Samstag, 22. September 2012

Vor 80 Jahren wählte eine Mehrheit der Mülheimer Hindenburg zum Reichspräsidenten, um Hitler zu verhindern: Die Machtübernahme der Nazis sollte dadurch aber nur aufgeschoben werden

Am 18. März 2012 haben Hannelore Kraft, Barbara Steffens, Ulrike Flach und Anton Schaaf als Mülheimer Mitglieder der Bundesversammlung den neuen Bundespräsidenten gewählt. Vor 80 Jahren hatten die Mülheimer selbst die Wahl. Sie mussten mit entscheiden, ob der Amtsinhaber Paul von Hindenburg Reichspräsident bleiben oder der Führer der Nationalsozialisten Adolf Hitler sein Nachfolger werden sollte. Neben Hindenburg und Hitler standen beim ersten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 auch der Kommunistenführer Ernst Thälmann, der Deutschnationale Theodor Duesterberg und der Vertreter des Bundes der Inflationsgeschädigten, Gustav Winter, auf ihrem Stimmzettel.


Mit dem Reichspräsidenten der Weimarer Republik wählten sie nicht nur ein repräsentatives Staatsoberhaupt, sondern den damals mächtigsten Politiker des Deutschen Reiches. Er war nicht nur Oberbefehlshaber der Armee, sondern konnte auf der Grundlage des Verfassungsartikels 48 auch Notverordnungen erlassen, die ohne Zustimmung des Reichstages Gesetzeskraft erlangten. Auf dieser Basis regierte der damalige Reichskanzler Heinrich Brüning seit 1930 ohne Parlamentsmehrheit und allein gestützt auf das Vertrauen des 85-jährigen Reichspräsidenten von Hindenburg.

Deshalb machte sich seine Regierung für die Wiederwahl Hindenburgs stark, um eine Wahl des NSDAP-Kandidaten Hitler zu verhindern. Auch in Mülheim bildete sich ein Hindenburg-Ausschuss zur Unterstützung des Amtsinhabers. In seinem Wahlaufruf, der am 5. März 1932 in der Mülheimer Zeitung veröffentlicht wurde, hieß es: „Hindenburg verkörpert deutsches Soldatentum, deutsche Einigkeit, Manneszucht und Treue. Sein Name bedeutet den Auslandsdeutschen und der ganzen Welt deutsche Gottesfurcht, deutsches Pflichtbewusstsein und Glaube an die deutsche Zukunft. Deshalb wählen wir Hindenburg als den Träger des deutschen Freiheitswillens und der deutschen Geltung in der Welt.“ Das wichtigste Argument seiner Anhänger lautete: „Hindenburg steht über den Parteien. Mit ihm kämpfen wir für Deutschlands Einigkeit und Größe.“

In einem Aufruf der Anhänger Hitlers hieß es dagegen: „Wir verstehen manche Kritik an der NSDAP. Aber wir erblicken im Nationalsozialismus die größte deutsche Freiheitsbewegung seit 100 Jahren. Auch der Nichtwähler stützt das Brüning-Regime. Wie jeder nationale Deutsche bei den Landtagswahlen nur die Gegner dieses Systems wählen kann, so muss er sich folgerichtig auch bei der Reichspräsidentenwahl für den einzigen Kandidaten gegen das System, für Adolf Hitler, entscheiden.“

Unter welchen Vorzeichen die Reichspräsidentenwahlen 1932 stattfanden, wird deutlich, wenn man auf den Seiten der Mülheimer Zeitung von Verhandlungen über den Abbau der Reparationslasten des verlorenen Ersten Weltkriegs oder von Notverordnungen zur Stärkung der Wirtschaft und der Kommunen liest. Sechs Millionen Deutsche waren damals arbeitslos.

Vor diesem Hintergrund entschieden sich 35?306 Mülheimer bei der Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 für Hindenburg und 20?843 für Hitler. 15?119 Wähler stimmten für den KPD-Kandidaten Thälmann und 7450 für den Deutschnationalen Duesterberg, während der Vertreter der Inflationsgeschädigten, Winter, nur 159 Stimmen erhielt. Da Hindenburg am 13. März 1932 die absolute Mehrheit knapp verpasst hatte, musste er am 10. April 1932 in einem zweiten Wahlgang gegen Hitler und Thälmann antreten. An diesem entscheidenden Wahltag titelte die Mülheimer Zeitung: „Deutscher Michel, schlafe nicht. Auf jede Stimme kommt es an. Zuhause bleiben, wenn dich das Vaterland braucht? Nein! Das wäre Fahnenflucht.“

An diesem denkwürdigen Wahltag sollte das Mülheimer Ergebnis als reichsweit erstes Wahlkreisresultat um 20.58 Uhr an den Wahlleiter in Berlin übermittelt werden. Danach hatten 36?625 Mülheimer für Hindenburg, 27?346 für Hitler und 8732 für Thälmann gestimmt.

Hindenburg blieb Reichpräsident. Er sollte seinen unterlegenen Gegenkandidaten Hitler aber schon im Januar 1933 zum Reichskanzler ernennen und zusammen mit ihm Ehrenbürger Mülheims werden.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zwielichtigen Rolle, die er 1933 bei der Machtübernahme der Nazis spielte, sollte die Mülheimer Hindenburgstraße aber bereits ab 1949 den Namen seines sozialdemokratischen Amtsvorgängers Friedrich Ebert tragen.

Dieser Beitrag erschien am 13. März 2012 in der NRZ

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