Mittwoch, 20. März 2013

Wie man mit Frauen Staat machen kann: Eine Umfrage zum Stand der Gleichberechtigung

Fünfzig Jahre nach dem Amtsantritt der ersten Bundesministerin Elisabeth Schwarzhaupt (siehe Kasten) fragt die NRZ Mülheimer Politikerinnen: „Was wurde seit dem in Sachen Gleichberechtigung erreicht und was bleibt noch zu tun?“


Auch wenn die SPD-Landtagsabgeordnete und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft , einräumt, „dass wir in den letzten 50 Jahren enorme Fortschritte gemacht haben“, bleibt in ihren Augen „noch eine Menge zu tun“, bis Frauen wirklich auf allen Ebenen der Gesellschaft gleichberechtigt sind. Dabei denkt sie vor allem an die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, die sie in vielen Bereichen immer noch nicht realisiert sieht. Trotz Bundeskanzlerin, Ministerpräsidentinnen und Oberbürgermeisterinnen ist Kraft „Anhängerin einer Frauenquote, weil wir Frauen als Vorbilder in Führungspositionen brauchen.“ Damit Gleichberechtigung Wirklichkeit wird, brauchen wir, „ein gutes Bildungssystem von der Kindertagesstätte an.“ Außerdem, so Kraft: „muss es in unserer Gesellschaft selbstverständlich werden, dass sich Frauen und Männer die Erziehungsaufgaben in der Familie teilen.“

Krafts Grüne Kabinetts- und Parlamentskollegin, NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens, erinnert daran, dass Frauen, anders als vor 50 Jahren, heute keine Erlaubnis ihres Ehemannes einholen müssen, um einen Arbeitsvertrag unterschreiben zu können. Doch Steffens sieht auch heute eine Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, wenn sie feststellt: „Trotz besserer Schulabschlüsse sind es immer noch die Frauen, die in ihrem Berufsleben von Männern überholt werden und für dieselbe Arbeit weniger Geld nach Hause bringen.“ Damit Frauen auch in der Wirtschaft mehr Führungspositionen besetzen, hat Steffens mit der Landesregierung im Bundesrat einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Quotierung in Aufsichtsräten vorsieht. Sie weist darauf hin, dass Unternehmen mit Frauen in der Chefetage nachweislich erfolgreicher sind. Damit Frauen und Männer Beruf und Familie unter einen Hut bekommen, brauchen wir in ihren Augen flexiblere Arbeitszeitmodelle, das Angebot von Vater-Mutter-Kind-Büros und „die Möglichkeit, dass Eltern auch mal von zu Hause aus arbeiten können.“

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Ulrike Flach , die als parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium arbeitet, das Elisabeth Schwarzhaupt einst aufbaute und führte, sagt: „Die Gleichberechtigung hat gewaltige Sprünge nach vorne gemacht. Die Situation der heutigen Frauen ist mit damals nicht zu vergleichen. Der Umstand, dass die berufliche Welt nach wie vor männlich geprägt ist, kann mit den massiven Freiheitsbeschränkungen der Frauen der 50er Jahre nicht verglichen werden.“ Flach erinnert daran, dass Schwarzhaupt einst mit der FDP gegen den Stichentscheid des Mannes in allen strittigen Ehe- und Familienfragen gestimmt habe. Die Liberale glaubt nicht, dass unsere Gesellschaft eine Frauenquote für Führungspositionen braucht. „Ich setze auf die Durchsetzungskraft der modernen Frau. Wir müssen als Politik die familienpolitischen Rahmenbedingungen kontinuierlich verbessern. Dann haben auch Frauen eine Chance,“ meint Flach. Aber auch sie ist davon überzeugt, dass wir flexiblere Arbeitszeitmodelle, mehr betriebsinterne Angebote für arbeitsplatznahe Kinderbetreuung und mehr Teilzeitarbeitsplätze brauchen, damit berufstätige Frauen und Männer Eltern werden können.

Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld hat 50 Jahre nach dem Amtsantritt der ersten Bundesministerin und sechs Jahre nach dem Amtsantritt der ersten Bundeskanzlerin den Eindruck, „dass die rechtliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Deutschland vollendet ist“, aber „die faktische Gleichberechtigung noch nicht in allen Bereichen gelebte Realität ist.“ Um dies zu erreichen, so Mühlenfeld, „muss die Politik den Wandel der Zivilgesellschaft vorantreiben, weil sich es unsere Gesellschaft nicht leisten kann, die Potenziale der weiblichen Bevölkerungsmehrheit nicht auszunutzen.“ Deshalb hält die OB auch eine Frauenquote für erforderlich, „um Frauen die ihren Qualifikationen entsprechenden Führungspositionen in der Wirtschaft zugänglich zu machen.“ Die Erfahrungen in der Politik sprechen aus ihrer Sicht auch in der Wirtschaft für eine Quotierung, weil die „notwendigen Verhaltensänderungen ohne Sanktionen nicht einzufordern sind.“ Mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sieht die OB auch die Stadt in der Pflicht, Frauen und Männer dabei mit dem Ausbau der Kinderbetreuung, flexiblen Arbeitszeitmodellen und verbesserten Öffnungszeiten öffentlicher Einrichtungen zu unterstützen.

Die stellvertretende Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion, Ramona Baßfeld , glaubt, „dass Frauen in Politik und Wirtschaft auch heute noch doppelt so gut sein müssen, wie Männer, um anerkannt zu werden.“ Sie fordert nach der Emanzipation der Frauen eine Emanzipation der Männer, wenn es ganz praktisch darum geht, neben dem Berufsleben Kinder zu erziehen und den Haushalt zu führen. Auch die schlechtere Bezahlung von Frauen ist für sie ein Unding.

Die stellvertretende CDU-Kreisvorsitzende Ilselore Paschmann glaubt, dass Frauen heute ehrgeizig und gut genug ausgebildet sind, um ohne Frauenquote in Führungspositionen aufzusteigen. „Kein Unternehmen braucht eine Quoten-Hilde“, sagt die Unternehmerin und Juristin. Sie sieht aber noch Ungleichheiten beim Lohn und glaubt, dass Frauen Beruf und Familie besser miteinander verbinden könnten, wenn Männer mehr häusliche Pflichten übernähmen und die Kindergartenbetreuung kostenfrei wäre.

Zur Person:

Als Elisabeth Schwarzhaupt 1901 in Frankfurt am Main geboren wird, dürfen Frauen in Deutschland noch nicht einmal wählen. 60 Jahre später übernimmt die promovierte Juristin die Leitung des neu geschaffenen Bundesgesundheitsministeriums. In diesem Amt sorgt sie bis 1966 dafür, dass konkrete gesetzliche Bestimmungen zur Reinhaltung von Luft und Wasser verabschiedet und unter dem Eindruck des Contergans-Skandals die Arzneimittelkontrolle verschärft und die Rezeptpflicht ausgeweitet wird. Außerdem zeichnet die CDU-Politikerin, die von 1953 bis 1969 dem Deutschen Bundestag angehört und zuvor als Oberkirchenrätin in leitenden Funktionen für die Evangelische Kirche Deutschlands tätig war, für die Einführung von Schluckimpfung und Ernährungsberatung sowie für den flächendeckenden Aufbau einer Krebsforschung und Krebsvorsorge verantwortlich. Bereits vor ihrem Amtsantritt als Ministerin, der erst durch massiven Druck der Unions-Frauen auf Bundeskanzler Konrad Adenauer zustande kommt, hat sich Schwarzhaupt für eine Reform des überholten Familien- und Eherechtes eingesetzt, das die Ehefrauen bis zum Gleichberechtigungsgesetz von 1957 zum Gehorsam gegenüber ihrem Ehemann verpflichtete und diesem in allen Ehe- und Familienfragen das letzte Wort gab. Die selbst unverheiratete Elisabeth Schwarzhaupt starb 1986 in ihrer Heimatstadt Frankfurt.

Dieser Text erschien am 14. November 2011 in der Neuen Ruhr Zeitung





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