Samstag, 5. Februar 2011

Ein Blick über den Tellerrand nach Lateinamerika: Ein Interview mit dem brasilianischen Bischof Alfredo Schaffler



Der langjährige Weihbischof und ehemalige Vorsitzende von Adveniat, Franz Grave, nutzt seinen geistlichen Ruhestand als Seelsorger in der Mülheimer Pfarrgemeinde St. Mariae Geburt. Doch seine langjährige Bindung zu Lateinamerika, das er auch aus eigener Anschauung kennt, hat der 78-jährige Theologe nicht verloren und deshalb im Dezember 2010 den brasilianischen Bischof Alfredo Schaffler (Foto) zu einer Lateinamerika-Woche ins Ruhrbistum eingeladen. Bei einem Einkehrtag in der Mülheimer Pfarrgemeinde St. Mariae Geburt suchten Priester und Laien das Gespräch mit Schaffler, um Impulse für die eigene Gemeindearbeit zu bekommen. Für Die Tagesspost traf den brasilianischen Bischof bei dieser Gelegenheit zu einem Interview und lernte einen Gottesmann kennen, der uns nicht über Lateinamerika viel zu sagen hat.


Wie wird man als Österreicher Bischof in Brasilien?
Ich bin durch das Fernsehen in Brasilien gelandet. Man sieht: Das Fernsehen hat auch seine guten Seiten. Dort habe ich während des Zweiten Vatikanischen Konzils einen brasilianischen Bischof gesehen und sprechen gehört, der mit 16 aus Österreich nach Brasilien gegangen- und dort Priester geworden war. Das hat mich damals aus meiner europäischen Ruhe gebracht. Das war der Grund, warum ich mein Leben umgekrempelt und neu angefangen habe. So wurde auch ich nach meinem Studium Priester in Brasilien und später Bischof.


Was nehmen Sie von Ihrem Besuch im Ruhrbistum mit nach Brasilien?
Dankbarkeit, Freude und die Überzeugung, dass die Welt zu einem globalen Dorf geworden ist, in dem wir enger zusammenrücken müssen, in dem wir aber auch voneinander lernen und geschwisterlich zusammenleben können, wenn wir aufeinander hören.


Was haben Sie hier selbst gelernt?
Es gibt soviel positives in Deutschland, was in Jahrhunderten christlicher Verkündigung gewachsen ist und sich heute als Grundgedanke in der Wirtschaft, in der Politik oder in der Schule wiederfindet. Ich habe aber auch viele engagierte Gemeindemitglieder kennengelernt, die sich einbringen, weil sie erkannt haben, dass die Kirche nicht nur aus Priestern besteht und das wir alle als Gläubige in einem Schiff stehen, jeder an seinem Platz.


Aber ohne Priester funktioniert Kirche auch nicht und wir haben hier im Gegensatz zu Brasilien einen Priestermangel.

Das Priester fehlen ist sicher auch ein Zeichen Gottes. Er will uns vielleicht dahin führen, dass wir wieder stärker von der Taufe ausgehen, damit jeder Gläubige seinen Beitrag dazu leistet, dass die Kirche immer wieder eine lebendige und fußwaschende Kirche ist, die als Zeichen der Hoffnung für die Menschen wahrgenommen wird, in dem wir durch die Kirche immer wieder neu lernen, dass wir geschwisterlich in einer Welt zusammenleben können.

Was kann die katholische Kirche in Brasilien und Lateinamerika von der Kirche in Deutschland lernen und umgekehrt?
Es steht mir nicht zu, zu sagen, was die deutsche Kirche von uns lernen kann. Aber was wir von der Kirche in Deutschland lernen können, das sind viele Elemente. Ich denke zum Beispiel an die gute Organisation, die man hier hat. Wir können hier von der Gründlichkeit lernen, mit der man zu einer Sache steht und sie überzeugend weiterführt. Aber wir können auch von der Offenheit der Menschen für unsere Welt lernen. Wie viele Menschen hier haben im Laufe der Jahrzehnte gelernt, über Grenzen zu sehen und Horizonte zu erkennen. Als Mitglied der Bischofskonferenz Brasiliens kann ich nur dankbar sein. Denn was wäre unsere Kirche in Brasilien und in Lateinamerika ohne das Dahinterstehen der vielen Katholiken Deutschlands, durch Adveniat, Miserior oder andere Aktionen. Wir wären sicher nicht die Kirche, die wir heute sind. Wir sind sicher nicht nur eine heilige, sondern auch eine sündige Kirche. Aber wir haben sicher viele Zeichen der Heiligkeit, der Hoffnung und der Veränderung setzen können, weil wir aus dem Hintergrund durch die Aktion Adveniat in 50 Jahren viel Hilfe erfahren haben. Dafür empfinden wir tiefe Dankbarkeit. Und das war auch ein Grund für mich, der Einladung zu folgen, um Danke zu sagen. Das ist eine Brücke, die geschlagen worden ist. Aber eine Brücke wird nur durch Pfeiler getragen. Und so ein Pfeiler ist Franz Grave. Solche Pfeiler sind aber auch die beiden Priester aus dem Ruhrbistum, die heute in meiner Diözese durch ihren überzeugenden Einsatz segensreich wirken.


