Dienstag, 31. Mai 2016

Substanzverluste verhindern Im Gespräch mit der NRZ erklärt der Referent des Umweltdezernenten, Klaus Beisiegel, wie Mülheim mit pflegeleichten Gründflächen und Flächenrecycling auch zukünftig grün bleiben kann

Klaus Beisiegel
Warum ist es in Mülheim so schön?  Weil es so grün ist. Gerade erst hat es uns die Berliner Morgenpost in einem bundesweiten Grünflächen-Ranking bestätigt: Nach Bottrop ist Mülheim die zweitgrünste Großstadt des Ruhrgebietes. Im Deutschlandvergleich landet Mülheim unter 79 Großstädten immerhin auf Platz 33 der Liste. Klaus Beisiegel, Referent des für Bauen, Planen und Umwelt zuständigen Beigeordneten Peter Vermeulen erläutert die Ausgangslage für Mülheims grüne Zukunft.

Ist der Grünflächenanteil in den letzten Jahren zurückgegangen und wird er auch in den kommenden Jahren zurückgehen, weil Mülheim eine beliebte Wohnstadt ist?

Der Versiegelungsgrad steigt noch immer, aber deutlich langsamer als noch vor zehn Jahren. Dabei geht das fast nie zu ungunsten von Grünflächen, sondern eher zu Lasten von Landwirtschaftsflächen, Höfen und Gärten. Parks und Grünanlagen sind im Grundsatz tabu, Natur- und Landschaftsschutzgebiete sowieso.

Setzt die Stadt auf Wohnraumverdichtung, um den Verbrauch von Grünflächen zu minimieren?

Ein Ansatz ist in der Tat, weniger „Frischflächenverbrauch“ zu planen und mehr Innenraumverdichtung vorzunehmen. Dies ist aber kleinklimatisch und sozial oft auch nicht sinnvoll. Ein immer wichtigerer Ansatz ist das Flächenrecycling, was an Bedeutung gewinnt und in den letzten Jahren häufiger als öffentlich wahrgenommen planerisch umgesetzt wurde, etwa an der Sellerbeckstraße oder an der Pilgerstraße in Dümpten, am Klöttschen  in Eppinghofen oder beim Bau der Hochschule Ruhr-West und der Neuen Feuerwache auf dem ehemaligen Broicher Bahngelände. Hier wurden Neubauten ohne zusätzliche Flächenversiegelung realisiert.

Muss die Stadt aufgrund ihrer Finanzanlage künftig an der öffentlichen Grünpflege sparen?

Die Finanzlage erfordert einen restriktiven und verantwortlichen Umgang mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln. Deshalb schreibt das Grünflächenamt sämtliche Pflege – und Unterhaltungsarbeiten aus. Grundlage sind die von den politischen Gremien beschlossenen Pflegestandards für die Grünflächen. Hier befinden wir uns bereits auf einem sehr niedrigen Niveau. Der Status Quo der Anlagen wird gehalten. Bisher ist es uns durch die langjährige Ausschreibung der Pflege und Unterhaltungsarbeiten gelungen, die Kosten stabil zu halten. Trotzdem muss weiter gespart werden. Oft werden nur noch Verkehrssicherungsarbeiten vorgenommen, auf Dauer führt dies zu weiteren  Substanzverlusten.
Wären vor diesem Hintergrund künftig auch Bürgerpatenschaften im Bereich der öffentlichen Grünpflege denkbar und wünschenswert?
Pflegepatenschaften bestehen bereits. Dabei handelt es sich aber meist um kleine Flächen, wie Baumscheiben vor der Haustür des Pflegepaten. Umfangreichere Patenschaften wurden mit Unternehmern für größere Rasenflächen entlang von Hauptverkehrsstraßen geschlossen. Es geht hier aber nicht nur um die „eigentliche Pflege“, die findet statt. Wichtig sind Investitionen in die Substanz der Grünflächen. Und es muss im Anschluss sichergestellt werden, dass ausreichende finanzielle Mittel für eine sach- und fachgerechte Pflege und Unterhaltung zur Verfügung stehen.

Müssen öffentliche Gründflächen aus  Kostengründen zurückgebaut oder sich selbst überlassen bleiben?

Seit mehreren Jahren wandeln wir nicht mehr pflegbare Gehölzflächen im Straßenraum in Rasenflächen um, oder legen bei Neuanlagen Flächen mit geringem Pflegeaufwand an, um mit den zur Verfügung stehenden Mitteln auszukommen. Grünflächen werden nicht sich selbst überlassen. Verkehrssicherungsarbeiten müssen und finden immer statt. Dies deckt sich natürlich nicht mit den Wünschen der Bürgerschaft. 

Wie sieht Mülheims Natur 2030 aus, wenn es gut läuft?

Wenn es gut läuft, dann wird die Internationale Gartenbauausstellung IGA 2027 einen ähnlichen Effekt auf die Stadt ausüben, wie die Landesgartenschau von 1992. Und mit den Fördermitteln für die IGA wird es möglich sein, Park- und Grünflächen zu überarbeiten, zeitgemäß zu entwickeln und zu ergänzen. Grün- Spiel- und Naturflächen sind gut mit Fuß- und Radwegen vernetzt. Der Masterplan Spielen und Bewegen konnte zu 80 Prozent  umgesetzt werden und im Witthausbusch hat das Umweltbildungszentrum den Betrieb aufgenommen. 

Und wenn es schlecht läuft?

Wenn es schlecht läuft, werden die Grünflächen nicht an Fläche, aber an Substanz verlieren. Dies wird sich in einer steigenden Anzahl  schlecht nutzbarer oder geschlossener Wegen, fehlender Bänke und Papierkörben, gesperrter oder fehlender Spielgeräte sowie einer zunehmenden Vermüllung äußern. Immer mehr nicht pflegbare Flächen werden dann umgewandelt werden müssen, gärtnerische Gestaltung, ursprüngliche Planungsinhalte, die Attraktivität von Grünflächen gehen verloren und damit auch die Wohnqualität der Stadt.

Dieser Text erschien am 24. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Montag, 30. Mai 2016

Das Ende der großen Vorsitzenden: Was der Geschäftsführerin des Mülheimer Sportbundes zur Zukunft der Vereine einfällt

Anne Weber führt seit 2013
die Geschäfte des
Mülheimer Sportbundes
So schaut die 33-jährige Sportwissenschaftlerin Anne Weber, die seit 2013 die Geschäfte des Mülheimer Sportbundes führt, in die Zukunft der örtlichen Sportvereine: „Schon heute haben Vereine zunehmend den Bereich des gesundheitserhaltenden Präventions- und Rehabilitationssportes für sich entdeckt. Sie suchen verstärkt die Kooperation mit Schulen, aber auch mit Altentagesstätten und Pflegeheimen. Dieser Trend wird sich verstärken.“In diesem Zusammenhang weist sie auf den Senioren-Sport-Aktionstag in der RWE-Sporthalle hin, zu dem der MSB und die örtlichen Sportvereine am 3. Juni von 14 bis 18 Uhr einladen werden. Frei nach dem Motto „Probieren geht über Studieren“ sollen hier vereinsferne, aber sportlich interessierte Senioren angesprochen werden. Auch wenn sie sich grundsätzlich immer mehr Sport- und Schwimmflächen wünschen würde, sieht Anne Weber optimistisch in die Zukunft der Sportvereine, wenn sie, wie bisher, eine vergleichsweise starke politische Lobby behalten. Den Neubau der Dreifachsporthalle an der Luisenschule und des Friedrich-Wennmann-Bades in Heißen begrüßt die MSB-Geschäftsführerin als zukunftsweisend.Das nimmt sie auch für das ehrenamtliche Engagement und die Gutscheine in Anspruch, mit deren Hilfe auch Flüchtlinge und andere sozial benachteiligte Mülheimer in den Betrieb der Sportvereine integriert werden. Mit Blick auf die ehrenamtliche Vorstandsarbeit in den Sportvereinen sieht Weber eine Entwicklung, in deren Zuge „es keine ehrenamtlichen Vorsitzenden mehr geben wird, die Tag und Nacht und das mindestens 30 Jahre lang, für ihren Verein da sein werden.“ Stattdessen geht sie davon aus, dass die Vereine künftig verstärkt auf den entlastenden Einsatz von Projektteams und die Anstellung von Honorarkräften setzen müssen, um die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder zu entlasten.

Dieser Text erschien am 18. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Samstag, 28. Mai 2016

Herzblut ist wichtig, aber ganz ohne Geld geht es auch nicht Der CBE-Geschäftsführer Michael Schüring macht deutlich: Das Ehrenamt braucht hauptamtliche Unterstützung

Das Ehrenamt im Verein braucht hauptamtliche Unterstützung. Dafür stehen der Geschäftsführer des Centrums für bürgerschaftliches Engagement (CBE) und seine Mitarbeiter. Ein Gespräch:

Gibt es viele Vereine, die Probleme haben, ihre Vorstandsämter zu besetzen?

