eigene Mittel dazu buttern. Es ist schwer. Ein Schützenkönig muss ein ganzes Jahr präsent sein. Er muss andere Vereine besuchen. Er muss seine Ehrendamen einkleiden und mit Blumen ausstatten und natürlich auch die eine oder andere Runde spendieren. Es wird nicht einfacher, Schützenkönige zu gewinnen.

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