Freitag, 11. Juni 2010

Hauptschüler haben eine Chance: Zum Beispiel im Handwerk


Mit einem Hauptschulabschluss braucht man sich doch heute nirgendwo mehr zu bewerben.“ Diesen Satz bekommt man immer wieder von Eltern zu hören, die ihr Kind für das Abitur trimmen, koste es, was es wolle.


Dass Hauptschüler keine Chance, aus dem Ausbildungsmarkt haben, kann Kevin Rogowski nicht bestätigen. Der 17-Jährige hat im vergangenen Jahr an der Gemeinschaftshauptschule Dümpten seinen Abschluss gemacht und wird jetzt im Betrieb von KFZ-Meister Karl-Josef Robert zum KFZ-Mechatroniker ausgebildet.Dass das KFZ-Handwerk für ihn eine Berufsperspektive sein könnte, war Kevin schon mit elf Jahren klar, als er am Nürburgring Mechaniker bei ihrer Arbeit an der Rennstrecke beobachtete. Das Rennen um einen Ausbildungsplatz gewann Kevin auch deshalb, weil ihn sein Lehrherr schon während eines Block- und eines Langzeitpraktikums kennen lernen konnte.„Ohne das Praktikum wäre ich heute vielleicht nicht hier“, sagt Kevin. Und mit Blick auf seinen Meister meint er: „Während der Praktika hat er mich erlebt, wie ich im persönlichen Umgang bin. Er hat gemerkt, dass ich pünktlich, höflich und zuverlässig bin. Jetzt erlebt er, dass ich auch mit meinem Kopf bei der Sache bin. Und im kommenden Lehrjahr will er herausfinden, was aus mir werden kann.“


KFZ-Meister Robert (59) schätzt, dass rund 80 Prozent der jungen Leute, die er im Laufe seines 45-jährigen Berufslebens ausgebildet hat, von der Hauptschule zu ihm gekommen sind. „Ich habe durchweg gute Erfahrungen gemacht“, sagt Robert, auch wenn er einschränkt, dass ihm auch schlechte Erfahrungen nicht erspart geblieben sind. „Er hat sich wirklich angestrengt und Gas gegeben. Er passt gut in unseren Betrieb“, lobt Robert seinen Lehrling von der Gemeinschaftshauptschule Dümpten. Denn trotz einer positiven Praktikumserfahrung hätte er Kevin keine Chance gegeben, wenn der nicht noch einmal an seinen Noten gearbeitet hätte. Einen mittleren Notendurchschnitt sollten Bewerber aus Roberts Sicht schon mitbringen.


Neben den Noten, etwa in Deutsch, Mathematik, Physik und Arbeitslehre, da sind sich Robert und sein Dümptener Meister-Kollege Bernd Landsmann aus dem Parkettlegerhandwerk einig, sind es vor allem die vermeintlichen Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Fleiß, Ordnung, Sauberkeit und Höflichkeit, die sie während eines Praktikums kennen lernen wollen, ehe sie einen Ausbildungsbewerber einstellen.„In den letzten fünf Jahren habe ich niemanden mehr eingestellt, den ich nicht vorher im Praktikum getestet habe“, sagt Landsmann und schätzt, dass rund 95 Prozent seiner Lehrlinge von der Hauptschule kommen. Einer von ihnen ist Kevins gleichaltriger ehemaliger Mitschüler Dustin Kloster.


Vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen sagt der 17-Jährige: „Ohne mein Praktikum bei Herrn Landsmann wäre ich vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen, mich um eine Ausbildung im Parkettverlegerhandwerk zu bewerben. Weil ich sowohl bei Landsmann als auch im Einzelhandel ein Praktikum absolviert habe, habe ich herausgefunden, wie abwechslungsreich die Arbeit mit Holz sein kann und dass sie für mich viel interessanter war als die Tätigkeit im Einzelhandel. Deshalb würde ich immer zum Praktikum raten, damit man nicht im falschen Beruf landet, aus dem man dann nicht so schnell herauskommt.“ Seine grundsätzlichen Erfahrungen als Lehrherr beschreibt Meister Landsmann als „gemischt“. Obwohl er und Robert den Hauptschullehrern bescheinigen, dass sie sich mehr denn je „reinhängen“, damit ihre Schüler eine Lehrstelle bekommen, hat Landsmann gerade mit Blick auf das Sozialverhalten der Bewerber den Eindruck, „dass die Qualität in den letzten 25 Jahren nachgelassen hat.“


Da sieht er nicht nur die Schulen, sondern auch die Elternhäuser in der Pflicht.In der Pflicht sieht KFZ-Meister Robert aber auch die Unternehmen. Junge Leute auszubilden ist für ihn eine Frage der sozialen Verantwortung für die nächste Generation. Aber er macht auch keinen Hehl daraus, dass es ihm Spaß macht, sein Wissen weiterzugeben. Dabei liegen Fördern und Fordern eng beieinander: „Wir sind drei Leute im Betrieb. Wir sind wie eine Familie. Da muss jeder nach seinen Möglichkeiten mitarbeiten“, betont Robert. Er glaubt, dass junge Leute in einem kleinen Allround-Betrieb mehr lernen können als in großen Werken mit spezialisierten Abteilungen.


Die beiden Hauptschulrektorinnen Ulrike Nixdorff (Dümpten) und Gabriele Klar (Bruchstraße) bestätigen auf Anfrage, dass sich ihre engen Kontakte und ein ausgeklügeltes System aus Praktika und Berufsvorbereitung bewährt haben, sehr viele davon im Handwerk. 30 bis 45 Prozent ihrer diesjährigen Absolventen haben bereits jetzt einen Ausbildungsplatz in der Tasche.Der Dümptener Parkettlegermeister Landsmann macht denn auch deutlich, dass er das dreigliedrige Schulsystem mit der praktischen Talentförderung in den Haupt- und Realschulen sowie der Hochbegabtenförderung an den Gymnasien auf keinen Fall missen möchte.


Dieser Text erschien am 9. Juni 2010 in der NRZ

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