Sie haben bei Ihrem Besuch aber auch mit Erfolg um finanzielle Unterstützung für den Zisternenbaum in Ihrem Bistum geworben. Warum?
Wir leben in einer ausgesprochenen Trockenzone, in der es sechs Monate im Jahr nicht regnet und in der die Menschen nicht einfach den Wasserhahn aufdrehen können, um Wasser zu trinken. Was ist aber Leben. Also bauen wir Zisternen, mit denen wir Regenwasser auffangen können, damit Familien in den Trockenmonaten Regenwasser haben, das sie nutzen können, um zu waschen, zu trinken und zu kochen. Für 400 Euro kann man schon eine Zisterne bauen, die etwa 15.000 Liter Regenwasser auffängt. Dass bedeutet, dass die Leute die Trockenzeit überstehen und nicht in die Städte abziehen oder sogar ihr Land verlassen müssen. Sie können bleiben, um ihre Kinder großzuziehen und ihr Land zu bestellen. Das bedeutet Leben. Natürlich haben wir auch Sozialzentren, in denen wir Kinder aufnehmen, deren Zuhause die Straße ist, in denen wir Näh- oder Kochkurse geben und den Leuten zum Beispiel zeigen, wie man einen Gemüsegarten anlegt. Denn was man mit der einen Hand empfängt, das muss man mit der anderen Hand weitergeben, um den Menschen Hoffnung zu geben.


Wie beurteilen Sie als katholischer Bischof das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Brasilien des jetzt aus seinem Amt geschiedenen sozialistischen Präsidenten Lula?
Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist ein relativ friedvolles. Man sucht den Dialog und die Bischofskonferenz wird mit viel Respekt vom Präsidenten angehört. Aber leider bleibt es dann oft auch dabei und geht nicht in die Realität hinein.

Zuletzt machten menschenunwürdige Verhältnisse in Brasilien Gefängnissen Schlagzeilen. Wie ist es um die Menschenrechte in Brasilien bestellt?
Ich war vor zehn Monaten in einer Haftanstalt. Da saßen 158 Männer ein. Von denen waren 60 Prozent jünger als 25 und nur 30 rechtskräftig verurteilt. Die anderen warteten auf ihren Prozess. Das kann oft Jahre dauern, auch wenn die Menschen unschuldig sind. So verlieren auch unschuldige Menschen oft zwei oder drei Jahre ihres Lebens, in denen sie nichts positives für ihr Leben lernen können. Das ist gegen die Menschenrechte. Und diesbezüglich sehen wir bei der amtierenden Regierung nicht viele Fortschritte, weil es an Grundwerten fehlt. Ich meine damit Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Wir haben leider sehr viel Betrug und Korruption. Und Lüge wird oft solange erzählt, bis sie als Wahrheit verkauft wird.


Was erwarten Sie von der Nachfolgerin Lulas, Dilma Rousseff?
Als Kirche müssen wir immer eine hoffende Kirche sein, um Hoffnung zu schenken. Und so hoffen wir, dass sie als Frau vielleicht eine größere Sensibilität hat, um ihre Mitarbeiter zum Handeln zu bringen, damit es zum Beispiel im Gesundheitssystem besser wird. Das was auf dem Papier steht, muss auch umgesetzt werden, nämlich, dass auch der arme Mensch die Möglichkeit hat, eine medizinische Behandlung zu bekommen, dass sich das Schulwesen verbessert und wir weniger Analphabeten haben. Das wir weniger Korruption haben und das mit mehr Ehrlichkeit gewirtschaftet wird und es weniger Unterschlagung gibt. Das erwarten wir.

Wie versucht die katholische Kirche in Lateinamerika auf die Herausforderung durch die evangelikalen Sekten zu reagieren?
Die fünfte lateinamerikanische Bischofskonferenz hat einen Impuls gegeben, damit wir wieder etwas mehr zu einer missionarischen Kirche werden. Wir dürfen uns nicht an Kirche gewöhnen. Denn wenn man sich an etwas gewöhnt, besteht die Gefahr, dass man schläft. Und die Kirche darf nicht schlafen. Die Evangelisierung war bei uns oft oberflächlich. Das Herz des Brasilianers gehört Jesus Christus, aber der Kopf dem, der als erster kommt und das waren nicht immer wir, weil wir nicht immer mit missionarischem Elan ausgezogen sind. Wir haben in Brasilien aber auch eine Verfassung, die allen Religionsgemeinschaften Steuerfreiheit gewährt, aber nicht genau definiert, was eine Religionsgemeinschaft ist. Und so kann jeder an der nächsten Straßenecke die Kirche von den blauen Augen Gottes aufmachen, um seine Steuern hinterrücks zu verstecken. Denn die meisten Sekten sind ein rein finanzielles Unternehmen und dem können wir nur entgegenwirken, in dem wir wieder stärker eine missionarische Kirche werden.

