Mittwoch, 12. März 2014

Reden wir doch mal über die Wirtschaft: In einer BWL-AG lernen Zehntklässler der Realschule Broich das kleine Einmaleins der Betriebs- und Volkswirtschaft



Welche Unternehmen gibt es in Mülheim und wie verdienen sie ihr Geld? Was ist der Unterschied zwischen einer Aktiengesellschaft und einer GmbH? Wie arbeiten Banken und welche Geldanlagemöglichkeiten bringen welche Risiken und Renditen? Und was muss ein Selbstständiger bei einer Betriebskostenrechnung beachten?

Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigen sich Miriam Kneffel, Regina Habig, Julia Elsner, Karolin Detmers, Pia Marie Helmberg, Kim Christin Frütel und Thomas Dlugosch immer dienstagsnachmittags. Dann treffen sie sich die Schüler mit ihren Lehrern Jochem Bonacker und Christian Kosmalla zur AG Betriebswirtschaftslehre. Das Engagement und der Wissensdurst, den die Zehntklässler der Realschule Broich an den Tag legen, ist umso beachtlicher, da es freiwillig und unzensiert ist und in eine arbeitsintensive Zeit fällt, in der sich die Jugendlichen auf ihr zentralen Abschlussprüfungen vorbereiten müssen.

Doch sie haben eine gemeinsame Motivation, die sie antreibt. Nach der Mittleren Reife wollen sie auf das Wirtschaftsgymnasium an der Lehnerstraße wechseln und dort ihr Abitur machen. Von dort kommt auch der Wirtschaftspädagoge Jochem Bonacker, der sich aufgrund zusätzlicher Verpflichtungen am Wirtschaftsgymnasium und am Berufskolleg Lehnerstraße in diesem Halbjahr von angehenden Sozialwissenschaftslehrer Christian Kosmalla vertreten lässt.

Die beiden Pädagogen sind sich mit ihren Schülern einig, dass ein Schulfach Wirtschaft, wie es noch bis Ende des Schuljahres an 70 Realschulen des Landes erprobt wird, wünschenswert wäre. „Das Thema Wirtschaft ist so vielseitig, dass man jedes Fach, in dessen Rahmen man es unterrichten könnte, damit überfrachten würde“, glaubt Schülerin Pia Marie Helmberg.

„Die meisten Schüler gehen sehr naiv an das Thema Wirtschaft heran, obwohl die meisten von ihnen ja auch schon Wirtschaftsakteure sind, wenn sie etwa ein Girokonto eröffnen, einen Handyvertrag haben oder einen Nebenjob machen“, weiß Kosmalla. „Es kann nicht sein, dass jemand der keinen Leistungskurs Sozialwissenschaften gewählt hat, die Schule ohne nennenswerte wirtschaftliche Grundkenntnisse verlässt. Das gehört zur Allgemeinbildung und ist Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe“, plädiert Bonacker  für ein Schulpflichtfach Wirtschaft, wie es in Süddeutschland bereits eingeführt worden ist.

Auch Realschulrektor Wolfgang Dahmen kann sich ein Schulfach Wirtschaft vorstellen, weist aber auch darauf hin, dass er dafür mehr Pädagogen mit ökonomischen Fachwissen bräuchte und angesichts der begrenzten Wochenstundenzahl ein anderes Fach aufgeben müsste. Für ihn hat die vor zehn Jahren eingerichtete BWL AG vor allem das Ziel, „den Schülern, die zum Wirtschaftsgymnasium wechseln wollen Wissen zu vermitteln, damit sie sich hier schon freischwimmen können.“

„Egal, ob ich später Pilot, Bankkaufmann oder Kassierer im Supermarkt werde, wirtschaftliche Grundkenntnisse werde ich immer brauchen, wenn ich zum Beispiel einen Versicherungsvertrag abschließe oder mich um meine Rente kümmern muss“, weiß Thomas Dlugosch. Er fand es spannend zu erfahren, wie das milliardenschwere Internetnetzwerk Facebook mit Werbung und den persönlichen Daten seiner Nutzer Geld verdient. Für Miriam Kneffel waren Einblicke in die Betriebskostenrechnung und Buchführung eines Unternehmers spannend, „weil ich mit solchen Themen sonst gar nicht in Berührung kommt.“ Außerdem empfindet sie das Arbeiten in einer kleinen Gruppe, „in der man immer wieder seine Fragen stellen und eine verständliche Antwort bekommen kann“, als sehr entspannend.

Anders, als in vielen Wirtschaftsmedien bleiben Begriffe, wie Absatz, Umsatz, Fixkosten oder Deutscher Aktienindex (DAX) in der BWL AG für die Schüler kein Buch mit sieben Siegeln. Auch Prozentrechnen und Dreisatz erscheinen ihnen nach dem Blick auf Unternehmensstatistiken und Bilanzen in einem ganz praktischen Licht.

Viele der Jugendlichen, die sich am dienstags Zeit für die Wirtschaft nehmen, haben diese bereits als Praktikanten bei Banken und Versicherungen oder als Kinder von selbstständigen Unternehmern kennengelernt. „Ich finde es spannend, wie man ein Unternehmen wirtschaftlich am Laufen halten kann“, sagt Karolin Detmers. Sie hat ihrer Mutter schon oft bei der Buchführung über die Schulter geguckt und kann sich vorstellen, nach einer entsprechenden kaufmännischen Ausbildung in das Speditionsunternehmen ihres Vaters einzusteigen. Auch ihre Mitschüler haben eine kaufmännische Berufsperspektive vor Augen oder können sich eine Tätigkeit als Finanzbeamtin oder Wirtschaftsinformatikerin vorstellen.



Dieser Text erschien am 27. Februar 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

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