Sonntag, 14. Oktober 2012

Wie die Familie Medenblik-Bruck ihren Stadtteil Dümpten erlebt(e) und warum Adele Bruck und Karin Medenblik finden, dass Dümpten Spaß macht

Alteingesessen. Diesen Begriff beziehen Karin Medenblik, gerade 70 geworden, und ihre Adoptivmutter Adele Bruck (93) nur zu gerne auf sich, wenn es um ihren Stadtteil Dümpten geht. „Der Stadtteil macht einfach Spaß. Das Schöne ist, dass hier viele Alteingesessene leben und dass man immer Leute findet, die mitziehen“, sagt Karin Medenblik über den Stadtteil, der bis 1910 eine eigenständige Landbürgermeisterei war und sich in Erinnerung daran bis heute als „Königreich“ betitelt.


Adele Bruck und Karin Medenblik haben in ihrem „Königreich“ eine Menge gemacht. Sie haben das 1871 von Adeles Großmutter Sophie gegründete Hutmachergeschäft am Schildberg, ab 1959 als Textilgeschäft an der Oberheidstraße, fortgeführt, ehe sie es 2004 schlossen. In den 90er Jahren gründete Karin Medenblik die Dümptener Werbegemeinschaft „Wir im Königreich“ und organisierte in den Flüchtlingsunterkünften an der Oberheidstraße Adventsfeiern und Hausaufgabenhilfen. Später hat sie mit den Schülern der Schule am Hexbachtal manches Projekt auf die Beine gestellt, zuletzt ein Buch mit 100 Geschichten aus dem Königreich. „Man hat durch das Geschäft hier schnell viele Leute kennen gelernt und Kontakte geknüpft“, sagt Karins aus den Niederlanden stammender Ehemann Henk. Auch ihn haben Schwiegermutter und Ehefrau zu einem Dümptener gemacht, der ab 1974 für 30 Jahre an der Spitze des Dümptener Turnvereins stand und in dieser Funktion unter anderen den Bau von zwei Vereinsheimen managte. Hinter einem starken Mann stehen in diesem Fall zwei starke Frauen.

Der Dümptener Turnverein ist für Adele Bruck bis heute eine zweite Familie. Bereits als Fünfjährige begann sie unter der Regie des legendären Vereinsvorsitzenden Heinrich Bergmann, der den DTV durch zwei Weltkriege führen sollte, mit dem Turnen. „Mir war es immer wichtig, gelenkig zu bleiben“ sagt Bruck, die trotz mancher altersbedingten Handicaps mit 93 immer noch Vitalität ausstrahlt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie es, die mit ihrer Turnschwester Änne Welsing die Frauenabteilung des Dümptener Turnvereins ins Leben rief.

Bis dahin hatte sie in ihrem Stadtteil bereits einiges erlebt. Ihre erste Erinnerung sind französische Soldaten, die nach der Besetzung des Ruhrgebietes 1923 am Wittkampbusch exerzierten. Als Kind wuchs sie in ein Geschäft hinein, das bis zu dessen Tod von Vater Heinrich geführt wurde. „Mein Vater verkaufte nicht nur Textilien, sondern auch Lebensmittel und Särge“, erinnert sich Adele. Mit ihren 1916 und 1917 geborenen Brüdern Heinz und Friedel spielte sie in der Sargschreinerei des Vaters Verstecken. Einmal musste sie ihren Vater zu einer Familie begleiten, deren Kind gestorben war. „Ich musste die Trauerschleife tragen, die an die Tür des Hauses gehängt wurde. Das Kind wurde im Haus aufgebahrt. Und mein Vater sagte mir: Es ist jetzt ein Engelchen. Du kannst für es beten.“

Der Tod kam auch ins Haus der Familie Bruck. 1934 starb der Vater Heinrich an Krebs. Die Mutter Wilhelmine übernahm nach einer kaufmännischen Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer die Führung des Textilgeschäftes, das damals als einziges Haus im noch ländlichen Oberdümpten über ein Telefon verfügte und so zu einer Art Telefonzelle des Stadtviertels wurde. Eigentlich sollten Adeles Brüder Heinz und Friedel das Familienunternehmen fortführen. Doch beide fielen als Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Und beim großen Luftangriff auf Mülheim wurde auch Textilien Bruck am Schildberg 1943 ein Opfer der Bomben.

Auch nach dem Krieg, als man in einem Zimmer am Schildberg lebte und verkaufte, blieb die Familie von Schicksalsschlägen nicht verschont. Nachdem der Vater im Krieg gefallen war, verlor Karin 1953 durch einen tragischen Unglücksfall auch ihre leibliche Mutter. Sie war beim Fensterputzen im Haus am Schildberg aus dem ersten Stock auf die Straße gestürzt. Tante Adele wurde ihre Adoptivmutter und auch Opa Grütchen gehörte zur harten Kern der Familie, die jetzt gemeinsam das Weiterleben meisterte. „Dümpten war früher sehr viel ländlicher und dörflicher. Wir hatten hier viele Tante-Emma-Läden“, erinnern sich Adele Bruck und Karin Medenblik. Alte Fotos aus den 30er und späten 40er Jahren, auf denen man die junge Adele bei einem Erntedankumzug und die kleine Karin vor grasenden Schafen an den Denkhauser Höfen sieht, zeigen es eindrucksvoll.

Schon früh wurde Karin in den Geschäftsalltag einbezogen. Wenn die Kladde mit den angeschriebenen Waren zu dick geworden war, musste sie zu säumigen Kunden gehen und Außenstände eintreiben. „Das war meistens freitags. Denn freitags war Zahltag. Da bekamen die meisten Arbeiter und Angestellten ihr Lohntüte. Das war nicht immer angenehm“, erinnert sich Karin an ihre ersten Schritte ins Geschäftsleben.

Angenehmer sind den beiden Ur-Dümptenerinnen ihre Schulzeit an der Evangelischen Volksschule an der Gathestraße in Erinnerung geblieben. Beide erlebten dort Lehrer, „die immer ein offenes Ohr für uns hatten“ und ihnen mal beim gemeinsamen Singen, mal bei kleinen Ausflügen und sogar beim Schönschreiben die Freude am Lernen und Arbeiten vermitteln konnten. Über dem Schulportal stand der Satz, der auch für ihr Leben prägend werden sollte: „Ohne Fleiß kein Preis.“

Dieser Text erschien am 3. September 2012 in der NRZ

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