Sonntag, 2. Februar 2014

Die letzte irdische Herberge: Ein Blick in das Arbeiten und Leben im stationären Hospiz an der Friedrichstraße


„Liebe Schwestern, liebe Pfleger, liebe Ehrenamtliche! Wir hätten für unsere Mutter keinen schöneren Ort finden können, als dieses Haus. Für Ihre liebevolle Zuwendung und Fürsorge unseren herzlichen Dank.“ Solche Einträge, die tief empfundene Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, füllen die Seiten eines Gästebuches, das im Raum der Stille ausliegt. An der Wand hängt ein Bild, das die anziehende Wärme eines Lichtes ausstrahlt. In das Fenster scheint die Sonne in den Raum der Stille, der nicht, wie eine Kapelle, sondern wie ein gemütliches Wohnzimmer eingerichtet ist. Draußen auf der Friedrichstraße fließt der geschäftige Verkehr in Richtung Innenstadt, vorbei an der gut 100 Jahre alten Thyssen-Villa, die im vergangenen Jahr für 2,5 Millionen Euro zum Hospiz umgebaut worden ist.

Das Haus aus der Gründerzeit wurde um einen modernen Anbau aus Stahl und Glas erweitert. Durch ihn wird das alte Gebäude auf der ehemaligen Straße der Millionäre mit Tageslicht geflutet. Gemütliche Apartments, gedeckte Tische, bequeme Sitzecken und eine Terrasse auf dem ein Strandkorb zum Verweilen und zum Ausblick in den Garten einlädt. In einer Küche steht ein Obstkorb bereit und ein kleiner Imbiss wird zubereitet.

Der Gast fühlt sich wie in einem Hotel. Die meisten Gäste, die hier einziehen, bleiben nur wenige Tage, bis sie ihre letzte Reise antreten. 90 Menschen haben seit der Eröffnung des Hospizes im November 2012 hier ihre letzte irdische Herberge gefunden.

Die gastliche Atmosphäre ist für die kommissarische Leiterin des Hospizes, Marie Luise Gerling-Kleine-König und ihre 15 hauptamtlichen Kollegen, die sich als Pflegekräfte um sterbenskranke Menschen kümmern, spricht von ihnen als von „unseren Gästen“ Ein Vers aus dem Lukas-Evangelium: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ haben sie sich zum gemeinsamen Auftrag gemacht.

„Wenn Gäste einen besonderen Wunsch haben, versuchen wir diesen auch zu erfüllen“, betont Gerling-Kleine-König. Das können Kaviar und Sekt sein, dass kann ein Besuch im Fußballstadion oder beim Starlight-Express in Bochum sein.

Obwohl die 54-jährige Gerling-Kleine-König, die in ihrem ersten Berufsleben Hörgeräteakustikerin und Krankenschwester war, ehe sie vor 13 Jahren durch eine Hospitation zur Hospizarbeit fand und ihre in der Pflege tätigen Kollegen Ingo Haneke(44) und Elisabeth Natonski (45) täglich mit sterbenden Menschen umgehen müssen, die zum Beispiel an Krebs, Aids oder unheilbaren Muskelerkrankungen leiden, machen sie keinen unglücklichen Eindruck.

„Wir gehen hier sehr ehrlich und würdevoll miteinander um“, beschreibt Gerling-Kleine-König die Atmosphäre im Angesicht der Endlichkeit. Auch Haneke hat das Gefühl, dass seine Kolleginnen und er gerade im Angesicht des Todes ihren „sehr lebensbejahend“ miteinander leben und arbeiten. „Denn dieser Job“, so Haneke, „erdet einen, weil man die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen lernt.“ Dazu gehört auch eine kleine Zigarettenpause im Strandkorb mit Gartenblick. „Hier erlebt man einen ganz anderen zwischenmenschlichen Kontakt mit mehr Ehrlichkeit und Offenheit“, findet Notonski. Seit sie jeden Tag mit sterbenden Menschen umgehen, leben Haneke und Notonski „viel bewusster, weil sie jeden Tag erfahren, dass es am Ende nicht die materiellen Dinge, sondern die menschlichen Beziehungen sind, die unser Leben bereichern.“

Gerade in ihrer Schwäche erleben sie ihre sterbenden Gäste oft als starke und gelassene Menschen, die ihnen selbst zur Kraftquelle werden und ihnen etwas von der eigenen Angst vor dem Tod nehmen. „Ich bin hier am richtigen Ort“, glaubt Haneke, der seine Arbeit als die „einer Hebamme am Ende des Lebens“ begreift. Den Tod selbst sieht er „wie eine Tür, durch die man durchgehen muss.“ Und er ist davon überzeugt, „dass keine menschliche Energie verloren geht.“

Auch Gerling-Kleine-König, hat durch ihre Arbeit im Hospiz zu seiner ehrlicheren und selbstbewussteren Lebenseinstellung gefunden, die sich nicht so schnell auf faule Kompromisse einlässt. Gerade durch ihren Beruf im Dienst der Nächstenliebe, hat sie gelernt, „dass wir uns zunächst einmal selbst akzeptieren müssen, wenn wir andere lieben wollen und das wir als Menschen auch Fehler machen dürfen, die wir uns auch verzeihen müssen.“

Dazu gehört auch die Einsicht, dass man regelmäßig auftanken muss, um neue Kräfte zu bekommen, sei es durch regelmäßige Supervision, durch Musik und Sport in der Freizeit oder, wie es Gerling-Kleine-König zuletzt selbst erlebt hat, durch Besinnungstage im Kloster einer befreundeten Ordensfrau.


