Samstag, 13. Oktober 2012

Warum brauchen wir ein nationales Krebsregister? Ein Gespräch, das ich für die NRZ mit Heinz Jochen Gassel, Chefarzt am Evangelischen Krankenhaus Mülheim geführt habe

Die Bundesregierung hat die Einrichtung eines nationalen Krebsregisters beschlossen. Was bringt ein solches Register für Patienten und warum gibt es bis heute Widerstände gegen seine Einrichtung. Darüber sprach ich für die NRZ mit dem Chefarzt des Evangelischen Krenkenhauses, Heinz Jochen Gassel.


Warum brauchen wir ein nationales Krebsregister?

Wenn wir eine Medizin auf der Basis wissenschaftlich belegbarer Erkenntnisse betreiben wollen und das müssen wir, um die Kosten zu rechtfertigen, die damit verbunden sind, dann müssen wir das in ganz Deutchland auf eine gemeinsame wissenschaftlich nachvollziehbare Basis stellen, um zu vermeiden, dass jeder Arzt macht, was er für richtig oder am lukrativsten hält. Ein nationales Krebsregister bildet die Grundlage dafür, optimale Behandlungsstandards zu entwickeln, die dann aber individuell auf den Bedarf des jeweiligen Patienten angepasst werden müssen. Bisher haben wir bei uns nur Krebsregister auf Länderebene. Wir brauchen schon deshalb ein nationales Krebsregister, um unsere Behandlungsstrategien und Ergebnisse international vergleichen zu können.

Warum hinkt Deutschland in diesem Punkt der internationalen Entwicklung hinterher?

In der ehemaligen DDR gab es ein zentrales Krebsregister. Doch nach der Vereinigung beider deutscher Staaten gab es viele Damen und Herren, die der Meinung waren, dass dieses zentralistische Register nicht zu unserer förderalen Denke passen würde. Bis jetzt hat sich da keine Bundesregierung herangetraut und gesagt: Ich möchte, dass wir die vorhandenen Daten länderübergreifend in einem Krebsregister sammeln.

Welche Daten sollen denn im nationalen Krebsregister gesammelt werden?

Es ist überfällig, dass wir bundesweit und natürlich anonymisiert alle Daten über Neuerkrankungen, die vorhandenen Behandlungsformen und deren Ergebnisse sammeln und bewerten.

Warum gibt es bis heute Widerstand dagegen?

Weil damit die Möglichkeit besteht, die Behandlungsqualität einzelner Krankenhäuser und Fachzentren herauszufinden. Damit entsteht für die eine oder andere Behandlungseinrichtung die Gefahr, bei Verhandlungen mit den Krankenkassen, die die Kosten tragen, nicht so gut dasteht wie eine andere Einrichtung. Das könnte im schlimmsten Fall zu Wettbewerbsnachteilen und zum Ausschluss von Leistungen führen.

Profitieren Patienten vom nationalen Krebsregister?

Aus Patientensicht ist ein nationales Krebsregister auf jeden Fall richtig und unbedingt zu fordern. Denn es geht darum, den Bürgern die bestmögliche Behandlung anzubieten und sie zur Vorsorge zu bringen, wo Vorsorge sinnvoll ist, etwa beim Darmkrebs. Dafür braucht man bundesweite belastbare Zahlen, die wir im Moment so nicht haben.

Wie soll das nationale Krebsregister finanziert werden?

Die Krankenkassen befürchten, dass mit der Einführung eines solchen Gesetzes erhebliche Mehrkosten auf sie zukommen. Die Finanzierung ist noch nicht fixiert. Ich gehe von einer Mischfinanzierung und davon aus, dass ein erheblicher Teil der Kosten über die Krankenkassenbeiträge von den Versicherten getragen werden muss.

Wie ist das Evangelische Krankenhaus in der Krebsbehandlung aufgestellt?

Wir haben drei von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierte Fachzentren, nämlich ein Brustkrebs,- das Darmkrebs- und ein Bauchspeicheldrüsenkrebs-Zentrum. Wir erheben unsere Behandlungsdaten, natürlich mit dem Einverständnis der Patienten und leiten sie an die Deutsche Krebsgesellschaft weiter, wo die einzelnen Fachzentren bundesweit miteiander verglichen werden. Das ist eine Vorstufe zum nationalen Krebsregister.

Was wäre dann nach der Einführung eines Nationalen Krebsregisters anders?

Dann würden alle Daten per Gesetz an eine noch nicht benannte Stelle weitergeleitet und ausgewertet. Viele wehren sich vor allem dagegen, dass diese Daten an die Krankenkassen weitergegeben werden, weil sie um die Anonymität und den Datenschutz der Patieten fürchten. In Mülheim sagt mancher, es sei ein Wettbewerbsvorteil für das Evangelische Krankenhaus, über zertifizierte Fachzentren zu verfügen. Aber die Deutsche Krebsgesellschaft weist auf der Basis ihrer Daten darauf hin, dass Behandlungsqualität und Behandlungsergebnisse in den von ihr zertifizierten Einrichtungen eindeutig höher sind, als in den nicht zertifizierten Einrichtungen.

Sind die Befürchtungen um den Datenschutz der Patienten nicht berechtigt?

Das Problem des Datenschutzes ist nicht zu unterschätzen. Obwohl man heute technisch Daten anonymisiert in die richtigen Kanäle schicken kann, wird man Betrug nie ganz ausschließen können. Doch Krebs ist als zweithäufigste Todesursache mit bundesweit 460 000 Neuerkrankungen pro Jahr, so bedrohlich, dass er definitiv in Fachzentren behandelt werden muss.

Steigt die Zahl der Neuerkrankungen?

Die Tendenz ist auf jeden Fall steigend. Das liegt aber auch daran, dass Krebserkrankungen in der Regel heute früher erkannt werden.



Zur Person: Prof. Dr. Heinz Jochen Gassel (52) ist Chefarzt und Ärztlicher Direktor am Evangelischen Krankenhaus. Dort leitet er unter anderem die zertifizierten Fachzentren zur Behandlung von Darm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Gassel hat in Bochum und Kiel Medizin studiert und anschließend Facharztausbildungen in den Bereichen Chirurgie, Gefäßchirurgie und Bauchchirurgie absolviert. Heute gehört die sogenannte minimalinvasive Schlüssellochchirurgie im Rahmen der Krebsbehandlung zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Gassel ist Mitglied der Deutschen Krebsgesellschaft und wurde 2002 mit ihrem Arthur-L-Walpole-Preis für klinische Studien ausgezeichnet. Der Mediziner ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Dieser Text erschien im September 2012 in der NRZ


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