Unsere Umfrage unter den Vereinen zeigt, dass sich dieses Problem derzeit in 65 Prozent der örtlichen Vereine stellt.

Ist der ehrenamtlich geführte Verein ein Auslaufmodell?

Keinesfalls. Wir erleben es immer wieder. Wo sich Bürger längerfristig für eine gute Sache engagieren, ist die Vereinsgründung in 90 Prozent das Mittel der Wahl. 50 Prozent des ehrenamtlichen Engagements wird in Vereinen geleistet. Vereine bieten steuerliche Vorteile und verteilen die Verantwortung auf mehrere Schultern.

Wie helfen Sie ehrenamtlichen Vereinsvorständen?

Indem wir sie im Rahmen von Zukunftswerkstätten zusammengebracht haben und der Austausch unter den Vereinsvorständen gezeigt hat, dass viele Vereine ähnliche Probleme haben. Bei diesen Treffen wurden auch gute Praxisbeispiele aufgezeigt und Kontakte zu externen ehrenamtlichen Fachleuten hergestellt, die mit ihrem frischen Blick von außen weiterhelfen konnten.

Wie wird diese hauptamtliche Unterstützung des Ehrenamtes in Vereinen finanziert?

Seit 2011 konnten wir auf Mittel des Bundes und der Robert-Bosch-Stiftung zurückgreifen. Leider ist diese Förderung 2016 ausgelaufen, so dass wir jetzt auf Bordmittel und Sponsoren angewiesen sind.

Die Einsicht, dass ehrenamtliches Engagement hauptamtlich gefördert werden muss, ist zwar im Bewusstsein der Politiker angekommen, aber leider noch nicht in den Kassen der öffentlichen Hand.

Wie sehen Sie die Zukunft der Vereine ?

Ich nehme wahr, dass die Vereine schon heute daran arbeiten, sich für das Jahr 2030 aufzustellen, wenn der demografische Wandel seine volle Wirkung entfalten wird.

Ich rechne bis dahin mit einem Konzentrationsprozess. Die Zahl der Vereine wird wahrscheinlich abnehmen. Ich fürchte aber nicht um die grundsätzliche Existenz der Vereine. Es gibt keine Patentrezepte für die Lösung, weil jeder Verein anders ist. Auch die Akzeptanz von externer Beratung ist nicht immer vorhanden.

Ich gehe aber davon aus, dass Vereine künftig verstärkt qualifizierte Honorarkräfte einsetzen müssen.

Dieser Text erschien in der Neuen Ruhr Zeitung vom 18. Mai 2016

Freitag, 27. Mai 2016

Beispiele begeistern Beate Steegers-Esken, Rolf Ball und Claudia Köster glauben, dass das Vereinsleben Zukunft hat, wenn es Menschen gibt, die Freude daran vorleben können


Rolf Ball ist Schatzmeister beim
TSV Heimaterde
„Wenn sich sieben Deutsche treffen, gründen sie einen Verein“, spottet der Volksmund. Darüber können die Öffentlichkeitsarbeiterin des Mülheimer Zupforchesters, Beate Stegers-Esken, der Schatzmeister des TSV Heimaterde, Rolf Ball, und die Vorsitzende des in Mülheim ansässigen Bundesverbandes der Menschen mit angeborenen Gefäßfehlbildungen, Claudia Köster, herzlich lachen. Ob Kultur, Sport oder Selbsthilfe. Alle drei investieren gerne viel Zeit und Arbeit in ihr Ehrenamt, das sie als menschlich bereichernd und ihren Horizont erweiternd empfinden.

Aber sie schauen nicht blauäugig in die Zukunft. „Es ist für uns kein Problem, Jugendliche in den Verein zu bekommen oder Trainer und Betreuer zu gewinnen, aber nur wenige Mitglieder wollen verantwortliche Vorstandsarbeit leisten“, erklärt der kommissarische Geschäftsführer und Schatzmeister des TSV Heimaterde. Zum einen sei es sehr zeitintensiv. „Und im Ernstfall muss ich auch für grobe Fehlentscheidungen mit meinem privaten Vermögen haften“.

Deshalb ist man beim TSV, der mit 800 Mitgliedern seinen 90. Geburtstag feiern konnte, dazu übergegangen, alle Mitglieder nach ihren Fähigkeiten zu befragen, die sie in die Vereinsarbeit einbringen können, um den Vorstand zu entlasten. „Ich arbeite gerne an der Festschrift mit, aber komm mir bloß nicht mit Vorstandsarbeit“, erinnert sich Ball an die Aussage eines Vereinsmitgliedes.

„In Zukunft werden sich immer mehr kleine Vereine zusammenschließen und Netzwerke bilden müssen“, glaubt die Vorsitzende des 200 Mitglieder zählenden Bundesverbandes für Menschen mit angeborenen Gefäßfehlbildungen. Ihr Verband, der bundesweit Patiententreffen, Jugendzusammenkünfte wie Ärztegespräche organisiert und regelmäßig Infobroschüren herausgibt, hat die Weichen bereits gestellt und die ersten kleineren Vereine aus seinem Themengebiet aufgenommen. „Wir haben nicht nur fünf Vorstandsmitglieder, sondern auch sechs fachkundige Zuarbeiter, mit denen wir auf Augenhöhe zusammenarbeiten“, berichtet Claudia Köster. Ihre Erfahrungen zeigen, dass Vereinsvorstände Menschen in ihrem Verein ansprechen und mitnehmen müssen, um sie für ein ehrenamtliches Engagement zu gewinnen.

Beate Stegers-Esken vom 30 Mitglieder zählenden Mülheimer Zupforchester ist überzeugt: „Nur, wer selbst vorlebt, dass Vereinsarbeit Freude machen kann, wird auch andere Menschen dafür begeistern können.“ Mit Blick in die Zukunft geht sie davon aus, dass vor allem kleine Vereine auf punktuelle externe Beratung angewiesen sein werden, wenn es etwa um Themen, wie Öffentlichkeitsarbeit oder Finanzen geht, um ihre Vereinsarbeit auch mit einer tendenziell sinkenden Zahl aktiver Vereinsmitglieder aufrechterhalten zu können. Ihr Kulturverein hat gute Erfahrungen damit gemacht, sich einem regionalen Dachverband anzuschließen.




Dieser Text erschien am 18. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Donnerstag, 26. Mai 2016

So gesehen: Arbeit ist eben nur das halbe Leben

Wenn eine Demo angesagt ist, kann das auch schon mal Krawallmacher und Steinewerfer anziehen. Keine Angst. Wenn Sie heute auf Ihrer Straße einen Demonstrationszug sehen sollten, brauchen Sie nicht daran glauben, weil es sich um eine friedliche Glaubensdemonstration handelt, die Fronleichnamsprozession.

In dem sie mit Gebet und Gesang den Leib Christi am Hochfest der Eucharistie durch die Straßen ihrer Gemeinde tragen, wollen katholische Christen ein öffentliches Glaubenszeugnis davon ablegen, dass Elend und Tod nicht das letzte Wort haben, weil wir Menschen auf Erlösung und ewiges Leben durch Jesu Christi hoffen dürfen. Dieser Tag mag die Christen daran erinnern, was ihnen der Religionskritiker Friedrich Nietzsche einst in ihr Stammbuch schrieb: „Ich würde ja vielleicht glauben können, wenn die Christen einen erlösteren Eindruck machen würden.“ Also, liebe Christen, gehen wir nicht nur an Fronleichnam mal aus uns heraus. Und wer nicht an die christliche Botschaft glauben kann oder will. sollte nicht nur am heutigen Fronleichnamstag einmal daran denken, dass er ohne sie auf etliche Feiertage im Jahr verzichten müsste, an denen wir erfahren dürfen, dass wir eben nicht nur leben, um zu arbeiten. Sage also niemand, er hätte nichts von den christlichen Kirchen.


Dieser Text erschien am 26. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung.

Mittwoch, 25. Mai 2016

"Wir sind eine junge Gemeinde" - Drei Fragen an die stellvertretende Vorsitzende der Fatih-Moschee-Gemeinde, Nasibe Arikan

Nasibe Arikan
Welche Rolle spielt der demografische Wandel für Ihre Gemeinde?

Wir sind eine sehr junge Gemeinde und die Zahl unserer Mitglieder steigt an. Aktuell gehören 450 Familien mit rund 1200 bis 1500 Menschen zur Gemeinde. Seit  März haben wir rund 50 neue Mitglieder aufgenommen, darunter auch eine Hand voll Konvertiten. Wir schätzen, dass die derzeit acht Mülheimer Moschee-Gemeinden insgesamt rund 9000 Mitglieder haben.

Welche Aufgaben sehen Sie für Ihre Gemeinde in der näheren Zukunft?

