Samstag, 19. April 2014

Zu viel Bürokratie und zu wenig Personal: Altenpfleger berichten aus ihrem Arbeitsalltag

„Mal sehen, ob das Geld auch bei uns ankommt“, sagt Vera Anders mit Blick auf die Reformpläne von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, die mehr Geld in die Pflege fließen lassen und die drei Pflegestufen durch fünf Pflegegrade ersetzen sollen. Dass Gröhe von der Minutenpflege weg will, findet die Betriebsratsvorsitzende der Mülheimer Seniorendienste gut. Doch sie bleibt skeptisch und sagt: „Bisher sind wir von der Politik nicht gerade gut unterstützt worden.“

Diese Skepsis teilen auch ihre Berufs- und Betriebsratskollegen Christine Brüseke (47), Petra Bollig und Ulrich Gunther (beide 55). Brüseke arbeitet seit 29 Jahren als examinierte Altenpflegerin, erst im Haus Auf dem Bruch und jetzt im Haus Gracht. Bollig arbeitet seit 27 Jahren als Pflegehelferin im Haus Auf dem Bruch. Und Gunther ist seit 36 Jahren als Pflegehelfer im Haus Kuhlendahl tätig.

Alle lieben ihre körperlich und psychisch anstrengende Arbeit. „Wir wollen alten Menschen helfen und ihnen die letzte Wegstrecke ihres Lebens so angenehm und sinnvoll, wie möglich gestalten“, erklären sie ihre Motivation.

Bollig berichtet begeistert von einem Nachmittag, als sie mit Bewohnern Eierpfannekuchen gebacken hat. Auch Brüseke und Gunther berichten von der Zufriedenheit, die sie erleben, wenn sie von pflegebedürftigen Bewohnern ein „Danke“ oder ein Lächeln bekommen oder wenn sie von ihnen hören: „Das haben Sie gut gemacht. Schön, dass Sie da sind und passen Sie gut auf sich auf.“ Die 88-jährige Maria Schmidt, die im städtischen Altenheim an der Gracht lebt, weiß genau, was sie von einer guten Altenpflegekraft erwartet: „Ein Lächeln und gute Manieren.“

Doch das Lächeln ist den Pflegekräften seit Einführung der Pflegeversicherung und ihrer drei Pflegestufen (1995) schon oft vergangen. Denn seitdem sehen sie ihren Arbeitsalltag von Personalmangel und bürokratischen Dokumentationspflichten überschattet.

„Wir haben einfach zu wenig Leute, weil der Personalschlüssel in den Altenheimen von den Pflegestufen ihrer Bewohner abhängig ist. Das bedeutet: Je mehr Bewohner mit Pflegestufe 3, desto besser. Doch auch die Bewohner, die nur Pflegestufe 1 haben, sind heute oft schon sehr hilfsbedürftig“, erklärt Bollig. „Früher hatten wir hier auch Bewohner, die noch mit ihren Familien in Urlaub gefahren sind, aber das ist vorbei,“ erinnert sich ihr Kollege Gunther.

Die examinierte Altenpflegerin Brüseke, die auch Bewohnerakten führen und Medikamente zusammenstellen und geben muss, erinnert sich wehmütig an ihre ersten Berufsjahre, als sie noch mehr Zeit hatte, um mit Bewohnern zu sprechen, sie in den Arm zu nehmen, mit ihnen zu spielen oder zu basteln. „Wir waren damals wie eine große Familie. Heute arbeiten wir immer mit einer Uhr und einem Zeitdruck im Kopf“, erzählt Brüseke.

Das bleibt nicht aus, wenn man von den drei Pflegekräften erfährt, dass sich heute im Durchschnitt drei Kollegen um einen Wohnbereich mit 33 Bewohnern kümmern müssen, wo sich vor der Einführung des pflegestufenabhängigen Personalschlüssels noch zehn Kollegen die gleiche Arbeit teilten.

Hinzu kommt, sagen Bollig, Brüseke und Gunther, „dass die Altenheimbewohner früher fitter waren als heute, weil sie inzwischen viel später ins Altenheim kommen und dort viel kürzer bleiben.“

Das Grundübel sieht Brüseke „im schlechten gesellschaftlichen Status, den wir als Altenpfleger haben, weil in unserer Leistungs- und Spaßgesellschaft Alter, Krankheit und Tod gerne verdrängt werden.“ Nicht nur sie ärgert sich darüber, „wenn viele Menschen Altenpfleger als Urinkellner bezeichnen und dabei die soziale, pflegerische und medizinische Verantwortung übersehen, die wir in unserem Beruf tragen müssen.“ Angesichts der großen Verantwortung, die Altenpfleger nicht nur bei der Medikamentengabe und der Entscheidung über pflegerische Maßnahmen tragen, sieht Brüseke ihre Kollegen und sich „manchmal mit einem Bein im Gefängnis stehen.“

Hinzu kommt, dass der hohe Kostenanteil, den Menschen für den Pflegeheimplatz ihrer Angehörigen bezahlen müssen, zu einer hohen und zuweilen auch aggressiv vorgetragenen Erwartungshaltung geführt hat. „Die Leute sehen eben oft nicht, dass das Geld, was sie bezahlen auch in Verwaltung, Küche und Bauunterhaltung fließt und nur zum geringsten Teil bei uns ankommt“, sagt Brüseke, die am Monatsende weniger als 2000 Euro netto mit nach Hause nimmt.


Dieser Text erschien am 11. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

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