Samstag, 8. Dezember 2012

Eindrücke aus der Schreibwerkstatt im Medienhaus oder: Von der Freude, herausragende Sprachtalente zu entdecken

Samstagnachmittag. Freizeit. Das bedeutet für die meisten Schüler, je nach Temperament: Spiel, Sport und Spaß oder vielleicht auch nur mit Freunden abhängen. Ganz anders die zweimal zehn Schüler, die sich zwischen Herbst- und Weihnachtsferien mit dem Autor Achim Krichel und der Schauspielerin und Theaterpädagogin Barbara Schmidt im Medienhaus treffen. Sie schreiben und spielen. Nicht irgendwas, sondern ihre eigenen Texte.


Und auch nicht irgendwelche Texte bringen sie zu Papier, sondern szenische Dialoge, die vielleicht im nächsten Jahr als Theaterstücke in Schulen und bei Festivals auf die Bühne gebracht werden sollen. Die Szenerie im eher nüchternen Seminarraum der Stadtbibliothek erinnert auf den ersten Blick an eine Nachhilfestunde im Diktatschreiben, wenn da nicht immer ein Lachen zu hören und die fröhliche Schaffenskraft der jungen Autoren mit Händen zu greifen wäre.

„Ihr habt heute wirklich einen guten Lauf“, lobt Theater- und Prosaautor Krichel seine zwischen zehn und 14 Jahren jungen Schreiblehrlinge. Immer wieder schaut er neugierig in ihre Manuskripte und diskutiert mit den Kindern die eine oder andere Szene. Manche der jungen Autoren arbeiten als literarischer Einzelkämpfer, andere ziehen die gemeinsame Autorenschaft im Zweier- oder Dreierkollektiv vor.

Erstaunlich. Fast alle zieht es zur Fantasy. Ihre zauberhaften oder unheimlichen Protagonisten sind meistens nicht von dieser Welt und haben überirdische Kräfte, mit denen sie unglaubliche Abenteuer bestehen. Da wimmelt es nur so von Magiern und Kobolden oder machtgierigen Bösewichtern, Zauberrosen und Traumfängern. „Das ist ein genereller Trend der letzten Jahre und hat mit einer gewissen Weltflucht zu tun. Die Kinder, die in die Schreibwerkstatt kommen, lesen auch in ihrer Freizeit viel und meistens Fanatsy- oder Abenteuerromane, mit denen sie sich in eine andere Welt begeben und so ihre Alltagssorgen vergessen“, weiß Krichel zu berichten.

„In der Fantasy hat man einfach mehr Möglichkeiten und muss sich nicht unbedingt an die Naturgesetze halten. Da macht das Schreiben einfach mehr Spaß“, erklärt die 14-jährige Gustav-Heinemann-Schülerin Alexandra. Und der zehnjährige Tim, der das Otto-Pankok-Gymnasium besucht, findet es einfach toll, „wenn man sich beim Schreiben in eine Geschichte hineinversetzen kann und die Rechtschreibfehler nicht wie in der Schule kontrolliert, sondern nachher beim Schreiben am Computer einfach verbessert werden.“ Und sein Klassenkamerad Jakob (11) hat sich vor allem deshalb für die Schreibwerkstatt angemeldet, „weil ich mal erfahren wollte, wie man ein Drehbuch schreibt.“ Ihn reizt es, anders als in der Schule: „einfach ganz frei und ohne Vorgaben die Bilder zu beschreiben, die man im Kopf hat.“

Wenn Bewegung in die Schreibwerkstatt kommt und der Fotokopierer angeworfen wird, bedeutet das, dass wieder einige bühnenreife Szenen vollendet worden sind. Dann werden aus den Nachwuchsautoren Nachwuchsschauspieler, die in der Regel von Barbara Schmidt animiert und inspiriert werden. Doch an diesem Samstagnachmittag, an dem sie verhindert ist, gibt Krichel den literarischen und dramaturgischen Vorarbeiter. „Gar nicht so leicht“, sagt er und lächelt. Schließlich haben seine jungen Autoren und Schauspieler Energie und Phantasie ohne Ende. Aber eben das reizt ihn und seine Kollegin auch. Sonst hätten sie nicht schon zum sechsten Mal Kulturverwaltung und Schulen davon überzeugt, dass die Schreibwerkstatt für junge Schüler gefragt und gebraucht wird. Der Andrang der Jugendlichen spricht für sich. „Es macht mir einfach Freude, hier immer wieder herausragende Schreibtalente zu entdecken und zu sehen, dass sich die Kinder gerne und freiwillig fordern und dabei oft Texte mit erstaunlicher Reife und Tiefe produzieren“, beschreibt der 49-jährige Schriftsteller seine Motivation zur literarischen Nachwuchsförderung. Krichel ist davon überzeugt: „Das entscheidende Stichwort unsrer Schreibwerkstatt lautet Freiheit. Und die führt dazu, dass Kinder ihre Schreibbegabung erkennen und ihre Kreativität, Phantasie und ihr oft erstaunlich Sprachgefühl ausleben und deshalb auch Erfolgserlebnisse haben.“

Weitere Informationen zur Schreibwerkstatt im Medienhaus findet man auf der Internetseite: www.muelheim-ruhr.de  

Dieser Text erschien am 4. Dezember 2012 in der NEUEN RUHR ZEITUNG

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