Im Vorstand gehen wir davon aus, dass sich die Zahl unserer Gemeindemitgli
eder in den nächsten 10 bis 15 Jahren verdoppeln wird. Das stellt uns vor eine große Herausforderung, denn wir leben nur von den Spenden unserer Mitglieder und haben keine Kirchensteuer. 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Eine islamische Kirchensteuer und eine stärkere finanzielle Unterstützung unserer Gemeinde durch die Stadt fände ich ebenso gut, wie eine Wiederbelebung des interreligiösen Dialoges. Menschen aller Religionen müssen sich besser kennen lernen.

Dieser Text erschien am 14. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung 

Dienstag, 24. Mai 2016

"Die Alterspyramide sieht nicht gut aus": Drei Fragen an den Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, Alexander Drehmann

Alexander Drehmann
Wie wirkt sich der demografische Wandel auf Ihre Gemeinde aus, die insgesamt 2565 Mitglieder hat, davon 900 in Mülheim?

Negativ, die Alterspyramide sieht nicht gut aus. Die Mitglieder werden immer älter, mit zu wenig Nachwuchs.

Was sehen Sie als die größte Herausforderung an?

Die Sicherheitssituation und der wachsende Antisemitismus, die Betreuung ältere Gemeindemitglieder,die Bindung an die Gemeinde sind mit Abstand die wichtigsten Herausforderungen

Gibt es auch in der jüdischen Gemeinde einen Trend zur Säkularisierung und welchen Beitrag kann und will die Gemeinde für die künftige Stadtgesellschaft leisten?

Hinsichtlich der Säkularisierungstendenzen, die man in unserer Gesellschaft beobachten kann, sind wir mit anderen Kirchen vergleichbar. Wir können als jüdische Gemeinde unsere Stadtgesellschaft, die immer multikultureller wird, zum Beispiel mit für Menschen aller Religionen offenen Kultur- und Vortragsveranstaltungen bereichern. Solche Veranstaltungen zeigen, dass alle Religionen voneinander lernen können

Dieser Text erschien am 14. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Montag, 23. Mai 2016

Zahlen, Daten und Fakten rund um die Mülheimer Kirchtürme

St. Mariae Geburt
Die Zahl der Protestanten im Kirchenkreis An der Ruhr ging zwischen 2000 und 2015 von rund 62 700 auf zuletzt rund 48 500 zurück. Die Zahl der Katholiken im Stadtdekanat reduzierte sich im gleichen Zeitraum von rund 60 700 auf 50 000.

Bei den Taufen zeigt sich: Wurden im Jahr 2000 noch 410 katholische und 450 evangelische Kinder getauft, so waren es zuletzt nur noch 327 katholische und 239 evangelische Kinder.

Bei beiden christlichen Kirchen lag die Zahl der Bestattungen in den letzten 15 Jahren deutlich über der Zahl der Taufen. Wurden im Jahr 2000 rund 700 Katholiken und 829 Protestanten bestattet, so waren es zuletzt 430 Katholiken und 630 Protestanten.

Bei den Kirchenaustritten zeigt sich seit Beginn des Jahrtausends eine immer wieder schwankende Entwicklung. Im Jahr 2000 traten 449 Katholiken und 565 Protestanten aus ihrer Kirche aus. 2014 waren es 596 Katholiken und 675 Protestanten, die ihrer Kirche den Rücken kehrten. 2014 griff eine Gesetzesänderung, wonach die Kirchensteuern auf Kapitalerträgnisse von den Banken direkt an das Finanzamt und von dort an die Kirchen weitergeleitet wurden.

Den Kirchenaustritten und Bestattungen standen und stehen deutlich weniger Kircheneintritte gegenüber. Traten 2000 insgesamt 24 Mülheimer in die katholische und 177 in die evangelische Kirche ein, so waren es 15 Jahre später 12 Mülheimer, die in die katholische und 68 Mülheimer, die in die evangelische Kirche eintraten. In den Kircheneintrittszahlen sind immer auch die Christen enthalten, die als Konvertiten ihre christliche Konfession wechseln.

Dieser Text erschien am 14. Mai in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 22. Mai 2016

Kleiner, ärmer, aber nicht unbedingt schlechter: Wie aktive Christen die Zukunft ihrer Kirche sehen

Neue Wege, neues Logo: Pfarrer Pater Josef Prinz, Verwaltungsleiterin
Anneliese Rakowski und der Pfarrgemeinderatsvorsitzende von
St. Mariä Himmelfahrt, Manuel Gatz
Am morgigen Sonntag will die Evangelische Kirche mit einem großen Pfingstfest begeistern. Pfingsten gilt als das Fest der Aussendung des heiligen Geistes und damit als Gründungsfest der christlichen Kirchen. Doch viele Menschen sind heute nicht mehr begeistert von den christlichen Kirchen und ihrer Frohen Botschaft. Die Kirchen schrumpfen aus demografischen Gründen, aber auch weil viele ihrer Mitglieder bewusst austreten und nur wenige den Weg zurückfinden.

„Wir sind von der Volkskirche zur Kirche im Volk geworden“, sagt Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck. Kirchen werden aufgegeben, verkauft oder umgewandelt. Gemeinden müssen fusionieren. Aktuell befinden sich die drei katholischen Pfarrgemeinden in einem Pfarrentwicklungsprozess, der sich damit beschäftigt, wie das kirchliche Leben im Jahr 2030 aussehen kann, wenn man mit nur noch 56 Prozent der heutigen Mitgliederzahl und mit der Hälfte der heutigen Kirchensteuereinnahmen rechnen kann.

Johannes Kretschmann, Gemeinderatvorsitzender von St. Joseph und stellvertretender Pfarrgemeinderatsvorsitzender von St. Mariae Geburt, gibt sich keinen Illusionen hin, wenn er in die Zukunft schaut: „Ich gehe davon aus, dass der Schrumpfungsprozess und die Glaubenserosion noch eine geraume Zeit Hand in Hand weiter voranschreiten werden. Sie bedingen sich jeweils gegenseitig. In der Arbeit vor Ort zeigt sich, dass religiöses Wissen und die Bereitschaft, sich mit Fragen des Glaubens auseinanderzusetzen, an den Rändern besonders schwach ausgeprägt ist. Hier ist auch der Schrumpfungsprozess am stärksten zu beobachten.“

Kretschmann geht also davon aus, dass die Kirchen immer stärker auf einen harten Kern überzeugter und aktiver Christen schrumpfen werden. Aber wie können die, die bleiben, die Kirche wieder anziehungsfähig machen?

Der evangelische Pfarrer Michael Manz aus Styrum und der katholische Gemeinderatsvorsitzende Manuel Gatz aus der Saarner Gemeinde St. Mariae Himmelfahrt sind sich einig: „Die Kirche hat nur eine Zukunft, wenn wir als Christen durch unser Vorbild überzeugen, in dem wir nicht aufgeben, sondern auftreten und auch über unseren Glauben sprechen.“

Auch wenn die Kirche der Zukunft vielleicht kleiner und ärmer sein werde, mahnt Manz zur Gelassenheit. „Wir dürfen nicht an alten Strukturen festhalten, wenn diese nicht mehr zeitgemäß sind. Wir müssen eine Sprache sprechen, die jeder verstehen kann, helfen, wo wir Not sehen und Orte der Begegnung schaffen, an denen Menschen erfahren können, das der christliche Glaube etwas mit ihrem Leben zu tun hat und ihnen gut tut.“

Sein katholischer Amtsbruder Pater Josef Prinz aus St. Mariä Himmelfahrt warnt angesichts der rückläufigen Kirchensteuereinnahmen davor, „in einen kontraproduktiven Zentralismus zu verfallen“. Prinz meint: „Man muss genau hinschauen und funktionierende Gruppen und Initiativen erhalten, statt sie einem Sparzwang zu opfern.“ Er geht von einer Kirche aus, in der die Laien auch in der Seelsorge und in der Verkündigung immer mehr Aufgaben übernehmen und sich nicht mehr alles um die Person des Pfarrers drehen wird, weil der nur noch größere Pfarreien mit mehreren kleinen Teil- und Basisgemeinden betreuen werden kann.

Katrin Schirmer, evangelische Pfarrerin in Speldorf, hat keine Angst vor kleineren und weniger finanzstarken Gemeinden, weil sie als junge Pfarrerin solche Gemeinden in den USA kennengelernt hat. „Diese Gemeinden sind kleiner und haben auch keine Kirchensteuereinnahmen, dafür sind ihre Gemeindemitglieder aber aktiver und auch menschlich enger miteinander verbunden“, erinnert sich Schirmer. Die Gemeinden der Zukunft sieht sie als kleiner, aber aktiver. Es könnten Gemeinden sein, die weniger von institutionellen Strukturen. als durch nachbarschaftliche Netzwerke und Eigeninitiativen zur Hilfe und Selbsthilfe geprägt sein werden. Gemeinderat Kretschmann ist überzeugt: „Glaube und Religion werden nie verschwinden.“

Dieser Text erschien am 14. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Samstag, 21. Mai 2016

So gesehen: Heute fremd, morgen Freund?!

