Mittwoch, 20. April 2016

Neues Haus auf altem Grund: Das Petrikirchenhaus und seine Vorläufer

Das im Februar 2016 eröffnete Petrikirchenhaus
Wo wir heute vor der Petrikirche das nach ihr benannte Haus sehen, stand bis 1943 die traditionsreiche Gaststätte Mausefalle, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Restaurant, das vor 30 Jahren vis-a-vis an der Bogenstraße eröffnet wurde. Der Name Bogenstraße, der auf die ursprünglich drei Brückenbogen der alten Ringmauer hinweist, findet sich schon im Mülheimer Urkataster von 1822. Der dritte und unterste Torbogen fiel zusammen mit dem darüber errichteten Fachwerkhaus 1896 einem Brand zum Opfer.
Über den Ursprung des Namens Mausefalle gibt es viele Legenden, die aber historisch nicht belegbar sind. Eine von ihnen besagt, dass die Wirte an der Petrikirche früher Mausefallen aufstellen mussten, um einer Mäuseplage Herr zu werden. Eine weitere Legende besagt, dass schon um 1600 spanische Soldaten, die im Zuge des Spanisch-Niederländischen Krieges durch Mülheim zogen, in eine Schankwirtschaft am Fuße der Petrikirche eingekehrt sein sollen. Der Mülheimer Heimatforscher Andreas ten Brink geht aufgrund seiner Urkundenrecherche davon aus, dass die Ursprünge des Hauses, in dem bis 1943 die Gaststätte Mausefalle ansässig war, ins 14. Jahrhundert zurückreichen.
Laut ten Brink, existierte am Standort des neuen Petrikirchenhaues bereits im 14. Jahrhundert eine Bebauung, die sich im Privateigentum befand. Als Haus- und Grundeigentümer führt er auf: Die Eheleute Kerckhoff (1512), die Eheleute Thiel (1584), Adam von Loh (1634). Auf das Jahr 1555, als die aus dem 13. Jahrhundert stammende Petrikirche bereits protestantisch geworden war, datiert er einen Neubau auf dem Mauerwerk des Kirchhofes. Auf den Hauseigentümer Adam von Loh folgte sein Sohn Gerhard, der vermutlich in Gerhard Tersteegens Geburtsjahr 1697 gestorben ist. Ihm folgte bis etwa 1731 der Schuhmachermeister Adam von Loh. Auf ihn folgte (nachweisbar ab 1743) der in den 1730er Jahren aus Wuppertal-Elberfeld zugewanderte und 1794 gestorbene Kaufmann Hans-Peter Schmitz. Nach seinem Tod traten die Geschwister Hermann, Johann, Katharina und Anna Maria Schmitz sein Erbe auf dem Kirchenhügel an. Sie verkauften das Haus an den Tuchhändler Friedrich Wilhelm Höfken. Nach seinem Tode wurde das Haus zwischen Bogenstraße und Kirchplatz 1845 zwangsversteigert und vom Kolonialwarenhändler Eduard Hofius für 1900 Taler erworben. Aus dessen Besitz ging es 1865 für 4000 Taler in den Besitz des Kolonialwarenhändlers Heinrich Liebe (1837-1874) über.
Über die Geschichte der Gaststätte Mausefalle schreibt Andreas ten Brink unter anderem in dem 2009 herausgegebenen Buch „Mülheimer Ansichtssachen“:
Der Kaufmann Heinrich Liebe hatte die Gaststätte Mausefalle in August 1871 eröffnet, offenbar auch mit Fremdenbeherbergung. Den Hoteldienst quittierte er aber alsbald und annoncierte in der Rhein- und Ruhrzeitung vom 11. Mai 1872 die Schankwirtschaft Zur Mausefalle am 22. Mai ebenda zu verkaufen. Die Rhein- und Ruhrzeitung macht am 12. November 1872 bekannt, der Frachtschiffer Wilhelm van Meteren (1836-1899) führt die Schankwirtschaft seit gestern. In der Tat hatte er sie für 4800 Taler erworben. Sein Nachfolger an Haus und Hahn war der Fuselbrenner Heinrich Bergop, der laut Mülheimer Zeitung vom 7. Juni 1904 das Gasthaus für 60.000 Mark an Friedrich Volkenborn aus Oberhausen verkaufte. Derselbe übertrug, gemäß der erwähnten Zeitung vom 15. Mai 1907, die Zapfstelle an den gelandeten Ruhrschiffer Karl Ulff (1866-1926) aus Holthausen. Seit 1915 hieß der Schankwirt und Eigentümer Heinrich Schoeler. Ab dem 1. Februar 1927 ließ er dort für fünf Jahre seinen Pächter Wilhelm Paßmann ein- und ausschenken. Der letzte Besitzer, Heinrich Schoeler, ließ die Mausefalle 1939 restaurieren, den geteerten Bruchsteinsockel freilegen und den Oberstock verschiefern. Damaliger Pächter Schölers und letzter Wirt in der Chronik der Mausefalle war Philipp Lock. “
