Samstag, 25. Januar 2014

Wie groß ist die Macht der Lobbyisten und wie unabhängig ist die Politik? Ein Gespräch mit den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Ulrike Flach und Anton Schaaf

Wie unabhängig sind unsere Politiker? Eine Frage, die die Bürger umtreibt, wie die aktuelle Debatte um den Fall Pofalla (Deutsche Bahn) oder die Diskussion über frühere Fälle, wie die Gerhard Schroeders (Gazprom) oder Eckart von Klaeddens  (Daimler) zeigen. Können Politiker bruchlos in die Wirtschaft wechseln - oder sollte es eine Karenzzeit geben? Gibt es im deutschen Lobbyismus tatsächlich besorgniserregende Tendenzen? Transparency International behauptet es in seinem jüngsten Korruptionsindex. Auch die ehemaligen Mülheimer Bundestagsabgeordneten Ulrike Flach (FDP) und Anton Schaaf (SPD) sehen bedenkliche Tendenzen, obwohl sie den Lobbyismus nicht grundsätzlich verurteilen wollen und auch keine massive Zunahme sehen können

.„Die Lobbyisten sind vielleicht lauter und professioneller geworden, weil ihnen heute mehr Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen“, glaubt Schaaf. Auch er ließ sich als Rentenpolitiker von der privaten Versicherungswirtschaft zu einem Fachkongress einladen, „ohne dass ich deshalb zu einem Anhänger der privaten Altersvorsorge geworden wäre.“

Und als ihn ein Anrufer aus dem Gewerkschaftslager darum bat, sich dafür einzusetzen, die auslaufende Altersteilzeitregelung um einige Wochen zu verlängern, um noch laufende Altfälle abarbeiten zu können, folgte er diesem Wunsch, weil er das in der Sache richtig fand.

Als gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion und Gesundheitsstaatssekretärin hat Ulrike Flach seit 2009 den massiven Einfluss der Gesundheitslobby kennengelernt. „Ob Pharmaindustrie, Krankenkassen und Krankenhäuser oder Ärzte, Apotheker und Medizingerätehersteller: In Berlin hat jedes große Unternehmen ein eigenes Verbindungsbüro. Und für jede Gesundheitsbranche kommt dort mindestens ein Interessenverband hinzu“, berichtet Flach.

An manchen Tagen, so erinnert sie sich, habe sie mit drei verschiedenen Lobbyisten gesprochen, allerdings nie ohne die Begleitung durch eine Expertin oder einen Experten aus der zuständigen Fachabteilung ihres Ministeriums.

„Solche Gespräche darf man nie alleine führen“, betont Flach. Denn die Begleitung durch eine Fachfrau oder einen Fachmann aus dem eigenen Hause erleichterte ihr nicht nur den Faktencheck, sondern verhinderte auch, dass sie mit einer falschen Einschätzung in der Öffentlichkeit zitiert werden konnte.

„Im Gesundheitswesen geht es um sehr viel Geld, aktuell etwa 280 Milliarden Euro pro Jahr, und deshalb auch um langfristige wirtschaftliche Zukunftschancen“, erklärt die ehemalige Gesundheitspolitikerin, warum sich Lobbyismus in der Gesundheitspolitik besonders auszahlt.

Besonders bedenklich findet sie, „dass es im Bundestag keine Befangenheitsregelung, wie im Rat der Stadt gibt.“ Das führe in der Praxis dazu, dass im Gesundheitsausschuss mehr als die Hälfte der Abgeordneten aus Gesundheitsberufen kämen und mit ihren Gesetzentwürfen zum Teil eindeutig Berufsinteressen vertreten würden. Flach denkt dabei zum Beispiel an einen Ärztekammerpräsidenten, an den Aufsichtsrat einer privaten Klinikkette, an den Geschäftsführer eines Fachärzteverbandes oder an eine ehemalige Gesundheitsministerin an der Spitze eines Pharmaverbandes. Flach und Schaaf sind sich einig, dass es zumindest eine Karenzzeit geben sollte, ehe Politiker mit ihrem in der Politik gesammelten Fachwissen in der Wirtschaft Geld verdienen dürfen.

Dass ein Staatsminister wie Eckart von Klaeden nach dem Ende der letzten Legislaturperiode aus dem Kanzleramt nahtlos in die Automobilindustrie wechselt, hält Schaaf für ein Unding.

„Ich halte aber auch nichts von einem Berufsverbot, weil viele Abgeordnete nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag nicht in ihren alten Beruf zurückkehren können, weil sie im Laufe der Zeit den Anschluss verloren haben oder ihr alter Arbeitsplatz gar nicht mehr existiert“, unterstreicht Flach.

Für sie und für Schaaf ist es heute keine Option, ihr politische Fachwissen zum Beispiel in der Gesundheits- oder Versicherungswirtschaft in klingende Münze umzuwandeln.

„Wäre ich zehn Jahre jünger und in einer anderen Partei“, sähe das vielleicht anders aus“, räumt die 62-jährige Flach ein. Ihr 51-jähriger Ex-Kollege Schaaf könnte sich ein politisches oder soziales Berufsleben nach dem Bundestag vorstellen.

Das Angebot von Wahlkampfspenden oder anderen geldwerten Vorteilen haben Flach und Schaaf, so sagen sie, nie erlebt und hätten solche unmoralischen Angebote, wenn es sie denn gegeben hätte, nie angenommen. Flach kann sich aber daran erinnern, dass der Chef eines Pharmaunternehmens auch schon mal abends bei ihr Zuhause anrief, als es um die Nutzenbewertung neuer Medikamente ging. „Ich habe das Gespräch mit Lobbyisten aber auch nie abgelehnt, weil wir als Politiker immer auch diejenigen anhören müssen, für die unsere Entscheidungen massive wirtschaftliche Auswirkungen haben“, erklärt Flach. Für die Zukunft wünscht sich Ulrike Flach einen Bundestag, der mehr Geld in seine wissenschaftlichen Mitarbeiter investiert, damit so die Parlamentarier dem geballten Fachwissen der Lobbys besser gewachsen sind.


Dieser Text erschien am 7. Januar 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

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