Wer sich mit den Bevölkerungsstatistiken beschäftigt, der merkt: Wir werden älter, bunter und weniger. Dabei sind sich die Statistiker mit dem Weniger gar nicht mehr so sicher. Denn wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Zuwanderer her. Auch wenn es manchem Mitbürger schon heute manchmal zu bunt wird, sorgt die neue Buntheit dafür, dass wir auch in Zukunft nicht schwarz sehen müssen, wenn es um die Finanzierung unserer sozialen Sicherheit geht. Denn gutwillige und qualifizierte Zuwanderer können die Einheimischen von morgen sein. Fragen Sie Ihre Nachbarn Frau und Herrn Kowalzki.

Und wenn wir dann hoffentlich nicht jung gestorben,- sondern alt und älter geworden sind, werden es vielleicht Herr Abdullah und Frau Al-Abadi sein, die als unsere Nachbarn oder Pfleger dafür sorgen werden, dass wir trotz Alter und Krankheit nicht zu alt aussehen, weil sie uns helfen und uns ihre Geschichte erzählen. Wir tun also schon heute gut daran, dass sie uns eine schöne Geschichte, nämlich davon,  wie sie von Fremden zu Freunden wurden, erzählen können.

Oder wollen Sie im Altenheim über traurige Geschichten weinen und von frustrierten Menschen oder gar von einem Roboter gepflegt werden?

Dieser Text erschien am 9. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 20. Mai 2016

So gesehen: Geschichte trifft Gegenwart

Heutzutage wissen viele Leute nicht, was sie von der Gegenwart zu halten, geschweige denn von ihrer Zukunft zu erhoffen haben.

Da erscheint die ferne Vergangenheit, wie ein sagenhaftes Abenteuerland, etwa am Wochenende auf Schloss Broich. Da konnte man sich bei einer Zeitreise unter Rittern, Gauklern, Markt- und Spielmannsleuten tummeln.

Schöne Vergangenheit? Wohl nur, wenn man so unschöne Seiten, wie Pest und Hexenverbrennungen ausblendet. „Glücklich ist, wer vergisst“, wusste schon Operetten-König Johann Strauß. Die Grenzen zwischen Geschichte und Gegenwart vergaßen auch der mittelalterlich gewandete Mitspieler des Pfingstspektakulums und der lederbemützte Mann in Jeans und Muskel-Shirt, die am Pfingstsamstag auf der Schloßstraße Raum und Zeit vergaßen, um im Hier und Jetzt mit einer Flasche Bier anzustoßen. Geistliches Getränk statt Heiliger Geist? Vielleicht ja beides. Denn der Mann aus der Gegenwart und der Mann aus der Geschichte, waren sich offensichtlich sehr ähnlich, hatten ihren Spaß und unterhielten sich sehr angeregt über weiß Gott was, frei nach dem Motto: Nimm dir Zeit, sonst hast du keine. Wenn das keine Erleuchtung ist.

Dieser Text erschien am 17. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 18. Mai 2016

Zeitsprung: Als die Zillertalbahn an der Ruhr fuhr: Der Mülheimer Rolf Groß erinnert sich

Zeitzeuge und Zillertalbahnfan
Rolf Groß erinnert sich an
den Mai 1971
Nein. Das wollte die zwölfjährige Nele ihrem Großvater Rolf Groß nicht glauben, als er ihr bei einem Spaziergang am Leinpfad erzählte, „dass hier mal eine Dampflok mit drei Waggons gefahren ist!“ Wer den beschaulichen Leinpfad betrachtet, kann sich tatsächlich kaum vorstellen, dass sich hier einmal Zehntausende drängten, um mit einer alten Dampfeisenbahn vom Franziskushaus bis zur Schloßbrücke zu fahren.

Und doch war es vom 1. bis 16. Mai 1971 genau so. „Damals fuhren rund 75 000 Menschen mit der alten Zillertalbahn, obwohl sie so langsam fuhr, dass ein Huhn hätte nebenher laufen können.“, erinnert sich der heute 75-jährige Groß an die tollen Tage im Mai.

Er selbst, der bis heute bei den Mülheimer Kanu- und Skifreunden aktiv ist, kannte die Zillertalbahn schon von seinen Kanutouren auf der in den 60er Jahren noch unbegradigten Ziller. „Die haben damals im Zillertal auch mal eben einen Wagen angehängt, damit meine Freunde Horst und Jürgen und ich unsere Kanus aufladen konnten“, erinnert sich Rolf Groß wehmütig. „Würde man die alte Zillertalbahn heute noch mal durch die Ruhranlagen fahren lassen, würde es hier bestimmt wieder brummen“, ist Groß überzeugt. Offensichtlich kannten und schätzten damals viele Mülheimer die um 1900 erbaute Zillertal-Dampfeisenbahn, die sie aus ihrem Urlaub kannten. Denn auch in Mülheim gab es einen Freundeskreis der Zillertalbahn, die deren 22 Tonnen schwere Dampflok in der Stadtmitte aufstellen wollte, um für das Zillertal im Allgemeinen und für den Erhalt der (übrigens heute noch fahrenden) Zillertalbahn zu werben.

„Wenn schon, dann richtig!“ dachten sich Oberbürgermeister Heinz Hager, Oberstadtdirektor Heinz Heiderhoff, Stadtsprecher Günter Ader und Hauptamtsleiter Kurt Wickrath in ihren Funktion als Vorstände des Mülheimer Verkehrsvereins und vereinbarte 1970 mit dem Fremdenverkehrsverband des Zillertales einen Ausflug der Zillertalbahn an die Ruhr.  Finanziell gestemmt werden konnte das Projekt allerdings nur, weil die Bundesbahn die Zillertalbahn damals   kostenlos nach Mülheim brachte und die dortigen Freunde der Zillertalbahn unentgeltlich das Gleisbett an der Ruhr herrichteten. Die Gleise selbst kamen als Leihgabe von der Ferostahl AG.

Musikalisch begleitet wurde das Gastspiel der Zillertalbahn von einer 40-köpfigen Trachtenkapelle aus dem Zillertal, die nebenbei auch auf der Maikundgebung des DGBs spielte. Musikalisch mit von der Partie waren bei den tollen Eisenbahntagen an der Ruhr auch das Hippacher Trio aus dem Zillertal sowie die Mülheimer Musikanten vom Fanfarenzug der KG Blau Weiß, vom Broicher Gesangsverein 1869 und von den jazzenden Woodhouse-Stompers. Allein an den ersten beiden Tagen kamen über 100 000 Besucher an die Ruhr. Mülheim machte überregional Schlagzeilen und Valentin Reicheneder vom Werbering Innenstadt jubelte in der NRZ: „Das ist die beste Werbeaktion, die wir je durchgeführt haben.“

Und Erich Heiß vom Fremdenverkehrsverband Zillertal überlegte angesichts des Ruhrtales, ob man nicht künftig im Zillertal Urlaubsreisen an die Ruhr anbieten sollte.“ Doch waren der finanzielle und technische Aufwand am Ende wohl doch so groß, dass der Ausflug der Zillertalbahn an die Ruhr ein einmaliges Vergnügen bleiben sollte.

Dieser Text erschien am 13. Mai in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 17. Mai 2016

Was einem politisch interessierten Schüler zur Zukunft der politischen Landschaft einfällt: Drei Fragen an Max Stimpel

Max Stimpel ist stellvertretender
Schülersprecher der Otto-Pankok-Schule
Warum sollten sich Jugendliche für Politik interessieren?

Weil Politik unser Leben unmittelbar bestimmt. Wenn die Stadt überschuldet ist, mit Ruhrbania einen Flop gelandet hat, die Innenstadt besser dastehen, der Einzelhandel besser auf die Stadt verteilt werden müsste und der Nahverkehr nicht immer weiter ausgedünnt werden dürfte, kann das niemanden kalt lassen.

Welche Fragen muss die Politik für die Zukunft angehen?

Die Innenstadt muss wiederbelebt werden. Auch der Gang durch unsere Schulen würde Kommunalpolitikern aufzeigen, wo dringender Handlungsbedarf besteht und dass wir uns künftig Prestige-Projekte wie Ruhrbania nicht mehr leisten können.

Wie sähe Ihre Vision für Mülheim 2030 aus?

Ich wünsche mir pragmatische Politiker, die genau hören, was die Menschen brauchen und unsere Stadt voranbringen, indem sie Geld für sinnvolle Projekte ausgeben, die die Lebensbedingungen verbessern. Ich hoffe auf Politiker, die sich nicht nur vor Wahlen in den Schulen blicken lassen, um mit Jugendlichen zu sprechen und sie jenseits eines Jugendstadtrates, der vielen Jugendlichen nichts bringt, in schul- und jugendpolitische Projekte mit einzubeziehen.

