Sonntag, 9. August 2015

Wie ein Zelt gebaut: 50 Jahre Johanniskirche

Der 48 Meter hohe Turm der Johanniskirche

Der pensionierte Pfarrer Helmut Kämpgen und die Eheleute Anke und Ingo Spieker haben Bilder und Texte zusammen getragen, die nicht nur 50 Jahre Johanniskirche Revue passieren lassen. Was dem Betrachters auffällt, ist der Bildvergleich zwischen der heutigen Johanniskirche und ihrer Vorgängerin. Die sah, wie eine Burg auf dem Berge aus, ehe sie im 2. Weltkrieg ein Opfer der Bomben wurde. Was für ein Unterschied zur heutigen Johanniskirche, die seit 1965 auf der Anhöhe an der Aktienstraße 136 steht und 1985 durch ein Gemeindezentrum komplettiert wurde. „Der schlichte Kirchenbau der Architekten Heido Stumpf und Peter Voigtländer erinnert an ein Zelt. Das Zelt steht für das durch die Zeit wandernde Gottesvolk“, sagt Pfarrerin Dagmar Tietsch-Lipski.
Kirche auf dem Weg und in Bewegung! Dass passt auch 50 Jahre nach der Einweihung der Johanniskirche in die Zeit. Tietsch-Lipski hat den Wandel der Kirche selbst erlebt. Als sie 1986 als Pfarrerin in die Gemeinde kam, kümmerten sich drei bis vier Pfarrer um 10 000 Gemeindemitglieder. Heute ist sie allein für 3400 Gemeindemitglieder zuständig, die seit 2011 zur Lukasgemeinde gehören. Manchmal wird die Seelsorgerin von ihrer Kollegin Esther Kocherscheidt unterstützt. Damals waren Taufe, Konfirmation, kirchliche Trauung und kirchliche Bestattungen so selbstverständlich, wie das Amen in der Kirche. Heute sind sie es nicht mehr. Allein 2014 verließen 

675 evangelische Christen ihre Kirche. Immerhin 120 neue Kirchenmitglieder kamen dazu.
Das lässt nicht nur Dagmar Tietsch-Lipski hoffen, dass ihre Kirche vielleicht an Quantität, aber nicht an Qualität verliert. „Auch heute müssen wir als Kirche Salz der Erde und Licht der Welt sein“, zitiert sie die Bergpredigt Jesu. Konkret bedeutet das für Tietsch-Lipski, als Seelsorgerin und frohe Botschafterin mit den Glaubensgeschwistern in der Gemeinde „offen und einladend für Menschen da zu sein, auch für Menschen mit einer schrägen Biografie, die sonst vielleicht gar keinen Raum in unserer Leistungsgesellschaft haben.“

Auch wenn heute viele Menschen an der Kirche und am christlichen Glauben zweifeln, macht Tietsch-Lipski täglich die Erfahrung, „dass Menschen auch heute ein tiefes Bedürfnis an Seelsorge, Spiritualität, Lebenssinn und Gemeinschaft haben.“ Das können sie in der Johanniskirche und ihrem Gemeindezentrum erleben, etwa im Abendkreis, in der Jugendgruppe, im Frauen- und Seniorenkreis, im Gemeindechor Good News oder bei Gottesdiensten und Konzerten.

Weihnachten oder bei Konzerten ist die Johanniskirche, die maximal 450 Menschen Platz bietet, voll besetzt. Doch zu normalen Sonntagsgottesdiensten kommen in der Regel maximal 80 Besucher. „Wir müssen uns künftig vielleicht von reinen Ortsgemeinden hin zu Personal- und Projektgemeinden entwickeln“, denkt Tietsch-Lipski über die Zukunft der Kirche nach. Auch Ferienspiele oder Bildungsveranstaltungen für alle Generationen, wie sie im Gemeindezentrum stattfinden, gehören für sie zum Bestandteil des kirchlichen Gemeindelebens. Auch wenn sich ihr Gemeindebezirk aus finanziellen Gründen und mangels Masse von einem Jugendhaus trennen musste und demnächst die Trägerschaft des Gemeindekindergartens in andere Hände legen wird, sieht Tietsch-Lipski die Kirche und ihre Frohe Botschaft als gesellschaftlich unverzichtbar an. Sie hält es mit Henry Ford III. Er war einer von 39 Prominenten, die 1965 auf Bitten der Gemeinde die Frage beantwortet, ob es heute noch Sinn mache, Kirchen zu bauen. Ford schrieb damals: „Gewiss ist der Tag noch nicht da, und ich hoffe, dass er niemals kommt, an dem freie Menschen unwillig oder unfähig sind, eine Gebäude zur Ehre Gottes errichtet zu sehen.“

Dieser Text erschien am 31. Juli 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

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