Mittwoch, 7. April 2010

"Da liegt ein enormes Potenzial brach" oder: Andreas Düsing - Ein Mann will arbeiten


Die wollen doch gar nicht arbeiten und machen es sich auf unsere Kosten in der sozialen Hängematte bequem.“ Diese Vorurteile über Langzeitarbeitslose kann man an Stammtischen immer wieder hören. Andreas Düsing ist ein Beispiel dafür, dass diese Parolen mit der sozialen Wirklichkeit in der Regel nichts zu tun haben.Der 49-Jährige sucht Arbeit, weil er arbeiten will und arbeiten kann. Das hat er jetzt bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) bewiesen. Die Awo gab dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger eine Chance, die er genutzt hat.


Finanziell gefördert durch die Sozialagentur stellte sie ihn für ein Jahr ein, um sich von ihm eine Festschrift zum 90-jährigen Bestehen des Sozialverbandes erstellen zu lassen. Das war für den gelernten Buchhändler und studierten Sozialwissenschaftler die richtige Aufgabe, deren Ergebnis sich auf 90 Seiten nachlesen und sehen lassen kann.Historische, politische und soziale Fakten zusammenzutragen, zu ordnen und in einer gegliederten Form schriftlich darzustellen, hat Düsing in seinem Studium gelernt, das er 1992 mit einem Diplom abschloss. „Ich habe sehr viel über die Mülheimer Sozialgeschichte gelernt und war immer wieder überrascht, wie eng Awo und Stadt miteinander verbunden waren“, erinnert sich Düsing an seine Archivrecherchen, bei denen er nicht nur unzählige Vorstandsprotokolle, Schriftwechsel und Akten, sondern auch Zeitungsbände ausgewertet hat. Dabei fand er heraus, dass auch die guten alten Zeiten in Mülheim alles andere als gut waren, so dass die Awo bereits während der 20er Jahre in der Jugendgerichtshilfe gefordert war und am Kohlenkamp eine Armenküche betreiben musste.Als Düsing den beiden Awo-Geschäftsführern Adelheid Zwilling und Lothar Fink sein Manuskript präsentierte, waren sie voll des Lobes: „Toll, dass wir Sie haben.“ Auch das Lob von anderer Seite blieb nach dem Erscheinen der Chronik nicht aus.


Von dieser Anerkennung zehrt Düsing noch heute. „Ich habe jetzt etwas, das ich vorzeigen kann und mit dem ich beweisen kann, dass bei meiner Arbeit etwas herausgekommen ist“, freut sich Düsing.Auch wenn der Awo-Job auf Zeit das Thema Arbeitslosigkeit für den 49-jährigen Dümptener nicht erledigt hat, ist er dankbar für diese Chance. Wichtiger als die Tatsache, dass er mit seiner Arbeit mehr Geld bekam als im Arbeitslosengeld-II-Bezug war und ist ihm das Gefühl „wieder im Spiel zu sein.“Seine Augen leuchten, wenn er das sagt. Und er konkretisiert dieses Gefühl, wenn er hinzufügt: „Der Tag hat wieder Struktur. Man steht morgens früh auf und fährt mit der Straßenbahn irgendwo hin.“ Und Awo-Chef Fink hat bei Düsing „ein echtes Aha-Erlebnis gehabt“, hat an ihm gesehen, wie ein Mensch mit seiner Arbeit wächst, „plötzlich ganz anders auftritt, selbstbewusster wird und viel sicherer spricht.“ Doch er merkt auch, wie ihn die erneute Aussicht auf das Arbeitslosengeld II „seelisch belastet.“ Denn Düsings Tage bei der Awo sind gezählt. Dabei könnte ihn Fink gut gebrauchen. Düsing hat bei der Awo nicht nur die Chronik erstellt.


Er hat in der Telefonzentrale ausgeholfen, das Archiv der Awo auf Vordermann gebracht, einen täglichen Pressespiegel zusammengestellt und Recherchedienste für die Geschäftsführung übernommen. Doch Fink fehlt das Geld für eine entsprechende Stelle, die er dem qualifizierten Mitarbeiter gerne anbieten würde. „Damit gehen sie abends nach Hause“, beschreibt er seinen eigenen Zwiespalt. Und Düsing macht keinen Hehl daraus, dass gerne bei der Awo bliebe. „Ich habe finanziell keine hohen Ansprüche. Außerdem wird hier eine sinnvolle Arbeit geleistet, zu der ich auch persönlich einen Bezug habe. Und die Kollegen haben es mir einfach gemacht, mich hier einzubringen und mich wohlzufühlen“, beschreibt Düsing seine Arbeit bei der Awo, die ihm nicht nur Geld und Anerkennung, sondern auch „ein bisschen Optimismus“ gebracht hat. Letzteren braucht der Vater einer 16-jährigen Tochter für seinen erneuten Bewerbungsmarathon, den er mit Unterstützung seiner Fallmanagerin bei der Sozialagentur nun wieder absolvieren muss. „Der Arbeitsmarkt ruft nicht gerade hier“, weiß Düsing. Am liebsten würde er weiter bei einem Sozialverband, in einem Archiv, bei einer Buchhandlung oder in einer Bibliothek arbeiten, kann sich darüber hinaus beruflich „aber grundsätzlich fast alles vorstellen.“Warum tut sich ein so qualifizierter und motivierter Mann wie er so schwer, Arbeit zu finden? „Ich bin in die typische Frauenfalle getappt“, sagt er.


Weil seine Frau, von der er inzwischen geschieden ist, besser als er verdiente, stieg er nach der Geburt seiner Tochter aus dem Job aus und kümmerte sich als Vater und Hausmann um die Familie. Eine Erfahrung, die er nicht missen möchte. Doch diese Auszeit wird ihm heute als „fehlende Berufserfahrung“ angekreidet.„Leider sind nur wenige Arbeitgeber bereit so wie die Awo, sich Leute anzuschauen, um sie auszuprobieren“, bedauert Düsing. Er wünscht sich deshalb einen mit Steuergeldern finanzierten zweiten Arbeitsmarkt mit sozial sinnvollen Tätigkeiten, auf dem Langzeitarbeitslose wieder eine Chance bekommen. Denn angesichts ihrer großen Zahl glaubt er, „dass hier ein enormes Potenzial brach liegt.“


Dieser Text erschien am 7. April 2010 in der NRZ

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