Dieser Text erschien am 11. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Montag, 16. Mai 2016

Was einem Politiklehrer zur Zukunft der politischen Landschaft einfällt: Drei Fragen an Björn Schnieder

Björn Schnieder unterrichtet
Sozialwissenschaften an der
Otto-Pankok-Schule
Muss man sich um das politische Interesse der Schüler Sorgen machen?

Nein. Jugendliche sind an Politik interessiert. Sie haben ein ausgeprägtes Gespür für Ehrlichkeit und soziale Gerechtigkeit. Deshalb sehen sie die soziale Entwicklung in unserer Gesellschaft auch mit Unbehagen. Wenn Jugendliche von heute politisch aktive Erwachsene von morgen werden sollen, muss die Politiker von heute sie mit Ehrlichkeit überzeugen.

Wie sähe Politik in der Zukunft im günstigen Fall aus?

Dann werden wir Lokalpolitiker haben, die wissen, dass sie den Bürgern Politik so erklären müssen, dass sie alle verstehen und die Entscheidungen mittragen können. Wenn Bürger erleben, dass Politiker ehrlich agieren und die soziale Gerechtigkeit im Blick behalten, werden sie sich auch interessieren und beteiligen. Sie spüren, dass Politik das Leben aller positiv gestalten kann.

Und wenn es schlecht läuft?

Dann wird die Politik von wenigen Lobbyisten bestimmt, die eigene Interessen verfolgen. Die Stadt gerät in eine Schieflage, die sozialen Sprengstoff schafft. Die öffentliche Infrastruktur bröckelt immer mehr. Und die Menschen kümmern sich mehr um sich und wenden sich von der Politik ab.

Dieser Text erschien am 11. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung


Sonntag, 15. Mai 2016

Keine Angst vor Quereinsteigern

SPD-Stadtrat Heinz Braun, hier vor
einem Willy-Brandt-Portrait in der
SPD-Fraktionsgeschäftsstelle
setzt auf die Überzeugungskraft des
gelebten Vorbildes
Was sagen parteipolitisch aktive Mülheimer zu den Denkanstößen aus der Denkfabrik? Schlaglichter einer nicht repräsentativen Umfrage:

Heinz Braun (SPD-Fraktion)/72) „Politik lebt von Persönlichkeiten, die als Vorbild überzeugen. Mich hat in den 60er-Jahren das Vorbild des damaligen Münchner Oberbürgermeisters Hans-Jochen Vogel überzeugt, in der SPD aktiv zu werden. Wir müssen damit leben, wenn weniger Menschen sich in einer Partei engagieren wollen. Denn Demokratie funktioniert nur freiwillig und niedrige Wahlbeteiligungen können auch eine relative Zufriedenheit ausdrücken.“

Jugendstadtrat Filip Fischer (19): „Die Parteien werden künftig mehr Offenheit für politisch interessierte Menschen haben müssen, die sich nicht dauerhaft in einer Partei, sondern vielleicht nur für ein bestimmtes Projekt engagieren wollen. Erfolgreich werden nur Parteien sein, die auf die Bürger hören und ihre Bedürfnisse erkennen.“

Lothar Reinhard (MBI-Fraktion): „Kommunalpolitiker müssen alle ideologischen Scheuklappen ablegen und auch das Gespräch mit anderen Städten suchen. Wir brauchen eine themenorientierte Politik, die die Sorgen der Bürger aufgreift und alle Formen der Kommunikation nutzt.“ 

Franziska Krummwiede (Grüne Fraktion/30): „Es müssen Wege der Erneuerung gesucht und gefunden werden. Ein solches Umdenken geht mit demokratischer Inklusion einher. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, Vermögens- und Einkommensunterschiede spalten die Gesellschaft. Inklusion in den Arbeitsmarkt und in Bildungsinstitutionen müssen zur obersten Priorität der neuen Parteiendemokratie werden, um die Empathie der Menschen für die Demokratie wieder zu erlangen.“

Meike Ostermann (FDP-Fraktion/42): „Parteien müssen einsehen, dass sie auf kreative Quereinsteiger angewiesen sind und die Menschen keine Lust auf eine politische Ochsentour haben. Parteien tun sich keinen Gefallen, wenn sie einfach den oder die Kandidatin nominieren, der oder die am längsten dabei ist.“

Drako Medic (Vorsitzender der Jungen Union: „Die Parteien müssen schneller die für die Bürger relevanten Themen aufgreifen. Bürger müssen den Eindruck haben, dass sie von Parteien eingeladen sind, an den für sie interessierenden Themen mitzuarbeiten und mitzugestalten. Zur Glaubwürdigkeit der Parteien trägt bei, dass die Bürger erkennen, dass man sich mit ihren Problemen, Ideen und Anregungen auseinandersetzt, also, dass die Parteien als Kümmerer wahrgenommen werden.

Jan Vogelsang (SPD-Fraktion/20): „Die kleinteilige Arbeit in den Stadtteilen ist ein unerlässlicher Aspekt von Kommunalpolitik. Nur wer sich den Fragen und Problemen der Bürgerinnen und Bürger stellt, kann damit rechnen, Vertrauen zu gewinnen und der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Häufig sind hierfür die konventionellen Methoden die effektivsten: Infostände und Hausbesuche haben sich meiner Erfahrung nach stets bewährt. In Kombination mit der Nutzung neuer Medien können so für die Bürger relevante Themen aufgegriffen werden. Wer bereit ist, diese Aufgaben zu übernehmen und die Themen anschließend politisch aufzugreifen und umzusetzen, erfüllt bereits ein wichtiges Kriterium für die Auswahl eines geeigneten Kandidaten.“

Dieser Text erschien am 11. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Samstag, 14. Mai 2016

Zeitsprung an der Kofferecke

So sah Zeitzeuge Walter Neuhoff 1980 als Fotograf die
sogenannte Kofferecke zwischen Eppinghofer- und Leineweber Straße.
Eine alter Straßenbahntriebwagen des Baujahres 1955 biegt um die Ecke. „Diesen Wagen gibt es heute noch. Als die Nachbarstadt Oberhausen den Straßenbahnverkehr 1968 abschaffte, übernahmen die städtischen Verkehrsbetriebe einige der alten Wagen. Dieser Wagen, den wir hier sehen, wird bis heute von Festgesellschaften jeder Art bei der Mülheimer Verkehrsgesellschaft für Nostalgiefahrten gebucht“, erzählt der 1936 geborene Mülheimer Walter Neuhoff.

Er hat die historische Aufnahme im Jahr 1980 an der heute sogenannte „Kofferecke“ an der Eppinghofer- und der Leineweber Straße gemacht.
Das Foto zeigt noch das alte, in den frühen 70er Jahren errichtete City-Center. Es war nach dem 1973 eröffneten Rhein-Ruhr-Zentrum das zweite Mülheimer Einkaufszentrum und wurde 1994 durch das heutige Forum ersetzt.

Damals trennte die Eppinghofer Straße noch die Fußgängerzone auf der Schloß- und Leineweberstraße vom City-Center. Erst Mitte der 80er Jahre entstanden der heutige Kurt-Schumacher-Platz mit dem Stadtsäulenbrunnen und der unterirdische Busbahnhof am Hauptbahnhof. Damals wurde die Eppinghofer Straße für die Fußgänger überbrückt und blieb gleichzeitig unterhalb des KurtSchumacher-Platzes weiterhin für Autos passierbar.

Heute passieren die Straßenbahnen nicht mehr die Kofferecke, die aufgrund eines dort ansässigen Lederwarengeschäftes so genannt wird, sondern biegen, von der Kaiserstraße und dem Kaiserplatz kommend, nach links in die Leineweberstraße ein.

Dieser Text erschien am 9. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Relevante Themen und glaubwürdige Köpfe können mobilisieren: Was dem Politikwissenschaftler Stefan Thierse zur Zukunft der politischen Landschaft einfällt

Dr. Stefan Thierse (33)
 lehrt seit 2013 als Politikwissenschaftler
 an der Universität Duisburg-Essen
Im ersten Nachkriegs-Stadtrat gab es mit der SPD, der CDU, der FDP und der KPD vier Fraktionen. In den 50er-, 60er-, 70er- und frühen 80er-Jahren bestand das parlamentarische Spektrum aus einer mit absoluter Mehrheit regierenden SPD. 1984 zog mit den Grünen erstmals wieder eine vierte Fraktion ins Stadtparlament ein. Und seit 1994 ist die absolute Mehrheit der SPD passè. Nach dem Fall der Fünf-Prozent-Hürde ist das Stadtparlament seit 1999 bunter und das Regieren nicht leichter geworden. 

