Samstag, 2. Mai 2015

Heike Wagener: Die Frau vom Büdchen an der Ruhr

„Sie kenne ich doch. Ihre Würstchen sollen ja so gut sein“, erinnert sich Heike Wagener an die Gesprächseröffnung eines Radtouristen, der sich jüngst bei seiner Tour de Ruhr an ihren Büdchen stärkte. „Hier wird man immer wieder nett bedient. Und wenn es das Büdchen am Leinpfad nicht gäbe müsste man ja verhungern oder verdursten.“ Das hört man immer wieder von Spaziergängern, Radfahrern und Paddlern, die an diesem frühen Nachmittag eines sonnigen Werktages bei Heike Wagner vorbeischauen, um sich mit Kaffee, Bier, Würstchen oder Süßigkeiten einzudecken.

Heute strahlt die 59-Jährige mit der Sonne um die Wette. Denn an schönen Tagen, wie diesem, läuft ihr gerade mal zwölf Quadratmeter großer Laden ganz gut. Da muss sie immer wieder ans Fenster oder aus dem Büdchen heraus, um ihre Kunden zu begrüßen und zu bedienen. „Aber an Tagen mit schlechtem Wetter kann man hier auch schon mal acht oder neun Stunden sitzen und mit einem Umsatz von 30 Euro nach Hause gehen“, weiß Wagener. Auch große Sport-Übertragungen, die Menschen zu Hause vor dem Fernsehen hocken statt zu Ruhr kommen lassen, sind für Wagener ein echter Umsatz-Killer.

Die Wetterabhängigkeit des Geschäftes kennt sie schon von ihrer Mutter Wilhelmine Wolf, die das um 1902 eröffnete Büdchen 1972 übernahm und bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 führte. „Meine Mutter konnte einfach irgendwie alles und vor allem gut mit Menschen umgehen“, erinnert sich Heike Wagener, die in das Geschäft schon als Jugendliche „hineingewachsen ist.“

Auch wenn man, wie sie sagt „von so einem kleinen Kiosk nicht leben, sondern ihn nur als Nebenerwerb betreiben kann“, war es für Heike Wagener keine Frage, die Trinkhalle ihrer Mutter, in der sie schon als Teenager regelmäßig mithalf, weiterzuführen.

Auch als sie als Technische Zeichnerin ihr Geld verdiente, hielt sie mit Vater Hans der Mutter den Rücken frei. Und heute kann sie auf die Hilfe ihres Ehemannes Ulrich und ihrer Tochter Annette zählen. Denn einen bezahlten Mitarbeiter, der mal beim Ein- und Verkauf mithilft oder mit anfasst, wenn Bierkästen ins Büdchen geschleppt werden müssen, könnte Wagner gar nicht bezahlen. Nicht bezahlbar ist für sie aber auch das Gefühl: „meine eigene Chefin zu sein und nur zu machen, was ich machen will.“ Sie lächelt: „Natürlich macht man nicht nur, was man will. Denn irgendwann möchte man ja auch mal Geld verdienen.“ Und so hält sie ihr Büdchen an schönen Sommertagen auch schon mal bis 23 Uhr offen oder macht erst gar nicht auf, wenn es stürmt und regnet und sowieso keiner kommt.

Wagener hat den Vorteil, dass sie mit ihrer Familie in einem Haus, gleich hinter ihrem Büdchen wohnt. Auch das kleine Bootshaus, das zum Büdchen am Leinpfad gehört und einige Ruderboote beherbergt, kann sie schnell aufsperren, wenn ein Paddler ablegen will. Im Sommer sind höchstens drei oder vier Urlaubstage an der See drin. „Mehr können wir uns nicht leisten. Denn im Sommer machen wir den meisten Umsatz. Dafür gönnen wir uns in der Winterpause schon mal einen Skiurlaub“, erzählt Wagener. Denn zwischen November und Februar bleibt das Büdchen am Leinpfad geschlossen.

Dabei stellt Wagener fest, „dass unsere Winterpause kürzer geworden ist, weil die Tage im Herbst, Winter und Frühjahr wärmer geworden sind.“ Früher, so weiß sie aus der Geschichte, wurden im Büdchen am Leinpfad sogar Schlittschuhe ausgeliehen, wenn die Ruhr im Winter zugefroren war. Doch diese Zeiten sind ebenso Vergangenheit, wie jene, in denen neben Getränken, Snacks und Süßigkeiten auch Zigaretten verkauft wurden.

Nur ungern erinnert sich Wagener an die Einbrecher, die nach erfolgloser Suche nach Zigaretten und Geld Mitte der 70er Jahren die gesamte Trinkhalle abbrannten oder an den betrunkenen Mann, der unweit des Büdchens in die Ruhr fiel und später nur noch tot geborgen werden konnte.

Da erinnert sie sich schon lieber an den Boxer, der eines Tages durch das eine Fenster ins Büdchen hinein und aus dem anderen wieder heraussprang und dabei eine Spur der Verwüstung hinterließ.

Dieser Text erschien am 25. April 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

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