Gestärkt werden die 15 hauptamtlichen Mitarbeiter des stationären Hospizes aber auch durch ihre ehrenamtlichen Kollegen, die sich unentgeltlich im und für die Menschen im Hospiz engagieren. Eine von ihnen ist die 49-jährige Marlene Winnesberg, die einmal pro Monat am Empfang des Hospizes mitarbeitet. „Ich fühle mich zum Hospiz hingezogen, weil ich glaube, dass wir gerade in einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen alleine leben, Häuser brauchen, in denen sie würdevoll sterben können.“

Zum ehrenamtlichen Fundament der Hospizarbeit gehört auch der bereits 1996 gegründete Hospizverein, der sich inzwischen als ambulantes Hospiz zum Kooperationspartner des noch jungen stationären Hospizes entwickelt hat. 32 Frauen und acht Männer begleiten im Auftrag des ambulanten Hospizes als ehrenamtliche, aber qualifizierte Sterbebegleiter. Sie stehen sterbenskranken Menschen bei, die noch in ihren eigenen vier Wänden leben oder gerade erst den Umzug ins stationäre Hospiz hinter sich gebracht haben, aber auch dort ihre vertrauten Begleiter nicht missen wollen.

Die Vorsitzende des Ambulanten Hospizes, Ursula König, sieht das stationäre Hospiz nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung und Fortsetzung der 1996 vom damaligen Caritas-Direktor Klemens Anders, ihrem Mann Henning und ihr begonnen Hospizarbeit. „Das ist ein Geschenk“, sagt sie und sieht die ehrenamtlichen Sterbebegleiter „als unseren Schatz.“

Der Schatz besteht aus ihrer Sicht darin, dass die ehrenamtlichen Sterbebegleiter, „dass sie das tun, was heute viele Menschen nicht mehr können, nämlich Zeit mitzubringen und den sterbenden richtig zuzuhören.“ Da wird so mancher letzte Wunsch vom Glas Campari Orange über den Ausflug an die Ruhr bis zum Besuch bei einem alten Freund erfüllt. Da wird so manche Lebensgeschichte besprochen. „Hier geht es auch darum, den sterbenden ein Wohlgefühl zu vermitteln und sich mit ihnen vor allem auch an die guten Zeiten in ihrem Leben zu erinnern, damit sie ihre Leben am Ende auch als wertvoll erfahren können“, sagt König.

Wie lebenswichtig eine solch menschliche Begleitung auf den letzten Metern des irdischen Lebens ist, haben nicht wenige der ehrenamtlichen Sterbebegleiter als Angehörige erfahren, die sterbende Freunde und Verwandte begleiten mussten und dabei von den freiwilligen Helfern des ambulanten Hospizes nachhaltig unterstützt und entlastet wurden.
 

Hintergrund


Sowohl das stationäre als auch das ambulante Hospiz sind auf Spenden angewiesen, um ihre Arbeit zu leisten. Das stationäre Hospiz verfügt über 12 Gästezimmer, zehn für sterbende Menschen und zwei für Angehörige, die im Hospiz übernachten wollen. Die vom Evangelischen Krankenhaus und dem Diakoniewerk getragene Einrichtung kann seine Dienstleistung zum größten Teil über Gelder der Kranken- und Pflegeversicherung finanzieren, muss aber rund zehn Prozent seines jährlichen Budgets (rund 200.000 Euro) durch Spenden erwirtschaften. Bereits vor dem Umbau und der Eröffnung des stationären Hospizes konnten rund 300.000 Euro als Spenden aus der Bürgerschaft eingeworben werden. Weitere 400.000 Euro stellte die von der ARD-Fernsehlotterie finanzierte Stiftung Deutsches Hilfswerk bereit. Außerdem spendete das Ambulante Hospiz 50.000 Euro für die Anschaffung von Pflegebetten zur Verfügung. Im Januar 2013 konnten der Diözesanrat und der Mülheimer Katholikenrat das ambulante und das stationäre Hospiz mit jeweils 6000 Euro unterstützen. Bei dem Geld handelte es sich um die beim dritten Barbaramahl gesammelten Spenden. Die 15 hauptamtlichen Mitarbeiter des Hospizes werden zurzeit von insgesamt 68 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und einem 140 Mitglieder zählenden Förderverein unterstützt. 40 von ihnen kommen aus dem Ambulanten Hospiz, das aus dem 1996 am St. Marien-Hospital gegründeten und heute 275 Mitglieder zählenden Hospizverein hervorgegangen ist. Das Hospiz an der Friedrichstraße 40 ist in Mülheim unter: 0208/97065500 und das Ambulante Hospiz an der Kaiserstraße 30 unter: 0208/3052063 erreichbar. Per E-Mail sind das stationäre Hospiz unter info@hospiz-mh.de erreichbar. Weitere Informationen gibt es im Internet unter: www.hospiz-mh.de und unter www.ambulantes-hospiz-mh.de
 
Dieser Text erschien am 5. Juli 2013 in der katholischen Zeitung Ruhrwort

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