Die 54 Ratsmandate verteilen sich derzeit auf SPD, CDU, FDP, Grüne, MBI, Piraten, Bündnis für Bildung, Wir aus Mülheim, den Bürgerlichen Aufbruch, die Linke und die aus der AfD hervorgegangene Allianz für den Fortschritt (Alfa). Folgt man dem seit 2013 an der Universität Duisburg-Essen lehrenden Politikwissenschaftler Stefan Thierse, der sich als Forscher mit Parteien und Verfassungssystemen beschäftigt, wird es in Zukunft noch weniger Parteimitglieder, dafür aber mehr in Bürgerinitiativen und -bündnissen politisch aktive Bürger geben. „Es gibt keinen Vetrauensvorschuss mehr, nach dem Motto ,Die Politiker werden schon in meinem Sinne handeln.’ Hinzu kommt das Internet, das den Zugang zu Informationen erleichtert“, erklärt Thierse die Entwicklung. Der demografische Wandel tue sein Übriges. „Denn mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft und einem damit wachsenden Anteil von Menschen, die im Ruhestand sind, wird die Zahl der Bürger zunehmen, die Zeit, Engagement und Expertise für gesellschaftliche Belange aufwenden können.“ Auch wenn es künftig weniger Parteimitglieder und weniger Stammwähler geben wird, glaubt Thierse, dass das Modell der kompromiss- und koalitionsfähigen Volksparteien auch in Zukunft gebraucht wird. Er ist überzeugt: „Die Unionsparteien und die SPD sind ein Stabilitätsanker: Wenn man gegenseitige Koalitionsfähigkeit und die Fähigkeit zu vernünftigen Kompromissen erwarten kann, dann von diesen Parteien. Der Anspruch von Volksparteien, Politik nicht nur für eine spezielle Klientel, sondern für alle Bürger zu machen, ist unverändert aktuell.“ 

Doch wie erklärt er sich dann den aktuellen Sinkflug der alten SPD und den plötzlichen Aufstieg der noch jungen AfD. In seiner Analyse zeigt das Beispiel der AfD, „dass Zugangshürden, wie eine 2,5- oder 5-Prozent-Sperrklausel, mühelos überwunden werden können, wenn Newcomer mit ihren Themen auf eine Nachfrage in der Wählerschaft reagieren, die etablierte Parteien nicht (mehr) bedienen.“ Auch wenn Thierse einräumt, dass die technische Entwicklung der neuen Medien die politische Kommunikation verändert, sieht er die klassischen Formen der persönlichen Ansprache keineswegs als überholt an.

Denn Thierse sieht auch eine Kehrseite der digitalen und beschleunigten Kommunikation und Information. „Durch die digitalen Medien wird die Tendenz einer Aufregungsdemokratie verstärkt. Dies zeigt sich exemplarisch an der Debatte um die Asyl- und Flüchtlingspolitik oder den Ereignissen der Silvesternacht in Köln. Sachentscheidungen, die Analyse und das Abwägen von Alternativen kosten Zeit, im Unterschied zu Scheinlösungen und emotionalisierter Reaktion“, beschreibt der Politikwissenschaftler die Herausforderung, vor der die politischen Parteien künftig stehen werden. Doch es gibt auch eine ermutigende Nachricht. Denn Thierse sagt allen politisch aktiven Bürgern, dass sinkende Wahlbeteiligung, die Zersplitterung der Räte und Parteienverdrossenheit kein Naturgesetz sind. 

Denn die Ergebnisse seiner Wahlforschung zeigen: „Wenn es aus Sicht der Wähler über etwas Relevantes zu entscheiden gilt, gehen auch mehr Wähler an die Urne. Auch als glaubwürdig eingeschätzte Kandidaten oder ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen zwei starken Kandidaten können mobilisierend wirken."

Dieser Text erschien am 11. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 13. Mai 2016

So gesehen: Heute fremd, morgen Freund

Die NRZ schaut in den nächsten Wochen in einer Serie ins Mülheim von morgen. Wer sich mit den Bevölkerungsstatistiken beschäftigt, der merkt schnell: Wir werden älter, bunter und weniger. Dabei sind sich die Statistiker mit dem Weniger im Moment gar nicht mehr so sicher. Was an der Zuwanderung liegt. Und genau darin liegt eine Chance, denn qualifizierte Zuwanderer können die Einheimischen und Führungskräfte von morgen sein. Fragen Sie Ihre Nachbarn Frau und Herrn Kowalski. Einst kamen sie aus Polen, er hat unter Tage geschuftet und sich und das Land hochgearbeitet.

Wir sollten weitsichtig sein. Denn, wenn wir hoffentlich nicht jung gestorben, sondern alt und älter geworden sind, werden es vielleicht Herr Abdullah und Frau Al-Abadi sein, die als unsere Nachbarn, Pfleger oder Ärzte dafür sorgen werden, dass wir trotz unseres Alters und unserer Krankheiten nicht zu alt aussehen, weil sie uns helfen und uns ihre Geschichte erzählen.

Wir tun also schon heute gut daran, dass Herr Abdullah und Frau Al-Abadi uns eine schöne Geschichte, nämlich davon, wie sie von Fremden zu Freunden wurden, erzählen können.

Oder wollen Sie etwa im Altenheim über traurige Geschichten weinen und von frustrierten Menschen oder gar von einem Roboter gepflegt werden?

Dieser Text erschien am 10. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Donnerstag, 12. Mai 2016

Älter, bunter, weniger Der Flüchtlingszustrom hat die Statistiker vorsichtig werden lassen, wenn sie Bevölkerungsprognosen aufstellen

Der Stadtforscher Harald Trieb
Schaut man sich die Bevölkerungsprognosen der Stadtforschung an, so gehen sie davon aus, dass Mülheim im  Zuge des demografischen Wandels älter, kleiner und bunter wird. Doch seit dem ab 2013 akut angestiegenen Flüchtlingszustrom (aktuell leben nach Angaben der Sozialverwaltung rund 2500 Flüchtlinge in der Stadt) wollen sich die Statistiker von Stadt und Land nicht mehr auf die bisher prognostizierte kontinuierliche Bevölkerungsabnahme festlegen. „Das liegt daran, dass wir derzeit nicht sagen können, ob er der Flüchtlingszustrom  noch einmal ansteigt und wie lange die Flüchtlinge und ihre Familien bei uns bleiben werden,“ erklärt Statistiker Harald Trieb.

Grundsätzlich weist der Stadtforscher darauf hin, dass das alternde Mülheim die angestiegene Zuwanderung gut gebrauchen kann, um seine soziale und wirtschaftliche Infrastruktur langfristig aufrechtzuerhalten. Sozialdezernent Ulrich Ernst hat jetzt darauf hingewiesen, dass 95 Prozent der in Mülheim lebenden Flüchtlinge jünger als 42 Jahre seien. Er geht davon aus, dass rund 75 Prozent der jetzt in Mülheim lebenden Flüchtlinge dauerhaft bei uns bleiben werden.

   ZAHL: Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung, die die Zahl der Einwohner Mülheims entgegen dem langfristigen Trend 2014/15 von rund 168 000 auf 171 000 ansteigen ließ, haben die Statistiker der Stadt ihre 2011 aufgestellte Bevölkerungsprognose einstweilen zurückgezogen. Diese ging davon aus, dass die Zahl der Mülheimer von 176 000 (im Jahr 1995) auf rund 162 000 im Jahr 2025 zurückgehen werde.

HERKUNFT: Feststeht: Mülheim ist bunter geworden und die Zuwanderung wird mit leichten Schwankungen vermutlich langfristig anhalten. Seit der Volkszählung im Jahr 1987 hat sich der Ausländeranteil in der Mülheimer Bevölkerung von 6,5 auf 13,5 Prozent erhöht. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Einwohner mit deutscher Staatsbürgerschaft um rund 17 000 auf derzeit 148 000. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Zahl der Mülheimer mit deutscher und einer zusätzlichen ausländischer Herkunft zwischen 2002 und 2015 von 7000 auf 13 800 angestiegen ist. Damit erhöhte sich ihr Bevölkerungsanteil in diesem Zeitraum von 4,1 Prozent auf 8,1 Prozent.
Trieb und seine Kollegen aus der Stadtforschung gehen derzeit davon aus, dass jedes Jahr in Mülheim rund 800 Menschen mehr sterben, als geboren werden. Das war in den 50er und 60er Jahren noch ganz anders. Damals sprach man vom Babyboom. Wurden 1962 noch 3176 Menschen in Mülheim geboren, so waren es 2006 nur noch 1161 und 2014 1366.

