Samstag, 6. Oktober 2012

Eine sozialpolitisch relevante Schulumfrage zum Tag des Butterbrotes

"Hast uns Stulln jeschnitten un Kaffe jekocht, alles mit deine Hände", hat Kurt Tucholsky 1929 in seinem Loblied über „Mutterns Hände“ gedichtet. Das tägliche Butterbrot, das Mütter und Väter schmierten, ist das Sinnbild für die elterliche Sorge um das leibliche Wohl ihrer lieben Kleinen. Nicht nur am heutigen Tag des Butterbrotes erinnert sich Bäckermeister Peter Hemmerle (50), der von Berufs wegen Brot backt und verkauft, an die liebevoll geschmierten und in Fettpapier eingepackten Butterbrote, die ihm seine Eltern mit auf den Schulweg gaben, der ihn zur katholischen Volksschule an der Eduard-Straße (heute Martin-von Tours-Schule) führte.

Doch wie sieht es heute mit der Wegzehrung für den Schultag aus? Hat das gute alte Butterbrot im Fast-Food-Zeitalter noch die Nase kulinarisch vorn? Hemmerle hat den Eindruck, dass der Brotverzehr eher rückläufig ist und vor allem junge Leute eher zu Brötchen, Stütchen und Croissants greifen.

„Unsere Kinder schätzen das Butterbrot“, weiß Gabriele Ripholz , Rektorin der Barbaraschule in Dümpten. Ihre Grundschüler machen in der 3. Klasse einen „Ernährungsführerschein“. Ergebnis: „Die Kinder bestimmen dann den Einkaufszettel. Die wollen dann, das etwas Gesundes gekauft wird.“ Das hat Folgen für den Brotbelag: Besonders beliebt seien Apfelschnitten. Grundsätzlich sei es bei ihren Kindern noch Standard, dass sie Butterbrote von zu Hause mitbringen. „Es gibt natürlich auch mal eine Ausnahme, aber da reagieren wir dann schnell.“ Die Tatsache, dass an manchen Schulen, etwa über die Schultafel das Frühstück unabhängig von den Eltern organisiert wird, findet Ripholz problematisch: „Ich finde, dass Eltern in der Verantwortung stehen. An sozialen Brennpunkten ist so ein Angebot sicher sehr gut.“

Anders sieht bei der Grundschule an der Zunftmeisterstraße aus. Sie gehört zu den Schulen, die auch von der Diakonie beliefert werden. Jeden Tag wird gemeinsam in der Klasse gefrühstückt. „Das hat den Vorteil, dass wir sicherstellen können, dass wirklich jedes Kind etwas isst“, berichtet Rektorin Ulrike Lueg . Neben den Brötchen von der Diakonie gibt es auch Obst und Gemüse, das je nach Jahreszeit variiert. „Natürlich gibt es auch noch Eltern, die ihren Kindern ein Butterbrot mitgeben, auch mal mit Tomaten garniert. Das ist auch weiterhin erwünscht.“ Aber es gebe eben auch viele Eltern, die damit überfordert seien.

Warum muss die 2001 vom Diakoniewerk gegründete Schülertafel täglich 400 bis 500 Schüler mit einem aus Spenden finanzierten Frühstück versorgen? „Das hat nichts mit finanzieller Armut zu tun. Das ist Ausdruck einer sozialen Versorgungsarmut“, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin des Diakoniewerkes, Anke Werner . Doch sie will sich mit der Suche nach Schuldigen nicht lange aufhalten, „weil es unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass Kinder in der Schule nicht hungrig lernen müssen und deshalb abgehängt werden.“

Auch an der Hauptschule Bruchstraße weiß man Brötchen, Gebäck und Obst von der Schultafel zu schätzen. Ihr Konrektor Norbert Schultheis vermutet, dass nur 20 Prozent seiner Schüler von den Eltern ein Butterbrot mit auf den Schulweg bekommen. „Wenn Schülern früher schlecht wurde, hat man gefragt: Hast du was falsches gegessen? Heute fragt man: Hast du was gegessen?“ Aus Gesprächen weiß Schultheis, „dass viele Eltern nur wenig Zeit haben, weil sie arbeiten und ihren Kindern lieber Geld hinlegen, damit sie sich etwas kaufen können.“

An der Bruchstraße hat man, wie an den zehn anderen Mülheimer Schulen, die von der Schultafel beliefert werden, aus der Not eine Tugend gemacht. Ab 7.30 Uhr wird im Schülerclub der Eppinghofer Hauptschule gemeinsam gefrühstückt. „Das Angebot wird von den Schülern gut angenommen“, weiß Schultheis und schätzt, dass die Küchenfee der Schule täglich 50 bis 60 mit Wurst oder Käse belegte Brötchen für je 30 Cent an die hungrigen Mädchen und Jungen bringt.

Ein Besuch in der Cafeteria der Otto-Pankok-Schule zeigt ein ganz anderes Bild. Joline Quendt und Silija Korell aus der 12. Klasse haben zwar noch gute Erinnerungen an die Butterbrote, die ihnen ihre Eltern früher mit in die Schule gaben, investieren ihr Taschengeld heute aber lieber in Käsebrötchen oder ein Teilchen, die sie sich in der Cafeteria der Schule kaufen.

Ganz anders ihre Mitschüler aus der 6b, die es sich dort mit ihren Butterbrotsdosen gemütlich gemacht haben. Bei ihnen gibt noch der Klassiker Butterbrot mit Obst und Gemüsebeilage den Ton an. „Ein Butterbrot schmeckt einfach lecker und sättigt gut“, sind sich Johanna Christensen und Katharina Franz einig. Der Brotbelag der 6b reicht von der Salami bis zum Frischkäse und bei den Beilagen von Apfelstücken bis zur Möhre. Daniel Bauer kennt das Pausenbrot seit der ersten Klasse und schätzt die Kombination aus Weißbrot und Salami oder Käse, während sich sein Klassenkollege Hermann Schäfer bei seiner Oma den kulinarischen Leckerbissen Räucherlachs und Remoulade kennen und schätzen gelernt hat. Den gibt es natürlich nicht jeden Tag aufs Butterbrot. Heute steht Frischkäse auf dem Speiseplan. „Ich mag besonders Sonnenblumenkernbrot mit Käse oder Salami. Das ist lecker und nicht so fettig wie Pizza“, erzählt Ravi Yaman . Er hat sogar zwei Butterbrotsdosen im Schulrucksack, eine für das Butterbrot und eine für das Obst. Sein Klassenkamerad Philipp Sanders hat sich dagegen „seit der dritten Klasse das Butterbrot abgewöhnt, weil es so trocken schmeckt.“ Stattdessen stärkt er sich in seiner Unterrichtspause lieber mit belegten Brötchen, Käsestangen oder Teilchen.

Otto-Pankok-Lehrerin Birthe Hoffmann , die in den Klassen 5, 6 und 7 Deutsch und Biologie unterrichtet, schätzt, dass „über 50 Prozent der Kinder“ mit Butterbrot, Obst und Gemüse zur Schule kommen. In der Klasse 6 bespricht sie denn auch im Biologieunterricht mit den Schülern das Thema Nährstoffe. „Ich glaube, dass die meisten Schüler sehr behütet aufwachsen und die Eltern einen genauen Blick darauf haben, was ihre Kinder in der Schule essen“, sagt der stellvertretende Otto-Pankok-Schulleiter Ulrich Bender .

Dieser Beitrag, den ich zusammen mit meinem Kollegen Sebastian Sasse recherchiert habe, erschien am 28. September 2012 in der NRZ

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