Dienstag, 11. Dezember 2012

Helene und Walter Schmidt aus der Heißener Mausegattsiedlung zeigen seit 60 Jahren, dass Liebe nicht nur ein Wort ist

Folgt man dem Statistischen Bundesamt, wird in Deutschland heute fast jede zweite Ehe im Laufe des Lebens geschieden. Da sind Menschen wie Helene und Walter Schmidt etwas besonderes. Ihre Ehe hält schon 60 Jahre. So lange lesen sie auch schon gemeinsam die NRZ und zwar im Rotationsverfahren. Sie beginnt mit dem Lokal- und Kulturteil, er mit dem Politik- und Sportteil und dann wird gewechselt. Die gemeinsame Zeitungslektüre beginnt bei ihnen noch vor dem Frühstück.


Die Zeitung, die sie gerne und gemeinsam lesen, wuchs ihnen besonders in den 70er Jahren ans Herz, als das Blatt regelmäßig über den Kampf um den Erhalt der Heißener Bergmannssiedlung Mausegatt berichtete, in der sie seit 1954 leben. Zufall der Geschichte. Ausgerechnet an der Ecke Eppinghofer Straße/Leineweberstraße, wo die NRZ-Redaktion ihren Sitz hat, haben sie sich im Sommer 1951 zum ersten Mal gesehen. Sie war 22 und arbeitete damals als Haushaltshilfe bei einem Bauunternehmer. Er war 19 und arbeitete für einen Stundenlohn von zwei Mark als Bergmann auf der Zeche Wiesche. Die könnte zu dir passen, erinnert sich Walter Schmidt an seine Gedanken beim ersten Anblick von Helene. Besonders gut gefielen ihm ihre großen Augen und ihr brünettes Haar. Die brünetten Frauen waren meistens die natürlichsten, die schwarzhaarigen und blonden waren oft gefärbt, sagt er mit einem Augenzwinkern. Und was fiel ihr an ihm auf? Ja, was soll ich da sagen? fragt Helene Schmidt zurück. Vielleicht dein nettes Gesicht, sagt sie und streichelt ihrem Walter beiläufig über die Wange.

Das nette Gesicht des jungen Mannes aus Heidelberg, der lieber Bergmann im Ruhrgebiet als Koch im elterlichen Hotel werden wollte, wo die Leute immer etwas auszusetzen hatten, sah Helene wenige Tage später wieder. Denn Walter ließ sich von einem Kollegen, mit dem er damals in der ehemaligen Kaserne an der Kaiserstraße einquartiert war, zum Tanztee ins Kasino mitnehmen. Ich hatte damals eigentlich keine Lust mitzugehen. Denn ich konnte gar nicht tanzen, sagt Herr Schmidt. Und das hast du auch nie richtig gelernt, obwohl ich dir immer gesagt habe: Geh doch mal in eine Tanzschule, sagt Frau Schmidt.

Dennoch entschied sich Helene bei der Damenwahl für Walter. Mir fuhr damals der Schreck in die Glieder. Doch es passierte, was passieren musste, erinnert sich Schmidt. Den Hinweis auf sein fehlendes Tanztalent ließ Helene nicht gelten. Sie können mich nicht im Stich lassen. Sie müssen jetzt mit mir kommen. Sie können mich nicht im Stich lassen. Walter ließ Helene nicht im Stich. Er folgte ihr auf die Tanzfläche und achtete peinlich genau darauf, ihr bloß nicht auf die Füße zu treten.

Diese achtsame und respektvolle Rücksicht aufeinander sollte zum Erfolgsrezept einer 60-jährigen Ehe werden. Man muss immer wissen, was man besser tut und was man besser sein lässt, beschreibt Walter eine Voraussetzung für eine Ehe, die nicht nur das verflixte siebte Jahr überstehen soll. Schnell merkte Walter zum Beispiel, dass es seine Helene gar nicht mag, wenn ich mit anderen Frauen rumschäkere.Da geht meine Frau hoch wie ein Vulkan, sagt Schmidt und lacht. Dem ersten Tanztee im Kasino folgte ein langer Nachmittag in einem Café an der Kaiserstraße, an dem wir uns alles gesagt haben: wer wir sind und was wir wollen, erinnert er sich. Wir saßen die ganze Zeit bei Sprudelwasser, weil wir ja nicht viel Geld hatten, erinnert sich Helene Schmidt an jenen gesprächigen Nachmittag. An dem wurde schnell klar, dass beide nicht nur ein Ehe- sondern auch ein Elternpaar werden wollten. Kinder sind einfach das Größte. Kinder sind das A und O, sagt Helene Schmidt, die inzwischen nicht nur dreifache Mutter, sondern auch neunfache Großmutter und zweifache Urgroßmutter ist. Und ihr Mann Walter stimmt ihr spontan zu. Es ist Glück hoch drei, nicht allein zu sein und ohne Kinder hätten wir vielleicht gar nicht geheiratet, sagt er.

