Montag, 27. April 2015

Der christlichen Ethik Geltung verschaffen: Weihbischof Franz Grave sprach bei der Kolpingsfamilie darüber, was Christen in der Politik zu versuchen haben

Fastenzeit vor Ostern. Das heißt Einkehr, Umkehr und Selbstüberprüfung. Der Bezirksverband des Kolpingwerkes tut es an diesem Märzabend im Heimaterder Theresiensaal auf seine Weise. Er lässt Franz Grave eine Antwort auf die Frage geben, ob Politik und Christentum ein Gegensatz an sich sind.

Wer den emeritierten Weihbischof kennt, der auch mit über 80 noch als Seelsorger in der Pfarrgemeinde St. Mariae Geburt arbeitet, weiß, dass er nicht nur ein geistlicher, sondern auch ein politischer Kopf ist. Insofern fällt es ihm an diesem Abend im Kreise der Kolpingfamilie nicht schwer, seine Gedanken zum Thema ohne großes Vortragskonzept so zu entwickeln und zu formulieren, dass man ihm gerne zuhört und mitdiskutiert.

Gut 30 Kolpinggeschwister tun dies und hören sein Plädoyer für ein politisch aktives Christentum. Das solle „sich nicht durch Weltflüchtigkeit, sondern durch Welttüchtigkeit auszeichnen.“ Dass der Gesellenvater Adolph Kolping nicht nur ein frommer, sondern auch ein politisch denkender Mensch war, der die Not der wandernden Handwerksgesellen erkannte und sie unter dem Dach der Gesellenvereine und Gesellenhäuser mit Bildung, Gemeinschaft und Glauben behob, braucht Grave seinen Zuhörern nicht zu erklären. Stattdessen sagt der Kirchenmann: „Wer sich als unpolitischer Christ begreift und sich allein mit dem frommen Gebet im stillen Kämmerlein begnügt, kann kein Freund von Kolping sein.“ Grave nennt den Bereich der Berufsausbildung, in dem er sich bis heute engagiert, als eine zentrale politische Aufgabe. „Denn und Ausbildung und Arbeit geben dem Leben ein Fundament und sorgen dafür, dass das Haus des Lebens nicht einstürzt.“

Grave weiß, dass Kolping kein Verein weltfremder Frömmler ist, sondern auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene Menschen unter die Arme greift, die Hilfe zur Selbsthilfe brauchen, um zum Beispiel mit Ausbildung und Arbeit, aber auch mit geistlicher Orientierung ihren Lebensweg gehen zu können.

Aber Theo Niess und einer seiner Kolpingbrüder, der inzwischen die 90 überschritten hat, geben sich auch selbstkritisch. Sie fragen sich in der Diskussion, ob die politische Bildung bei Kolping zu kurz komme. Vielleicht müsse man die in den 70er Jahren eingeschlafenen Sozialkurse in moderner Form wiederbeleben, um mehr Menschen für Politik zu interessieren und zu begeistern.

Auch wenn Grave selbstironisch feststellt, „dass wir hier mal wieder vor allem mit grauen Köpfen zusammensitzen“, macht eine noch lange nicht ergraute Kolpingschwester deutlich, dass sich junge Leute auch heute für politische Arbeit interessieren lassen. Denn ihr Sohn ist einer von 25 Jugendlichen, die in dieser Woche Bundestagsabgeordnete, die mit Kolping verbunden sind, bei ihrer Arbeit in Berlin begleiten.

Dennoch macht sich Grave keine Illusionen. „Überzeugte und überzeugende Christen, die sich auf der Basis ihres Glaubens in die Politik einmischen, muss man heute manchmal mit dem Fernglas suchen. Das war vor 20 oder 30 Jahren noch anders.“

Deshalb ist für den ehemaligen Vorsitzenden des bischöflichen Hilfswerkes Adveniat angesichts der globalen Frage von Armut und Reichtum eine Renaissance des politisch aktiven Christentums dringend geboten. „Nur so können wir zum Beispiel die großen Zukunftsfragen von Einwanderung und sozialer Integration lösen,“ betont Grave.

Die Zuwanderung begreift er vor dem Hintergrund seiner seelsorgerischen Erfahrung in einer Stadtgemeinde nicht nur als Problem und Herausforderung, sondern auch als Bereicherung. „Wir müssen uns als Christen fragen“, so Grave: „Wem gehört die Welt? Und haben nicht alle Menschen als Geschöpfe Gottes das Recht überall dort zu leben, wo sie für sich und ihre Familien eine Zukunftsperspektive finden?“ Die von Papst Franziskus betonte „Option für die Armen“, sieht der Weihbischof in einer Linie mit dem von Papst Johannes XXIII. initiierten Zweiten Vatikanischen Konzil. „Schon vor 50 Jahren, so Grave: „stellte das Konzil fest, dass die Kirche eine Kirche in der Welt sei, die sich den Menschen ihrer Zeit und deren Sorgen auf Augenhöhe und nicht von oben herab zuwende.“

Einig waren sich die Kolpinggeschwister darin, dass auch ihr Verband im Rahmen seiner Möglichkeiten einen Beitrag leisten muss, um die Integration von Zuwanderern gelingen zu lassen. Gleichzeitig hinterfragten einige, inwieweit alle Zuwanderer auch wirklich integrationsbereit und integrationsfähig seien. Als Nagelprobe für die Integrationsfähigkeit von Menschen, die zu uns kommen, um dauerhaft in unserem Land zu leben, wurde vor allem das Erlernen der deutschen Sprach genannt.

Kritisch beleuchtete ein Kolpingbruder auch die Grundsatzfrage nach dem politischen Engagement: „Muss ich“, so seine These: „als Christ nicht zwangsläufig mein Gewissen manipulieren, wenn ich in die Politik gehe, in der die meisten Entscheidungen auf Kompromissen beruhen?“

Grave räumt diesen moralischen Zwiespalt ein, sieht Christen in der Politik aber auch dazu aufgerufen, „Widerstände und mögliche Isolation auszuhalten“, wenn es darum gehe der christlichen Ethik in der Politik wieder mehr Geltung zu verschaffen. Denn nur dann könne „Politik zur gelebten Frömmigkeit und zum Dienst an den Menschen und eben nicht zum Selbstbedienungsladen für Politiker werden.“ Gab es nach dem Krieg und in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland noch eine eindeutige Nähe zwischen Katholischer Kirche und den C-Parteien, so sagt Grave mit Blick auf die aktuelle politische Landschaft. „Es gibt heute nicht mehr die christliche Partei, sondern nur Christen, die sich in unterschiedlichen Parteien engagieren.“

Dieser Text erschien am 28. März 2015 im Neuen Ruhrwort

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