Montag, 17. Dezember 2012

Ein Gespräch darüber, wie Brita Russack und ihre Kollegen vom U-25-Haus Schulabgänger ins Berufsleben begleiten und damit zum erfolgreichen Modell für Nordrhein-Westfalen geworden sind

Am 29. November gingen die 130 Lehrer der Gustav-Heinemann-Schule mit einem Fortbildungstag bei der Leiterin des U-25-Hauses, Brita Russack, in die Schule. Die Sozialpädagogin und ihre 30 Kollegen vom U-25-Haus an der Viktoriastraße beraten und begleiten Jugendliche und junge Erwachsene aller Schulformen beim Übergang von der Schule in den Beruf und sind damit in NRW Teil eines von sieben Modellprojekten des Landes. Für die NRZ sprach ich mit Brita Russack darüber, warum sich nicht nur Schulabgänger mit defizitärer Bildungsbiografie beim Einstieg ins Arbeitsleben schwertun.


Was sind die Knackpunkte, wenn sich junge Leute nach der Schule fragen: Was soll aus mir werden?

Russack: Viele Jugendliche tun sich schwer, in den ernsten Teil ihres Lebens einzutreten. Das hat damit zu tun, dass ihre Vorstellungen davon, was ihnen das Berufsleben an Lebensqualität und Entwicklungschancen bieten könnte, oft diffus sind. Viele Jugendliche leben im Hier und Jetzt. Sie neigen dazu, einfach die Schule zu wechseln und am Berufskolleg weiterzumachen, weil ihnen Schule vertraut ist.

Was kann man gegen die Angst vor dem Arbeitsmarkt tun?

Wir müssen die Schüler frühzeitig informieren und locken, um ihnen schon lange vor dem Schulabschluss zu helfen, ihre Potenziale zu entdecken und eine Idee davon zu entwickeln, was das mit ihrer beruflichen Zukunft, ihren Entwicklungschancen und mit ihrer Lebensqualität zu tun haben könnte.

Wie locken Sie Schulabgänger ins Berufsleben?

Wer Jugendliche ins Berufsleben begleitet und berät muss selbst wissen, was auf dem Ausbildungsmarkt los ist und welches Unternehmen, welche Jugendlichen brauchen. Dabei geht es nicht nur um das Bildungsprofil, sondern auch um die jeweilige Persönlichkeit. Am Ende muss die Chemie stimmen. Unsere Lehrstellenakquisiteure und unsere pädagogischen Fallmanager arbeiten da eng zusammen, um aus den Fakten die Motivationsargumente für die Gespräche mit den Jugendlichen und den Unternehmen abzuleiten. Weil wir so gute Erfahrungen mit der persönlichen Begleitung der Jugendlichen gemacht haben, kämpfen wir auch ständig um die Erweiterung unserer personellen Kapazitäten.

Ist der Einstieg in den Arbeitsmarkt auch für Abiturienten schwierig?

Es sieht so aus. Dabei ist der Arbeitsmarkt für die heutige Generation glänzend. Die Unternehmen wollen die Jugendlichen. Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist heute sehr aufnahmebereit, aber auch breiter aufgefächert und komplexer als früher. Das gilt für die berufliche Ausbildung wie für Studiengänge. Die Vielfalt der Möglichkeiten überfordert viele. Die Orientierung ist schwieriger geworden. Hier müssen wir helfen, Informationen zu sammeln und auszuwerten, damit die Jugendlichen die für sie richtige Strategie entwickeln können. Gute Bildung ist aber immer noch der beste Schutz gegen eine spätere Arbeitslosigkeit. Das gilt auch für Hauptschulabgänger, die wir ebenfalls zunehmend gut vermitteln können. Der Anteil der Hauptschüler, die nach dem Abschluss einen Anschluss in eine betriebliche Berufsausbildung gegangen ist, konnte in den letzten fünf Jahren von 16 auf 38 Prozent gesteigert werden. Uns geht es in unserem Übergangssystem aber unterschiedslos um alle Jugendlichen einer Generation und darum, niemanden zu verlieren.

Stellt Sie der doppelte Abiturjahrgang 2012/13 vor Probleme?

Es wird eine verschärfte Konkurrenz geben, aber die hat es in früheren Generationen noch viel mehr gegeben. Weil es immer weniger Schulabgänger gibt, sind sie in den Unternehmen im Prinzip herzlich willkommen. Ich glaube, dass sich das Problem des doppelten Abiturjahrganges auf ein paar Jahre verteilen wird, weil nicht alle Abiturienten sofort durchstarten und mit 23 fertig sein wollen, sondern zum Beispiel noch ein freiwilliges Soziales Jahr einlegen. Wahrscheinlich wird es an den Unis voll. Auch mit ihnen pflegen wir einen engen Kontakt. Wir beraten auch Abiturienten bei der Bewerbung für Studiengänge. Dieses Angebot wird sicher verstärkt genutzt werden. Außerdem arbeiten wir verstärkt daran, dass sich auch die Gymnasien systematischer bei der Berufsorientierung aufstellen. Sie machen auch jetzt schon punktuell gute Informationsaktionen in diesem Bereich, haben aber, anders, als an den Hauptschulen noch nicht flächendeckend jeden Schüler im Blick, um ihn bei der Entwicklung seiner persönlichen Strategie zu unterstützen.

Ist das Ziel, jedem Schulabgänger eine Berufsperspektive zu bieten, realistisch?

Mit einer guten Zusammenarbeit aller Partner (Schulen, Arbeitsagentur, Unternehmen), die in diesem Bereich unterwegs sind, halte ich das für realistisch.

Was müssen Lehrer lernen, um Schüler besser auf das Berufsleben vorzubereiten?

Sie müssen die Berufsorientierung ihrer Schüler gewährleisten und für jeden Schüler einen roten Faden entwickeln, um am Ende zu wissen, welcher Anschluss für welchen Schüler der Richtige ist. Und die Schüler müssen am Ende ihrer Schulzeit wissen, wie und wo es für sie weitergeht. Das setzt aber voraus, dass sich Lehrer mit der beruflichen Ausbildung, mit den Partnern, die ihnen helfen können und mit den Unternehmen, die es hier gibt und deren Anforderungen auseinandersetzen. Es geht für die Lehrer auch darum Erfahrungswissen über die Mülheimer Unternehmenslandschaft und entsprechende Kontakte zu sammeln.

Dieser Beitrag erschien am 30. November 2012 in der NEUEN RUHR ZEITUNG

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