Freitag, 11. Juli 2014

"Brasilien ist ein Land mit einem großen Potenzial": Ein Gespräch mit Michael Könen, der mit seinem Verein Kinder helfen Kindern grenzenlos seit vielen Jahren im Süden Brasiliens die Sozialarbeit der Salesianer Don Boscos unterstützt


Michael Könen hat sich gerade in Porto Alegre den französischen 3:0-Sieg über Honduras angeschaut. Als nächstes stehen die Partien Niederlande gegen Australien und Russland gegen Algerien auf seinem WM-Spielplan. Doch der 46-jährige Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmensberater aus dem Ruhrgebiet ist zurzeit weniger als Fußballfan, denn als Entwicklungshelfer im Süden Brasiliens unterwegs. Denn mit seinem Verein Kindern helfen Kindern, grenzenlos unterstützt er seit mehr als 15 Jahren die Sozial- und Jugendarbeit, die die Salesianer Don Boscos im Süden Brasiliens in Belle Itajai, Viamao, Ascurra, Joinville, Curitiba und Guarapuava leisten. Über die Motivation für sein persönliches Engagement und die soziale Lage im Land der Fußballweltmeisterschaft äußerte er sich jetzt im Gespräch mit der Tagespost.
Wie kam es zu Ihrem persönlichen Engagement für die Salesianer Don Boscos im Süden Brasilien?

Vier Jahre nach meinem Abitur am Essener Don-Bosco-Gymnasium habe ich 1992 in Brasilien einen Freund besucht und dabei die Sozialarbeit der Salesianer in Belle Itajai kennengelernt. Im Jahr darauf machte ich dort ein achtwöchiges Praktikum. Das war der Anfang.

 Wer trägt Ihren Verein?

Wir haben im Moment rund 50 Mitglieder, die durch ihre eigenen Mitgliedsbeiträge und durch ihre Mund-zu-Mund-Propaganda, etwa in Schulen, Gemeinden oder bei unterschiedlichen Veranstaltungen vom Festival Brasil bis zum Weltkindertag jedes Jahr 5000 bis 10.000 Euro für die gute Sache zusammenbringen.

Was ist die gute Sache?

Die Salesianer Don Boscos betreiben im Süden Brasilien fünf Sozialstationen, die alle in sogenannten Armenviertel (Favelas) liegen. Hier bekommen Kinder und Jugendliche nicht nur eine Mahlzeit, eine werteorientierte Erziehung und eine sinnvolle Freizeitgestaltung, sondern auch eine Schul- und Berufsausbildung und damit eine Chance für ihr weiteres Leben.

Können viele diese Chance nutzen?

Dort, wo die Salesianer arbeiten, entwickeln junge Leute eine positive Lebenseinstellung, die sie an ihre Zukunft glauben und in ihre Zukunft investieren lässt. Das sieht man schon daran, wenn die Menschen beginnen, ihre Hütten durch den Bau eines Steinhauses zu ersetzen. Viele brauchen noch nicht mal eine zwei- oder dreijährige Berufsausbildung als Friseur, Bäcker oder Sekrtärin. Oft reicht schon der Anschub durch ein mehrmonatiges Berufstraining, um ihnen einen Arbeitsplatz zu verschaffen.

Wie unterstützen Sie diese Sozialarbeit?

Durch die 5000 bis 10.000 Euro, die wir jährlich als Spenden zusammentragen und 1:1 den Salesianern im Süden Brasiliens zur Verfügung stellen, konnten wir schon diverse Arbeitsgeräte von der Druckmaschine über einen Backofen bis zum Lieferwagen, aber auch die Errichtung von Spiel- und Sportplätzen, den Bau einer Begegnungsstätte oder die Anschaffung von Schulmaterialien, Sportgeräten und Musikinstrumenten finanzieren. Das Geld bringe ich jedes Jahr persönlich nach Brasilien und bespreche die aktuellen Projekte mit dem Pater Provinzial. Derzeit müssen zum Beispiel Sanitäranlagen renoviert werden.

Warum protestieren die fußballverrückten Brasilianer auf einmal gegen die WM?

Wenn der Ball rollt, ist der Brasilianer Fußballer. Das war so. Das ist so. Und das bleibt so. Aber die Proteste haben mich nicht überrascht. Denn immer mehr Menschen in Brasilien erkennen, dass die WM und die Olympischen Spiele 2016 für sie eine geeignete Plattform sind, um öffentliche und politische Aufmerksamkeit für ihre berechtigten Interessen zu bekommen. Hinzu kommt, dass im Oktober Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anstehen. Da müssen die Politiker auf Proteste reagieren.

Wo hakt es im Land des fünffachen Fußball-Weltmeisters?

Beim Stadienbau für die WM ist viel Geld dumm verbraten worden, während die versprochenen Investitionen in die Infrastruktur von Straßen und Flughäfen weiter auf sich warten lassen. Aber auch im Gesundheits- und Bildungssektor muss dringend investiert werden. Die Gesundheitsversorgung ist teuer und schlecht. Die Renten- und Krankenversicherung ist in Brasilien nicht ansatzweise mit der unseren zu vergleichen. Die Salesianer helfen den Armen zum Teil mit einer kostenlosen Gesundheitsversorgung. Aber die Ärzteverteilung im Land ist nicht optimal. Und es gibt zu wenige Krankenhäuser und zu viele Kliniken, die bereits marode sind. Auch Bildung ist in Brasilien ein Wirtschaftsgut. Wer seinen Kindern eine gute Ausbildung verschaffen will, wird tunlichst vermeiden, sie auf staatliche Schule zu schicken. Doch für die Ausbildung an privaten Schulen und Hochschulen muss man tief in die Tasche greifen. Die monatlichen Studiengebühren liegen bei umgerechnet rund 1000 Euro, der gesetzliche Mindestlohn bei etwa 250 Euro pro Monat. Und die Preise in Brasilien sind im Schnitt mit denen bei uns vergleichbar.

Wie sehen Sie die Zukunft Brasiliens, unabhängig davon, ober der WM-Gastgeber diesmal auch Fußballweltmeister wird?

Das Land hat ein großes Potenzial. Der Mittelstand ist in den letzten Jahren gewachsen. Es gibt viele Rohstoffe und eine junge und wachsende Bevölkerung, die mit ihrer riesigen Binnennachfrage die Wirtschaft ankurbelt. Die Zivilgesellschaft hat Fortschritte gemacht. Immer mehr Brasilianer engagieren sich und haben erkannt, dass sie ihre Lebensbedingungen durch eigenes Zutun verbessern können und das politische Korruption kein Naturgesetz, wie das tägliche Auf- und Untergehen der Sonne ist. Ich kenne zum Beispiel einen Rechtsanwalt, der mit einem privaten Verein die Ausgaben des Bürgermeisters von Itajai kontrolliert. Allerdings hat Brasilien den Fehler gemacht, seine Märkte zu sehr nach außen abzuschotten. Damit wird es natürlich schwer, neue Technologien ins Land zu bekommen.

(Weitere Informationen gibt es unter www.grenzenlose-hilfe.de im Internet oder direkt bei Michael Könen  unter der Rufnummer 0173/3215008)
Dieser Text erschien am 28. Juni 2014 im Neuen Ruhr Wort und in der Tagespost

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