ALTERUNG: Bereits seit den 70er Jahren altert die Mülheimer Stadtbevölkerung. In den letzten 20 Jahren ist das Mülheimer Durchschnittsalter vom fast drei Jahre auf 45,2 Jahre angestiegen. Im gleichen Zeitraum sank der Bevölkerungsanteil der Unter-18-Jährigen von 24,5 Prozent auf 15,3 Prozent. Auch der Anteil der Unter-45-Jährigen ging von 36,3 Prozent auf 30,4 Prozent zurück. Gleichzeitig stieg der Anteil der 45- bis 65-Jährigen von 24,8 Prozent auf 30,8 Prozent. Noch deutlicher ist der Anteil der über-65-Jährigen angestiegen, nämlich von 14,1 Prozent auf 23,4 Prozent.
Auf der Basis ihrer 2011er-Prognose gehen die Stadtforscher davon aus, dass in 15 Jahren rund 15 Prozent der Mülheimer unter 18 und rund 30 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 45 sein werden. Damit bliebe ihr Bevölkerungsanteil im Vergleich zum Jahr 2015 stabil. Dagegen prognostizieren die städtischen Statistiker in der Gruppe der älteren Erwerbstätigen einen leichten Rückgang von knapp 31 auf dann etwa 28 Prozent.

Hingegen wird der Anteil der über-65-Jährigen noch einmal deutlich, nämlich von jetzt 23,5 Prozent auf dann rund 27 Prozent ansteigen. Diese Entwicklung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die geburtenstarken Jahrgänge, die während der 50er und 60er Jahre geboren worden sind, dann ins Rentenalter kommen.

Dieser Text erschien am 9. Mai 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 11. Mai 2016

Was Mülheimer mit Blick in die Zukunft ihrer Stadt wünschen und was sie befürchten

Eine Bürgerstimme von vielen: Die
Apothekerin Janka Liekfeld wünscht der
Stadt eine geringere Gewerbesteuer und
eine damit verbundene
wirtschaftliche Wiederbelebung.
„Prognosen sind schwierig. Besonders, wenn sie die Zukunft betreffen“, wusste schon der Kabarettist. Dennoch hat die NRZ zum Auftakt ihrer Serie über das Mülheim von morgen, einige Mülheimer aus unterschiedlichen Bereichen der Bürgerschaft dazu befragt, was sie für die Zukunft ihrer Stadt erhoffen und befürchten.

Reinhard Jehles (63), Sprecher der Flüchtlingshilfsinitiative Willkommen in Mülheim (WiM) hofft, dass es im Mülheim von Morgen „eine bessere Verkehrsführung und genug einladende Plätze und Orte geben wird, an denen Menschen sich begegnen können.“ Er  hofft, dass die vorbildlichen Ansätze der Flüchtlingsintegration, auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt, Schritt für Schritt fortgesetzt werden können. Seine große Befürchtung ist, „dass die Schwierigkeiten, die mit der Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen von politischen Scharfmachern genutzt werden könnten, um ihr Süppchen zu kochen und das dann die bisher positive Stimmung in Mülheim kippen könnte.“

Der Satiriker und Kabarettist René Steinberg (42) wünscht sich für das Mülheim von morgen, „Dass es eine Stadt ist, die sich selbst wiedergefunden hat. Mit unschlagbaren Freizeitangeboten am Wasser, Heerscharen von Touristen dank der Kreuzfahrtschiffe, die in Ruhrbania anlegen, einem florierenden Zentrum voller Eigentümer-geführter Läden und einem pulsierendem Nachtleben dank der jugendlichen Frische einer Unistadt.“ Und was befürchtet er für die mittelfristige Zukunft der Stadt. Steinberg antwortet mit dem Schalk im Nacken: „Nichts, ich vertraue den Mülheimern bedingungslos. Rattenfänger und politische Doofköppe haben hier keine Chance. Einzig habe ich die leise Befürchtung, dass unser weltoffener, liberaler und reflektierter Geist einigen wenigen zu Kopfe steigen könnte. Die müssen dann nach Kettwig oder Werden auswandern!“

Die an der Leineweberstraße ansässige Apothekerin Janka Liekfeld (48), wünscht sich für die Zukunft der Stadt einen neuen Wirtschaftsaufschwung mit neuen Arbeitsplätzen und geringeren Gewerbesteuern, um damit auch die Innenstadt wieder zu beleben. Ihr größte Befürchtung ist es, „dass es mit der Innenstadt immer weiter abwärts geht und das mit dem Auseinandergehen der sozialen Schere auch die Kriminalität ansteigen könnte.“

Schülerin Lara Flack (13) wünscht sich 2030 ein Mülheim, „dass nicht mehr so dreckig ist wie heute und das seine Kulturangebote beibehalten wird.“ Gleichzeitig fürchtet sie angesichts der städtischen Verschuldung, „dass Mülheim 2030 noch dreckiger sein könnte  als heute und viele seiner Kulturangebote aus Kostengründen verlieren könnte.“

Verwaltungsmitarbeiter Rüdiger Specht (63) wünscht sich, „dass die Innenstadt durch das neue Ruhrquartier und das geplante Stadtquartier im alten Kaufhof wiederbelebt werden kann.“ Er hofft auf einen „erfolgreichen wirtschaftlichen Strukturwandel und auf neue Arbeitsplätze für die Stadt.“ Auf der anderen Seite befürchtet Specht, „dass die Stadt finanziell von Bund und Land allein gelassen werden könnte, so dass sie finanziell gar nicht mehr in der Lage sein könnte, ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen, geschweige denn zu investieren und die Stadt positiv zu gestalten.“

Rentner Rolf Groß (75) hofft, dass sich die Zuwanderer in unsere Stadtgesellschaft integrieren. Er hofft aber auch, dass straffällige Zuwanderer konsequent abgeschoben werden und die Zahl der Wohnungseinbrüche zurückgeht. Er wünscht sich ein Mülheim, in dem man sich auch abends sicher bewegen und wohlfühlen kann. Das dies nicht geschehen,- sondern genau das Gegenteil eintreten könnte, ist seine größte Befürchtung für die Zukunft der Stadt.

Lehrerin Angela Seidel (58) wünscht sich für das Mülheim von Morgen, dass das geplante Stadtquartier auf dem alten Kaufhof-Areal wieder mehr Menschen in die Innenstadt ziehen wird. „Ich wünsche mir, dass es vor allem an der Schloßstraße und an der Leineweberstraße wieder schöner wird und das wir wieder mehr interessante Geschäfte in die Innenstadt holen können, damit wieder mehr Menschen in die Innenstadt kommen, um dort nicht nur etwas zu erledigen, sondern hier auch  etwas zu erleben und zu verweilen.“ Auf der anderen Seite fürchtet sie, „dass sich die Menschen und die Geschäfte immer mehr aus der Innenstadt zurückziehen und immer mehr Müll das Straßenbild bestimmen könnte.“

Der bei den Grünen aktive Schüler Fabian Jaskolla (18) wünscht sich, dass es 2025 oder 2030 mehr umweltfreundliche Mobilität (Nahverkehr, Rad- und Fußwege) und mehr barrierefreien und bezahlbaren Wohnraum für Menschen aller Generationen und Geldbeutel geben wird. „Ich wünsche mir, dass Mülheim eine für Familien attraktive Stadt wird, in der man gerne wohnt und arbeitet und es schafft Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren.“ Gleichzeitig fürchtet er, „dass sich das schon jetzt bestehende soziale Gefälle zwischen den südlichen und nördlichen Stadtteilen weiter verschärfen könnte.“

Der mit seinem Geo-Haus am Rathausmarkt ansässige Unternehmer Otmar Schuster (73) wünscht sich das Mülheim von morgen als eine Stadt, „in der ein mutiges, tolerantes und wirtschaftsfreundliches Klima herrscht.“ Würde das gelingen, könnte Mülheim auch als attraktive Wohnstadt eine Sogwirkung auf qualifizierte und einkommensstarke Bürger entfalten, die wiederum die Steuerkraft der Stadt stärken könnte. In seinen Albträumen kann sich der Unternehmer aber auch ein Mülheim vorstellen, das künftig „immer stiller und ärmer wird.“

Der Vorsitzende der Bürgerstiftung, Patrick Marx, (45), dass Mülheim 2025 oder 2030 von „verantwortungsvollen und ideenreichen Kommunalpolitikern regiert wird, die sich finanzpolitisch nicht nur durchwursteln.“ Damit Mülheim und die Mülheimer Zukunft haben, wünscht sich Marx eine attraktivere Bildungslandschaft vom Kindergarten bis zur Hochschule und mehr politische Offenheit für pragmatische Lösungen, auch beim Thema Flughafen. Marx könnte sich einen Flughafenbetrieb mit Gewerbegebiet vorstellen.

Dieser Text erschien am 10. Mai in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 10. Mai 2016

Klassik, Kaffee und Begeisterung Mit einem fulminanten Konzert feierte die Initiative Kultur in Mülheim ihr Fünfjähriges in Rick’s Café


Das KIM-Team vor Rick's Café im Medienhaus
Stadtmitte Caféhausmusik vom Feinsten. Dafür muss man nicht nach Wien reisen. Beim Geburtstagskonzert der Initiative Kultur in Mülheim begeisterten die Folkwangstudierenden Felix Parlasca (Fagott), Mark Kantorovic (Klavier), Bence Slajher, (Cello), Árpád Amadé Ádám (Fagott) und Theresa Horejsi (Violine) mit einem brillanten und temperamentvoll vorgertragenen Musikabend von Bach über Saint-Saens bis Bartok. Als Klavierbegleiter und Arrangeur des Csárdás-Finales zeigte Musiklehrer Stephan Glagovsek, dass sich der Musikverstand im KIM-Kreis nicht auf die Theorie beschärnkt.