Wie beurteilen Sie die Lage der katholischen Kirche in lateinamerikanischen Ländern, die wie Venezuela, von einem neosozialistischen Regime regiert werden und in denen es eine Frontstellung zwischen Kirche und Regierung gibt?
In Brasilien haben wir jetzt nach sehr vielen Jahren ein Konkordat, in dem das juristische Verhältnis von Kirche und Start definiert ist. Was wir auf der lateinamerikanischen Ebene hören, von Leuten, die dort her kommen, so ist die wirtschaftliche Lage in Venezuela sehr schlecht und die Armut groß. Das ist ein sozialistisches System, in dem Präsident Chavez oft mit Schikanen und Gewalt das existierende Konkordat mit Füßen tritt. Das ist zwar ein internationales Abkommen, aber er macht das auch mit anderen Ländern. Für uns ist das natürlich eine Sorge, so einen Mann an der Regierung zu haben, der um Anhänger wirbt, aber auch nicht so viele Anhänger hat. Da sind wir als Kirche näher dran an den Menschen, weil man merkt: Da wird zwar viel gesprochen, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Für die Kirche ist das eine schwierige Situation. Denn es gibt so gut wie keine Opposition. Alle Nachrichten werden kontrolliert. Die Demokratie wird mit Füßen getreten. Denn zur Demokratie gehört Meinungsfreiheit und die wird nicht angenommen. Und diesbezüglich hat es natürlich auch gewisse Tendenzen in Brasilien. Die zukünftige Präsidentin hat jetzt gesagt: Der Lärm auf der Straße ist besser als das Schweigen in der Diktatur. Sie hat ja selbst unter einer Diktatur gelitten. Wir hoffen, dass sie ihr Wort auch durchhält. Aber es gibt gewisse Tendenzen bei uns, dass man die Meinungsfreiheit beschneiden und das Nachrichtenwesen kontrollieren will. Das macht uns Sorge.


Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht der Alternative Nobelpreis für Ihren brasilianischen Bischofskollegen aus der Diözese Xingu, Erwin Kräutler, der sich ja für den Erhalt der tropischen Regenwälder und die Rechte der Indios einsetzt?
Dieser Preis ist für ihn wichtig, damit sein Wort vielleicht etwas mehr gehört wird. Konkret: Denn man versucht in seiner Gegend ein riesiges Stauwerk aufzubauen. Das wird jetzt gemacht, obwohl ihm der Präsident versprochen hat, dass es nicht gemacht wird. Die Folge: Es werden da 30.000 Menschen durch das Wasser aus ihren Häusern vertrieben. Und da ist kein Plan vorhanden, was mit diesen Leuten geschehen soll. Da stellt er sich hin und fragt: Kann man da zu stimmen? Das hat er auf friedliche Weise getan. Die Firmen, die diesen Bau machen und daran interessiert sind, sehen ihn natürlich nicht gerne. Er muss mit Polizeibewachung gehen. Man muss bedenken. In den Überschwemmungsgebieten leben Indianerstämme, für die es wichtig ist, dort zu leben, wo ihre Ahnen begraben sind. Würden sie von ihrem Land vertrieben, käme das in ihrem Bewusstsein einer Ausrottung ihres Stammes gleicht. Und dagegen erhebt sich der Bischof Kräutler. Aber leider wird er trotz aller Versprechungen bei den öffentlichen Stellen Brasiliens nicht immer gehört.


Zur Person: Alfredo Schaffler wurde 1941 im österreichischen Waldhofen geboren und ist damit ein Landsmann seines ebenfalls aus Österreich stammenden brasilianischen Bischofskollegen Erwin Kräutler, der jetzt für seinen Einsatz für die Rechte der Indios und den Erhalt der tropischen Regenwälder mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden ist.
Nach seinem Hauptschulabschluss ging Schaffler 1955 nach Wien, um dort der Kongregation der christlichen Schulbrüder beizutreten. Von 1963 bis 1966 arbeitete er als Religionslehrer und Erzieher in Feldkirch. Danach entschloss er sich Österreich zu verlassen, um als Priester in Brasilien zu arbeiten. Nach seiner Weihe 1966 war er zunächst im brasilianischen Bistum Picos tätig, ehe er 1978 für ein kirchenrechtliches Aufbaustudium nach Rom ging.
Zurück in Brasilien, übernahm Schaffler die Aufgabe eines Bischofsvikars für Wirtschaftsfragen und war gleichzeitig als Pfarrer in Teresina tätig. Seit 1985 leitet er die 1944 gegründete und 20.500 Quadratkilometer große Diözese Parnaiba im Nordosten Brasiliens. Hier leben rund 550.000 Menschen, von denen etwa 80 Prozent katholisch sind, sechs Prozent mehr als im brasilianischen Landesdurchschnitt.


Die katholische Tageszeitung DIE TAGESPOST hat im Januar 2011 eine gekürzte Fassung dieses Gespräches veröffentlicht. Weiterführende Informationen finden Sie im Internet unter: www.die-tagespost.de und: www.adveniat.de

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