Mittwoch, 8. Oktober 2014

Die gesetzliche Betreuung zwischen professionellem Anspruch und finanzieller Wirklichkeit

Zuviel Arbeit für zu wenig Geld. Mit diesem Problem wollen die Mülheimer Betreuungsvereine heute den Mülheimer SPD-Bundestagsabgeordneten Arno Klare und zu einem späteren Zeitpunkt auch seine CDU-Kollegin Astrid Timmermann-Fechter konfrontieren. Es geht um eine Novellierung des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes.

„Dieses Gesetz hat die Vergütung einer Betreuerstunde 2005 auf pauschal auf 44 Euro festgelegt. Seitdem sind die Personalkosten allerdings um 15 Prozent gestiegen, so dass wir heute unseren hauptamtlichen Betreuern 52 Euro pro Stunde bezahlen müssen“, erklärt Dagmar Auberg. Die 55-jährige Sozialpädagogin leitet den Betreuungsfachdienst des Sozialdienstes katholischer Frauen und Männer (SKFM) seit 1996 und hat zu dem heutigen Gespräch eingeladen.

Wenn es nach Auberg und ihren Kollegen aus den anderen Betreuungsvereinen ginge, würde der Bundestag 2015 eine entsprechende Anhebung und Dynamisierung der Betreuungsvergütung beschließen. „Ich bin auch sehr zuversichtlich, dass dies geschehen wird, weil der Druck aus den in der Betreuungsarbeit tätigen Wohlfahrtsverbänden in den letzten vier Jahren massiv zugenommen hat“, sagt Auberg. Zweifel hat sie aber an der Zustimmung des Bundesrates, weil die Länder die Betreuervergütung am Ende bezahlen müssen.

Auch wenn die Mülheimer Betreuungsvereine die Kluft zwischen Vergütung und Lohnzahlung bisher durch Mehrarbeit ausgeglichen haben, macht Auberg deutlich, dass die Mehrbelastung der hauptamtlichen Betreuer keine Dauerlösung sein kann und in einigen Städten auch schon zur Aufgabe von Betreuungsvereinen geführt hat.

So weit soll es nicht nur in Mülheim nicht kommen. „Wir dürfen nicht in die Zeiten des alten Vormundschaftsrechtes zurückfallen, als ein Betreuer 200 Klienten betreute, allerdings nur vom Schreibtisch aus und nach Aktenlage.“

Mit dem neuen Betreuungsrecht wurde die Betreuung der sehr oft psychisch kranken oder alkohol- und drogenabhängigen Klienten zu einer persönlichen Begleitung. „Wir sprechen hier von sehr betreuungsintensiven Klienten, die zu über 90 Prozent auf Sozialleistungen angewiesen sind“, erklärt Auberg. Oft geht es nicht nur um Begleitung zu Ämtern, das Beantragen von Sozialleistungen oder Schuldenmanagement, sondern auch um die Abwendung von Obdachlosigkeit. „Es wird immer schwerer, für unsere Klienten Wohnraum zu finden“, weiß Auberg.

Rund 88 Prozent der Klienten brauchen eine Betreuung, die länger als ein Jahr dauert.

Und hier verschärft sich das Problem. Denn im zweiten Betreuungsjahr entfällt die an der Schwere der Betreuungsfälle orientierte Staffelung der vergüteten Betreuungsstunden auf pauschal 3,5 Stunden pro Monat und Klient. „Wir haben auch einige besonders schwere Fälle, die auch schon mal 25 Stunden pro Monat brauchen. Und dann wird es wirklich schwierig, weil die anderen Klienten ja auch betreut werden wollen“. erklärt Auberg
Neben dem SKFM sind in Mülheim der Ev. Betreuungsverein, die Betreuungsstelle der Stadt und der zum Arbeitersamariterbund gehörende Verein Escor in der Erwachsenenbetreuung tätig.

Die meisten hauptamtlichen Betreuer sind studierte Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter.

Zwei Vollzeitbetreuer kümmern sich beim SKFM um je 50, zwei Teilzeit-Betreuer um je 25 Klienten. Ihre Fallzahlen stiegen damit seit 2005 um 10 Prozent.

55 ehrenamtliche Betreuer kümmern sich beim SKFM um je einen leichten Betreuungsfall, in der Regel aus der eigenen Familie.
 

Die gesetzliche Betreuung darf kein Zuschussgeschäft werden

 
Als überzeugend und nachvollziehbar sieht der Mülheimer SPD-Bundestagsabgeordnete Arno Klare die Forderung der Betreuungsvereine, die Vergütung einer Betreuerstunde von derzeit 44 auf 52 Euro anzuheben und anschließend eine dynamische Anpassung an die Lohnkostenentwicklung festzuschreiben. Klare hatte sich, wie berichtet, am Mittwoch auf Einladung des Sozialdienstes katholischer Frauen und Männer mit den Vertretern der örtlichen Betreuungsvereine getroffen, um mit ihnen das Problem der aktuellen Lücke zwischen der gesetzlichen Vergütung und der tatsächlichen tariflichen Entlohnung der hauptamtlichen Betreuer zu besprechen. „Schon heute schreiben weit mehr als die Hälfte der 820 deutschen Betreuungsvereine eher eine rote als eine schwarze Null. Und man kann den dahinter stehenden Wohlfahrtsverbänden nicht zumuten, dass sie für ihre Betreuungsarbeit, die an Intensität zugenommen hat, auch noch Geld zuschießen“, beschreibt der Abgeordnete die Situation.

Er weist darauf hin, dass sich SPD und Union bereits in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt hatten, die finanziellen Rahmenbedingungen der Betreuungsvereine zu verbessern, ohne dabei konkrete Zahlen zu nennen.

Klare geht davon aus, dass die grundsätzliche Forderung der Betreuungsvereine im Bundestag und auch im Bundesrat eine Mehrheit finden wird, weil Bund und Länder kein Interesse daran hätten, dass die Betreuungsvereine ihre Arbeit aufgeben und der Staat dann nicht nur auf den Kosten, sondern auch auf der Arbeit sitzen bleiben würde.
 
Diese Texte erschienen am 1. und 4. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

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