Montag, 23. März 2015

Zum 50. Geburtstag der Essener Gespräche fragten sich deren Teilnehmer: Wie können Kirche und Staat neues Vertrauen gewinnen?

Wie können Kirche und Staat neues Vertrauen gewinnen? Mit dieser Frage beschäftigte sich jetzt der Festakt, mit dem im Hotel Franz der 50. Geburtstag der Essener Gespräche gefeiert wurde.“Freiheit braucht immer das Vertrauen zwischen den Regierten und den Regierenden“, betonte der Tagungsleiter der Essener Gespräche, Paul Kirchhof und zitierte Nicolaus Cusanus: „Denke einfach, zusammenführend und beherzt. Der Gläubige kennt keine Angst und drängt zur Tat.“

Zur Tat aufgefordert sieht Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck die Kirche und ihre Mitglieder auch in einer Zeit, „in der wir nicht mehr Volkskirche, sondern nur noch Kirche im Volk sind.“ In einem ökumenischen Festgottesdienst, den er zusammen mit dem Präses der Rheinischen Landeskirche, Manfred Rekowski, leitete, forderte Overbeck mit Blick auf die Bergpredigt Jesu dazu auf, „auch heute Salz der Erde und Licht der Welt zu sein.“

Auch nach 50 Jahren sieht er die Essener Gespräche als ein wichtiges Forum, um an der Schnittstelle von Kirche und Staat, „für unsere Gesellschaft vor und nachzudenken.“ In seiner Predigt warnte der Ruhrbischof die Christen davor, „in einer Nische zu bleiben“ statt „mit der Frohen Botschaft zu wirken, sich dem gesellschaftlichen Dialog zu stellen und diesen zu gestalten.“

Sein evangelischer Amtsbruder Manfred Rekowski griff auf die Barmer Erklärung der Bekennenden Kirche aus dem Jahr 1934 zurück, um das Verhältnis von Kirche und Staat zu beschreiben: „Regierende und Regierte müssen aus ihrer Verantwortung vor Gott für Frieden und Gerechtigkeit sorgen. Der Staat kann nicht die einzige und totale Ordnung sein. Und die Kirche kann sich nicht staatliche Aufgaben anmaßen.“

Zwei Dinge wurden in der Diskussion mit Politikern, Kirchenvertretern und Juristen deutlich: Kirche und Staat sind Verbündete, wenn es darum geht, die Gesellschaft mit positiven Impulsen weiterzuentwickeln, auch wenn Konflikte, etwa beim Thema Kirchenasyl oder kirchliches Arbeitsrecht offen zu Tage treten.

„Die Kirchen müssen das gemeinsame europäische Recht anerkennen“, fordert etwa der Berliner Innen-Staatssekretär Günter Krings (CDU) beim Thema Kirchenasyl. „Wir stehen als Kirchen nicht über dem Recht. Aber wir können nicht übersehen, dass Flüchtlinge, die aus sicheren Drittländern, wie Spanien oder Italien zu uns kommen und dorthin zurückgeschickt werden, auf der Straße leben müssen“, hält der Leiter des katholischen Büros in Berlin, Karl Jüsten, dagegen. Justiz-Staatssekretär Christian Lange (SPD) relativiert: „Wir sollten Respekt davor haben, dass sich Menschen aus ihrer christlichen Überzeugung heraus für Flüchtlinge engagieren und dabei nicht vergessen, dass wir bundesweit vielleicht von gerade mal 780 Kirchenasyl-Fällen reden.“

Krings, Lange und Volker Beck von den Grünen sind sich über Parteigrenzen hinweg einig, dass die christlichen Kirchen in moralischen Fragen unverzichtbare Gesprächspartner und Impulsgeber sind. „Das reicht von Abtreibung und Bioethik bis zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr“, macht Lange das Spektrum deutlich.

Dabei macht sich der Chef-Lobbyist der katholischen Bischofskonferenz, in Berlin keine Illusionen darüber, dass der gesellschaftliche Wandel auch an der Arbeit des katholischen Büros nicht spurlos vorbeigegangen ist. „Kirche bekommt heute nichts mehr, weil sie Kirche ist“, sagt er. Volker Beck, selbst bekennender Christ, beschreibt die Säkularisierung der Gesellschaft so: „Vor 50 Jahren waren rund 95 Prozent der Deutschen Mitglied einer christlichen Kirche. Heute ist es gerade noch die Mehrheit.“ Bei Diskussionen stößt er inzwischen auf immer mehr Menschen, die zum Teil auch aufgrund traumatischer Kindheitserfahrungen „der Religion nicht nur neutral oder gleichgültig gegenüberstehen, sondern einen aggressiven Hass auf Religionen entwickelt haben.“