Noch vor der Gaststätten-Übernahme durch den Kolonialwarenhändler Heinrich Liebe hatte sich um 1870 in der alten Gaststätte die bis heute existierende Bürger- und Stammtischgesellschaft Mausefalle gegründet. Nachdem die alte Kettenbrücke (1844-1909) abgerissen und durch die erste Schloßbrücke ersetzt worden war, ließen sich die honorigen, geselligen, diskussionsfreudigen und das mölmsche Brauchtum pflegenden Stammtischbrüder der Bürgergesellschaft aus einer ihrer Bohlen ihren neuen Stammtisch bauen.
In ihrer Ausgabe vom 7. September 1912 schrieben die Vaterstädtischen Blätter über das Gasthaus vor der Petrikirche:
Zu den ältesten Häusern Mülheims und zugleich zu den ältesten Wirtschaften ist die Mausefalle am Aufgang zur Petrikirche am Bogen zu zählen. Es bietet einen malerischen Anblick und erinnert noch an die alten Zeiten Mülheims. Besonders malerisch ist der Treppenaufgang zum Kirchplatz. Die früheren beiden gut erhaltenen Pfarrhäuser der reformierten Gemeinde sind mit dem Kirchplatz über die tieferliegende Bogenstraße hinweg durch Steinbrücken verbunden und bilden im Verein mit der ganzen Kirchenanlage ein äußerst anziehendes Bild. Die alte Wirtschaft Mausefalle ist unstreitig eines der interessantesten aus der Zeit der alten Bauweise stammenden Häuser.“
Und in einem Zeitungsbericht aus dem Jahr 1930 wird eine Mauernische im damaligen Bierkeller der Gaststätte Mausefalle beschrieben. Sie sei, so heißt es in diesem Bericht, in vorreformatorischen Zeiten Teil der Mauer an der Bogenstraße gewesen, die den damaligen Kirchhof an der Petrikirche begrenzt habe. Damals führten alle Leichenzüge an dieser Nische vorbei, in der ein Heiligenbild zur Andacht animiert haben solle. Der Bericht unterstreicht, dass das Haus der Mausefalle aus zwei Gebäudeteilen bestehe und auf die Kirchhofmauer gebaut worden sei. Die meisten Fachwerkhäuser des alten Stadtkerns entstanden danach erst im 17. Jahrhundert und bildeten einen Häuserkranz rund um die Petrikirche.
Doch mit dem britischen Luftangriff, der Mülheim in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1943 traf, veränderte sich das Bild des historischen Stadtkerns grundlegend. Der Häuserkranz rund um die Petrikirche versank im Bombenhagel. „In der Nacht zum 23. Juni 1943“, so schreibt Andreas ten Brink: „ging die 600-jährige Hausgeschichte (der Mausefalle zwischen Bogenstraße und Kirchplatz) zu Ende.“
Anders, als die 1958 wieder eingeweihte Petrikirche und der 2006 wieder aufgestellte Jobs-Brunnen an der Petrikirche, wurde die Häuser am Fuße der Petrikirche nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgebaut. Bei Kriegsende lagen 800.000 Kubikmeter Trümmerschutt auf Mülheims Straßen und 44 Prozent der Wohnbebauung auf dem Kirchenhügel war zerstört.
Zu den Häusern, die nach 1945 an der nur etwa 25 Meter langen Bogenstraße nicht wieder aufgebaut wurden, gehörten neben der Mausefalle an der Bogenstraße 1 auch das Nachbarhaus an der Bogenstraße 2. In diesem Nachbarhaus war bis 1943 die Gaststätte „Zum Ührchen“ ansässig. In seinem Untergeschoss befand sich zeitweise ein Ladenlokal, in dem Hüte und Schirme an den Mann und die Frau gebracht wurden. Ihren Namen verdankte die Gaststätte den vielen Uhren, die an ihren Wänden und Balken hingen. So wie es heute eine neue Mausefalle an der Bogenstraße 8 gibt, zu der auch das angrenzende Gebäude an der Teinerstraße 2 gehört, setzt eine gleichnamige Gaststätte an der Teinerstraße 26 die Tradition des alten „Ührchens“ fort. Während die alte Gaststätte Zum Ührchen sowohl von der Bogenstraße 2, als auch vom Kirchplatz 2 aus zugänglich war, ließ sich die alte Mausefalle an der Bogenstraße 1 nur über einen schmalen Durchgang zwischen Bogenstraße und Kirchplatz erreichen, da hinter der Mausefalle früher die Häuser Kirchplatz 3 und 4 gestanden hatten.
