Donnerstag, 30. April 2015

Stark durchs Alter gehen: Wie man im Wohnstift Raadt durch ein spezielles Training die im Alter schwindende Muskelkraft wieder aufbaut und so das Risiko zu stürzen vermindert

Reginald Lebenicnik macht es vor. Der 80-Jährige zieht sich seine mit Sand- und Metallkügelchen gefüllten Fußmanschetten an und hebt das linke Bein an. Gleichzeitig nimmt er einen Overball in beide Hände, hebt ihn über seinen Kopf und führt ihn dann seitlich nach links und rechts. Derweil richten sich Günter (65) und Rosemarie (64) Stiepel gerade auf. Sie nehmen in beide Hände eine Hantel, strecken sie mit ihren Armen erst in die Höhe, um sie dann herunterzunehmen und seitlich nach links und rechts auszustrecken und dann wieder zusammen zu führen. Die drei Bewohner des zum Ev. Krankenhaus gehörenden Wohnstiftes Raadt machen mit beim Kraft,- Koordination- und Balance-Training, das die Ergotherapeutin Isabel Orlik seit 2013 zweimal pro Woche anbietet. Die Senioren sind sich einig: „Wir fühlen uns nach dem Training einfach wieder kräftiger und werden nicht so schnell schlapp.“

Orlik, die wöchentlich 12 bis 15 Senioren trainiert geht davon aus: „Wer rastet, der rostet!“ Deshalb will sie mit ihrem Training, das gezielt die Muskulatur wieder aufbaut und die Koordinationsfähigkeit stärkt, dafür sorgen, „dass die Senioren in Alltagssituationen nicht nur besser agieren, sondern auch reagieren können, wenn sie zum Beispiel stolpern und zu stürzen drohen.“

Solche Bewegungseinheiten, „die alte Menschen fordern, aber nicht überfordern“, sind auch aus Sicht des Mülheimer Allgemeinmediziners Uwe Brock der richtige Weg, um der mit dem Alter zunehmenden Sturzgefahr vorzubeugen. „Ab dem 30. Lebenjahr verlieren wir pro Jahr etwa ein Prozent unserer Muskelmasse. Gleichzeitig lässt auch unsere Knochendichte nach“, beschreibt Brock einen wesentlichen Grund dafür, warum man im Alter an Kraft verliert, leichter fällt und sich dabei auch schneller die Knochen bricht.

Dass man aber auch im Alter durch gezielte Bewegung Muskelmasse wieder aufbauen kann, zeigt das im Wohnstift Raadt praktizierte Training. Das Mülheimer Altenheim wurde 2014 dafür von der Landesinitiative „Sturzprävention bei Senioren“ mit dem Gütesiegel „Sturzpräventive Pflegeeinrichtung“ ausgezeichnet.

Der Leiter des Wohnstiftes Raadt, Andreas Rost, hat festgestellt, dass die Zahl der Stürze, die jährlich in seinem Haus registriert werden „von 118 auf knapp 100 zurückgegangen ist.“ Dabei werden im Wohnstift Raadt auch indirekte Stürze gezählt, bei denen Bewohner aus ihrem Bett oder ihrem Sessel auf den Boden gerutscht sind, weil sie das Gleichgewicht verloren hatten. Noch deutlicher sieht er die Wirkung des Kraft,-Koordinations- und Balance-Trainings aber an der Tatsache, „dass die Zahl der Bewohner, die sich bei einem Sturz schwer verletzt haben, in dem sie sich zum Beispiel den Oberschenkelhals brachen, noch deutlicher zurückgegangen ist als die Zahl der Stürze.“

Für Trainingsteilnehmerin Rosemarie Stiepel sind die wöchentlichen Übungen zum Erhalt und zum Wiederaufbau der Kraft- und Koordinationsfähigkeit ein Instrument „der Lebenserhaltung, das dafür sorgt, dass ich nicht plötzlich nur noch im Bett liegen kann.“ Auch bei ihren Sportkameraden stellt sie fest, dass sich viele von ihnen, die vorher kaum aus ihrem Zimmer herauskamen, plötzlich wieder in die Gemeinschaftsräume des Wohnstiftes oder sogar nach draußen trauen. „Dieses Training beugt nicht nur Stürzen und daraus resultierenden Verletzungen vor. Es schafft auch wieder neue Lebensqualität und verhindert, dass sich alte Menschen immer mehr zurückziehen und sozial isolieren“, sagt Einrichtungsleiter Rost.

Zu dieser Erkenntnis passt auch, dass das Training, an dem auch interessierte Senioren teilnehmen können, die nicht im Wohnstift Raadt leben, inzwischen aus dem kleinen Gymnastik- in den großen Andachtsraum des Altenheimes umgezogen ist. Als Isabel Orlik ihre Sturzprävention im Rahmen der Raadter Inforunde vorstellte, kamen immerhin rund 30 Besucher. Und inzwischen sind einige Bewohner des Wohnstiftes sogar so gut trainiert, das sie am letzten Freitag im Monat an der aus dem Netzwerk der Generationen erwachsenen Stadtteil-Aktion „Raadt geht spazieren“ teilnehmen können.

Weitere Informationen zum Thema findet man auf der Internetseite des Wohnstiftes Raadt unter: www.wohnstift-raadt.de

Dieser Text erschien am 24. April 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

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