Kein Wunder also, dass schon zwei Wochen nach ihrer Hochzeit am 11.11. 1952 ihr erster Sohn Franz zur Welt kam und mit Robert (1955) und Barbara (1960) zwei Geschwister bekam. Wenn sie an die Kinder denkt, fällt Helene Schmidt auch ein, dass mir an meinem Mann immer besonders gefallen hat, dass er sich auch um die Kinder gekümmert und mir beim Saubermachen geholfen hat. Das Kochen überlässt der gelernte Koch allerdings seiner Frau, weil sie toll kocht und Liebe durch den Magen geht und weil ich beim Kochen immer zu viele Töpfe gebrauchen würde. Wenn man heute mit den Schmidts auf ihre 60 Ehejahre zurückblickt und sich mit ihnen fragt, warum ihre Partnerschaft auch noch nach sechs Jahrzehnten glücklich ist, während andere in dieser Zeit vielleicht mehrfach geschieden und wiederverheiratet sind, dann fallen immer wieder die gemeinsamen Erlebnisse ins Auge, von denen sie gerne berichten, die gemeinsame Erziehung der Kinder, die gemeinsamen Gespräche beim Frühstück und am Mittagstisch, gemeinsame Freunde und Nachbarn, gemeinsame Wanderungen durch die Schweizer Berge, in denen Walters Wiege stand, gemeinsame Segeltörns auf dem Baldeneysee, auf dem Ijsselmeer in Holland oder auf der Ostsee oder gemeinsame Motorradtouren zum Nürburgring. Wenn man gemeinsam unterwegs ist, muss man immer darauf achten, dass man nicht zu weit geht, auf bestimmte Warnsignale achtet und nicht vom Weg abkommt, erinnert sich Walter Schmidt zum Beispiel an die Leuchtfeuer, die die sichere Route der Segler markieren. Diese Vorsicht und Rücksicht haben die Schmidt offensichtlich auch auf ihrer Lebensreise walten lassen.

Man muss den anderen immer achten und respektieren, wie er ist und darf sich nicht sagen: Aus dem mache ich noch was, sind sie sich einig.

Auch am Anfang einer guten Ehe scheint das Wort zu sein: Wir reden über alles, über Gott und die Welt und gehen, wenn es nötig ist auch einem zünftigen Krach nicht aus dem Weg, sagt Walter Schmidt. Und wie funktioniert das mit der Versöhnung nach einem Streit? Man darf sich selbst nicht zu wichtig nehmen und muss auch schon mal nachgeben oder eine Neun gerade sein lassen können, beschreiben die Schmidts ihre eheliche Friedenspolitik.

Die funktioniert offensichtlich gut. Wer dem alten Ehepaar gegenübersitzt, spürt Vertrauen und Zuneigung. Und was ist mit Liebe und Leidenschaft? Die beiden lächeln milde. Ihre Liebe, die reifer geworden ist und sich heute nicht mehr, wie in jungen Jahren an der gegenseitigen körperlichen Anziehungskraft entzündet, beschreiben Helene und Walter Schmidt als das gute Gefühl, dass da jemand ist, ohne den es eine Lücke in unserem Leben gäbe. Natürlich hat das Paar seine Wünsche mit der Zeit auch seinen Möglichkeiten angepasst. Segeln und Wandern. Das war gestern. Spaziergänge oder das gemeinsame Naturerlebnis im Garten und Besuche, auch von jüngeren Nachbarn machen dem alten Paar heute Freude. Und ab und zu steigt Walter Schmidt dann noch mal auf sein Motorrad, auch wenn er damit nicht mehr bis zum Nürburgring fährt.

Jungen Paaren rät er, sich Zeit für einander und für die Familie zu nehmen und nicht nur dem Geld hinterherzujagen. Geld zu haben, ist notwendig, aber Reichtum kann manchmal auch ein Hindernis sein, weil er dazu führt, dass man schneller mal den Bogen überspannt. Schmidt weiß aber auch, dass der enorme Leistungsdruck und die Sorge um den Arbeitsplatz viele Beziehungen und Familien belastet.

Dieser Text erschien am 8. Dezember 2012 in der NRZ

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