Zu den benachbarten und nach Kriegsende nicht wieder aufgebauten Häusern gehörte auch das Haus an der Bogenstraße 10/Ecke Kettwiger Straße. In diesem Haus wohnten bis 1846 Gerhard Tersteegens 1735 verstorbene Bruder Johann, seine Frau Christina Dümptermann, zeitweise auch Gerhard Tersteegen selbst, und später die Nachfahren seines Bruders und seiner Schwägerin. Bis 1757 war hier auch die Engel-Apotheke der Familie Kortum ansässig. 1846 wurde das Haus von den Brüdern Heckhoff gekauft. Sie betrieben dort eine Bäckerei.
Anders, als die Häuser an der Bogenstraße 1,2 und 10 überstanden nicht nur die Häuser der heutigen Mausefalle an der Bogenstraße 8 und an der Teinerstraße 2, sondern auch das dort anschließende Tersteegenhaus die Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges. Das Tersteegenhaus, in dem der Dichter, Prediger und Menschenfreund Gerhard Tersteegen von 1743 bis zu seinem Tod 1769 lebte und wirkte, war ursprünglich Teil des Muhrenhofes der Grafen von Limburg-Styrum. Doch Mitte des 17. Jahrhunderts verpfändeten die Grafen ihren Besitz auf dem Kirchenhügel an die Familie von Eicken. Hermann Koch, Schwiegersohn der von Eickens, erweitere den Muhrenhof 1674 um ein großes Haus, das allerdings 1965 abgerissen werden sollte. Dagegen fand das von den von Eickens 1647/48 neu erbaute Tersteegenhaus, das zu Gerhard Tersteegens Lebzeiten, dem Ehemann seiner Nichte, Hermann von Eicken, gehörte, nach seiner Wiederherstellung im Jahr 1949 als Heimatmuseum ab 1950 eine neue Bestimmung. Bereits 15 Jahre zuvor hatte ein Nachfahre der Tersteegens, Hermann Müschenborn, das Haus an die Stadt Mülheim verkauft. Als neue Eigentümerin restaurierte die Stadt das Tersteegenhaus 1938, ehe sie nach dem Krieg den Architekten Bernhard Kersting mit dem Wiederaufbau des im oberen Stockwerk und am Südgiebel beschädigten Hauses beauftragte.
Dennoch war der Zeitgeist der 50er und 60er Jahre mehr vom Neuaufbau moderner Bausubstanz, als vom Wiederaufbau historischer Bausubstanz geprägt. Dass das Geburtshaus des Jobsiade-Dichters und Arztes Carl Arnold Kortum an der Kettwiger Straße 1957 abgerissen und Anfang der 60er Jahre durch einen modernen Neubau des CVJMs ersetzt wurde, war nur ein Beispiel dafür. Erst in den späten 70er und in den 80er Jahren drehte sich dieser Zeitgeist. Jetzt besann man sich bei Wettbewerben, Ideenwerkstätten, Planungen und Ausschreibungen wieder der Konsolidierung und Rettung vorhandener Baudenkmäler. So titelte die Mülheimer WAZ vom 4. Februar 1984: „WAZ-Leser wünschen sich die alte Bebauung zurück“ und stellte fest: „Ein großes Echo hat die Redaktion mit ihrer Frage gefunden, wie sie darüber denken, rund um die Petrikirche die historische Bebauung wiederherzustellen. Die Zustimmung zu einem solchen Projekt ist fast einmütig.“ Stellvertretend für viele Leser schrieb damals der Broicher Günter Fraßunke:
Das wäre ein sinnvoller Schritt, der 40 Jahre nach der Zerstörung der Mülheimer Innenstadt längst hätte getan werden sollen, Dass andere Bereiche der Innenstadt – Schloßstraße, Leineweberstraße, Hans-Böckler-Platz, City Nord – bei der Nachkriegsplanung vorrangig waren und der Kirchenhügel ins stadtplanerische Abseits geriet, hat aber auch sein Gutes. Die Chancen sind nicht vertan, hier planvoll und ohne die Hektik der Wirtschaftswunderjahre etwas Vernünftiges zu schaffen.“

Auch wenn der Häuserkranz rund um die Petrikirche nicht wieder auferstand, zeigte die weitere Entwicklung mit Restaurierungen, Instandsetzungen, Vereinsgründungen, Initiativen und Projekten zur Aufwertung der Altstadt, dass die Mülheimer den Wert ihres historischen Stadtkerns neu entdeckt haben und ihn bis heute zu schätzen wissen. Insofern ist das neue Petrikirchenhaus an der Bogenstraße ein weiterer Baustein, der die Identifikation der alten und neuen Mülheimer mit ihrer Stadt stärken kann.

Dieser Text erschien am 28. Februar 2016 in der Festschrift zur Eröffnung des Petrikirchenhauses

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