Die 80 Zuhörer in Rick’s Café konnten kaum glauben, dass es für die Musikstudenten das erste Konzert außerhalb ihrer Hochschule war. Da wurde nicht nur höflich geklatscht, sondern auch Bravo gerufen. Zwei Konzertstunden vergingen im Flug. Und am Ende bedankte sich das KIM-Team um Marlies Schröder nicht nur bei den vielversprechenden Künstlern, sondern auch beim treuen Publikum mit Rosen.

Die Gastgeber der Familie Appenzeller ließen das Jubiläumskonzert nicht ohne Geburtstagskuchen für Gäste und Musiker verstreichen. „Ihre Initiative zeigt, was ehrenamtliches Engagement bewirken kann“, lobte Bürgermeisterin Margarete Wietelmann.

Allerdings gab es an diesem stimmungsvollen Abend des 5.5. zum Fünfjährigen der KIM-Initiative auch einen  kleinen Wermutstropfen. KIM-Aktivistion Doris Schmidt-Enzmann verlässt Mülheim und zieht demnächst mit ihrem Lebensgefährten Peter Quirin nach Norddeutschland. Als kleine Entschädigung spendierte Quirin am Konzertabend spontan 555 Euro für den KIM-Topf, von dem dann auch die jungen Musiker profitieren werden, die am ersten Donnerstag im Monat Juni, das nächste eintrittsfreie KIM-Konzert bestreiten werden, bei dem Spenden immer willkommen sind. Auftakt wird auch dann wieder um 18 Uhr in Rick’s Café sein.

Dieser Text erschien am 10. Mai 2016 in der NRZ/WAZ

Montag, 9. Mai 2016

Zeitsprung: An der Kontad-Adenauer-Brücke

Wir springen zurück ins Jahr 1980 und stehen mit dem NRZ-Leser Lothar Gibkes auf der Konrad-Adenauer-Brücke und blicken in Richtung Ruhr und Ruhrstraße.

Wo wir heute auf der linken Seite die neue Ruhrbania-Bebauung erkennen, sehen wir 1980 noch sogenannten Dezernenten Flügel des Rathauses und die Zentralbücherei am Rathausmarkt. Beide Bauten stammten aus den 60er Jahren. Der Dezernentenflügel wurde 1967 bezogen und die damalige Stadtbücherei wurde 1969 am Rathausmarkt, respektive auf dem späteren Platz der Deutschen Einheit eröffnet. Sie machte damals ihre Räume an der Leineweberstraße frei für den 1970 vollzogenen Einzug des städtischen Kunstmuseums. Das zog bekanntlich 1994 in seine heutige Stätte, die Alte Post.
So fotografierte Rolf Gibkes 1980 den Blick von der heutigen
Konrad-Asenauer-Brücke in Richtung Rathaus

Rechts sehen wir nach wie vor die 1866 errichtete Eisenbahnbrücke, die heute Teil des Ruhr-Rad- und Gehweges ist.

Die nach dem ersten Bundeskanzler benannte Konrad-Adenauer-Brücke trägt ihren Namen erst seit 1987. In den Jahren 1969 bis 1971 wurde das 440 Meter lange und 34 breite Bauwerk als Nordbrücke errichtet. Während die Baukosten mit zehn Millionen Mark zu Buche schlugen, mussten rund 46 Millionen Mark in den Kauf der Grundstücke und Immobilien investiert werden, die der Brückenauf- und abfahrt im Wege waren. Am 6. Oktober 1971 wurde die Nordbrücke vom damaligen Oberbürgermeister Heinz Hager mit einem Oldtimercorso eingeweiht. Mit ihrer Hilfe konnte die Schloßbrücke von 30 Prozent ihrer Verkehrslast befreit werden.

Dieser Text erschien am 30. April 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung 

Samstag, 7. Mai 2016

Stadt und Diakoniewerk müssen ihre Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge mit Bordmitteln finanzieren, obwohl Berlin 500 Millionen Euro bereitstellt

Der Mann aus Afghanistan, der in der Schreinerei des Diakoniewerkes Arbeit und Kultur an den Überresten eines alten Möbelstückes feilt, das mit seiner Hände Arbeit zu einem neuen Möbelstück werden soll, sieht in seinem Blaumann so aus, als arbeite er schon länger hier. Tatsächlich gehört er zu den 22 Flüchtlingen, die in der vergangenen Woche ihren Dienst beim Diakoniewerk begonnen haben. „Ich lebe seit acht Monaten hier. In meiner Heimat war ich Tischler und würde auch hier gerne in meinem Beruf arbeiten“, erzählt der Mann aus Afghanistan dem Sozialdezernenten Ulrich Ernst. Der staunt nicht schlecht, dass dieser in so kurzer Zeit die schwere deutsche Sprache in einem ehrenamtlich erteilten Deutsch-Kurs erlernt hat. „Die Leute sind unheimlich froh und stolz, dass sie hier arbeiten können. Denn das ist für sie ein wichtiger Schritt nach vorne, der ihnen hilft, ihre Fluchterlebnisse hinter sich zu lassen“, weiß Sozialarbeiterin Andrea Reuschel. Zusammen mit acht Kollegen hat sie die arbeitswilligen und arbeitsfähigen Flüchtlinge  für die Stellen im Diakoniewerk ausgewählt.

„Besonders schön“ findet dessen Geschäftsführer Ulrich Schreyer, „dass die Mitarbeiter, die schon länger bei uns sind, die Neuankömmlinge nicht als Konkurrenten ansehen, sondern ihnen unaufgefordert bei den ersten Arbeitsschritten helfen.“ Man braucht nur in die Gesichter der Menschen schauen, die nach einer traumatischen Flucht aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Irak und Mali nach Mülheim gekommen sind und jetzt in der Schreinerei, in der Küche, in der Warenannahme, in der Schneiderei und in der Elektrowerkstatt des Diakoniewerkes arbeiten, um zu ahnen, was ihnen dieser erste Schritt ins deutsche Arbeitsleben bedeutet. „Sie sind unheimlich motiviert und sprechen zum Teil schon erstaunlich gut deutsch“, bestätigt Arbeitsanleiter Marcus Nolden. „Es kommt auf den Anfang an. Auch wenn nicht alle Hoffnungen erfüllt werden, wollen wir die Potenziale der Flüchtlinge nicht brachliegen lassen und sie erst dann fördern, wenn sie als anerkannte Asylbewerber in der Sozialhilfe angekommen sind“, unterstreicht Sozialdezernent Ernst.

„Hier entscheidet sich die Zukunft unserer Gesellschaft“, sagt der Chef des Diakoniewerkes mit Blick auf die Integration der bei uns bleibenden Flüchtlinge. Um so mehr ärgert er sich darüber, dass die 500 Millionen Euro, die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles jetzt für entsprechende Arbeitsgelegenheiten bereitgestellt hat, nur der ihr unterstellten Agentur für Arbeit zugutekommen.
„Es kann doch nicht sein, dass eine Kommune wie Mülheim solche Arbeitsgelegenheiten mit Bordmitteln finanzieren muss und von diesen Bundesmitteln überhaupt nicht profitieren kann.“

Laut Sozialdezernent Ernst sind die mit der Flüchtlingsversorgung verbundenen jährlichen Kosten seit 2012 von zwei bis drei auf jetzt 20 Millionen Euro angestiegen.

Zahlen & Fakten:

 In Mülheim leben zurzeit 3700 Flüchtlinge. Rund 2500 von ihnen sind in acht städtischen Unterkünften untergebracht, da ihr Asylanspruch noch geklärt werden muss. Das dauert derzeit im Durchschnitt rund sechs Monate. Das Diakoniewerk Arbeit und Kultur hat jetzt 30 freiwillige Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge bereitgestellt. Während das Diakoniewerk die fachliche und organisatorische Betreuung dieser Arbeitsgelegenheiten übernimmt, finanziert die Stadt aus ihrem Sozialetat den Stundenlohn von 1,05 Euro. Alle Flüchtlinge, die das Angebot der Arbeitsgelegenheit wahrgenommen haben, haben sich für den maximalen Umfang von monatlich 100 Stunden entschieden. Die Rechtsgrundlage der Arbeitsgelegenheiten bildet der § 5 des Asylbewerberleistungsgesetzes.


Dieser Text erschien am 3. Mai 2016 in der NRZ und in der WAZ

Ihre Wiege stand in Mülheim

  Der Mülheimer Heimatforscher Dirk von Eicken liebt Geschichte(n), die nicht jeder kennt. Eine dieser Geschichten hat er für die  Internets...