Woher kommen dieser Hass und dieses Misstrauen? Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes, Ingrid Schmidt, muss sich derzeit zum Beispiel mit dem Fall eines Düsseldorfer Chefarztes beschäftigen, der seinen Arbeitsplatz verloren hat, weil er in zweiter Ehe verheiratet ist. „Die Kirche muss sich schon fragen, ob ihr Familienbild immer konsequent ist,“ stellt Schmidt fest. Kann die Kirche sich zum Richter über das Privatleben ihrer Mitarbeiter aufschwingen, um ihren Grundsatz von der sakramentalen Unauflöslichkeit der Ehe durchzusetzen? „Die Kirche muss sich treu bleiben und vielleicht auch über die Aufgabe von Einrichtungen nachdenken, wenn sie nicht genug Personal findet, das ihre Vorgaben erfüllen kann“, meint Günter Krings. Sein Bundestags-Kollege Beck sieht das ganz anders und weist auf die biblische Geschichte von der Ehebrecherin hin, die von Jesus vor der Steinigung gerettet wird: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ Beck sieht die Kirche in diesem Sinne in der unstatthaften Rolle der Richterin und Steinewerferin. Dass es in der katholischen Kirche auch barmherziger und toleranter zugehen kann, zeigt Christian Lange am Beispiel einer katholischen Kirchengemeinde, die einen schwulen und verpartnerten Mann als Jugendleiter angestellt hat.

„Man kann die Glaubensgrundsätze der Kirche nicht aufspalten, aber die Bischofskonferenz darf durchaus noch mutiger werden und wir haben als Kirche sicher noch einige Hausaufgaben zu machen“, räumt der Leiter des katholischen Büros ein,

Jüsten beschreibt eindrucksvoll seine politische Lobbyarbeit, „bei der man vor nix fies sein darf.“ Für ihn gilt: „Wir wollen nicht in die Presse, sondern ins Bundesgesetzblatt. Und deshalb sprechen wir mit allen, die in der Gesetzgebung etwas bewegen wollen.“ Dabei steigt er, wie er sagt, zunächst immer dort ein, wo Gesetzestexte entstehen, nämlich nicht bei Staatssekretären und Ministern, sondern bei den Referenten, die Gesetzesentwürfe schreiben.

Dabei wird nicht nur im Fall des wiederverheirateten Chefarztes deutlich, dass das kirchliche Arbeitsrecht die Kirche angreifbar macht: „Man kann die Gewerkschaften in den christlichen Dienstgemeinschaften nicht einfach außen vor oder am Katzentisch sitzen lassen, weil Arbeitnehmer immer in der strukturell schwächeren Position sind und man dafür sorgen muss, dass die in den arbeitsrechtlichen Kommissionen gefundenen Ergebnisse dann auch vom kirchlichen Arbeitgeber so umgesetzt werden, statt sich über sie hinwegzusetzen, wenn sie dem Bischof nicht gefallen“, unterstreicht die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes.

Was müssen die Kirchen tun, um angesichts von Kirchenaustritten, wieder mehr gesellschaftliches Vertrauen zu gewinnen? Volker Beck zitiert den Kölner Journalisten und Theologen Joachim Frank: „Kirche braucht Glaubwürdigkeit, Realitätssinn und Bescheidenheit.“ Dabei sieht der innen- und religionspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion die Kirche dort am glaubwürdigsten, wo sie zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik „Menschen eine Stimme gibt, die sonst keine Stimme haben, weil sie keine Wähler sind.“ Glaubwürdigkeit und neues Vertrauen würden Kirchen und Staat in Becks Augen auch dadurch gewinnen, wenn sie an die Ablösung der staatlichen Ersatzleistungen für die kirchlichen Säkularisationsverluste herangingen und darüber hinaus Kirchensteuerzahlungen und andere gemeinnützige Spenden rechtlich gleichgestellt würden.

Für Becks sozialdemokratischen Parlamentskollegen Christian Lange steht fest: „Die Flucht in den Laiezismus ist für Deutschland keine Lösung, weil sich die Kooperation zwischen Staat und Kirchen nicht nur im Bildungs- und Sozialbereich bewährt hat.“ Und sein CDU-Kollege Krings macht deutlich, dass man nach den islamistischen Mordanschlägen von Paris im laiezistischen Frankreich darüber nachdenkt, wie Deutschland einen staatlich kontrollierten Religionsunterricht an Schulen einzuführen: „damit Kinder und Jugendliche mehr über ihre Religion erfahren und nicht in die Fänge von irgendwelchen Radikalinskis geraten.“ In diesem Sinne ist Krings auch davon überzeugt, dass die Einführung eines islamischen Religionsunterrichtes auf der rechtlichen Basis staatlich kontrollierter Lehrpläne „auch die Integration der bei uns lebenden Muslime befördern kann.“

Dieser Text erschien am 14. März 2015 im Neuen Ruhrwort

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