Freitag, 31. März 2017

Zwischen Hysterie und Humor: Mit der Premiere der Komödie „Frauenzimmer“ machte das Backstein-Ensemble Lust auf ein Wiedersehen

Marie Zipp-Timmer (als Sally Fischer) und Martin Lennert als Page Tom
Foto: Walter Schernstein
Wenn zwei sich streiten, lacht der Dritte. Der Dritte war an diesem Theaterabend das Publikum im Kasino des Evangelischen Krankenhauses, das bei der Premiere der Komödie „Frauenzimmer“ gut lachen hatte und zwei kurzweilige Stunden erlebte, weil die bewährten und die neuen Schauspieler des Backsteintheaters  ihr Bestes gaben.

Bemerkenswert, wie souverän Newcomerin Ulrike Kroker ihre Hauptrolle als französische Chanson-Diva meisterte und ihrer bereits bekannten und gut eingespielten Kollegin Marie Zipp-Timmer im Zickenkrieg der Show-Gigantinnen in Sachen Situationskomik, Wortgewalt und Bühnenpräsenz nichts schenkte.

Die Situationskomik kam auch bei Klaus Wehling, der den von einer Hysterie in die nächste fallenden Hotel-Direktor Maximilian Alfons Paschke verkörperte und mit dem erblondeten Wolfgang Bäcker (in seiner Rolle als geprügelter Assistent der französischen Chansonnette alle Hände voll zu tun hatte das Chaos in der von den beiden Diven doppelt gebuchten Präsidentensuite zu verhindern.
Weil Männer aber nicht fürs Multitasking gemacht sind, machen die beiden urkomischen Herrn in all ihren verzweifelten Bemühungen das Chaos perfekt. Kein Wunder, dass Hoteldirektor Paschke-Wehling sagt: „Willkommen in der Hölle!“ und sein Leidensgenosse mit dem Schoßhund seiner Chefin in der Hand meint: „Hätte ich doch auf meine Mutter gehört und wäre Baguetteausträger in  Aix-en-Provence geworden.“

Schon mancher Mann hat in schwierigen Lebenslagen bereut, nicht auf seine Mutter gehört zu haben. Doch was hilft es. Das Leben ist kein Kinderzimmer, sondern eine Bühne, auf der jeder seinen Mann stehen muss. Das gilt auch dann, wenn einem, wie dem Hoteldirektor Paschke-Wehling nicht nur zwei Diven, sondern auch noch eine verdammt wohltätige Gattin des Hotel-Vorstandsvorsitzenden in die Quere kommt. Diese dumm-dreiste und zugleich naive Persönlichkeit, die „verlorene Jungs“ mit einem Resozialisierungswochenende im Grandhotel zu retten versucht, bis nichts mehr zu retten ist und die Bundeswehr anrücken muss, erweckte die  zauberhafte Ursula Bönte am Premierenabend zu Leben.

Dieser Text erschien am 28. März 2017 in NRZ/WAZ

Mittwoch, 29. März 2017

Pflege daheim: Zum Schluss bleibt die Dankbarkeit Helga Terwint erzählt, wie sie ihren demenzkranken Ehemann Friedel daheim gepflegt hat: Obwohl sie als gelernte Altenpflegerin vom Fach war, führte sie diese Herausforderung an ihre persönlichen Grenzen

Helga Terwint
Alzheimer und Demenz. Es gibt wohl weinige Worte, die in unserer alternden Gesellschaft so angstbesetzt sind, wie eben diese Diagnosen. Das Demenz-Service-Zentrum Westliches Ruhrgebiet geht davon aus, dass derzeit 3000 Mülheimer an Demenz erkrankt sind. Wie verändert es das eigene Leben, wenn der über Jahrzehnte vertraute Partner nicht  mehr derselbe ist und  rund um die Uhr betreut werden muss? Wie kann man sich in dieser extremen Situation als pflegender Angehöriger helfen und  helfen lassen?
Ein Gespräch mit der 83-jährigen Helga Terwint, die ihren demenzerkrankten Mann Friedel von 2008 bis zu seinem Tod 2011 zu Hause in Styrum gepflegt hat, bringt aufschlussreiche Einblicke.

Wann haben Sie gemerkt, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmt?

Terwint: Als er eines Tages neben mir im Bett lag und weinte und plötzlich sagte: Ich vergesse alles. Ich hatte zuvor auch schon bemerkt, dass er immer öfter Dinge vergaß oder Sachen verlegte und nicht mehr wusste, wohin er sie verlegt hatte.
Wie haben Sie reagiert?
 In dieser Situation habe ich ihm einfach gesagt: Ich denke jetzt für dich mit.

Sind Sie zu einem Arzt gegangen?

Ja. Der hat versucht, mit meinem Mann einen entsprechenden Diagnosetest zu machen, bei dem er bestimmte Dinge zeichnen sollte. Doch das hat mein Man einfach nicht mitgemacht. Ich war mir trotzdem über seine Krankheit im Klaren, da ich als Einsatzleiterin für einen ambulanten Pflegedienst gearbeitet habe. Deshalb wusste ich um die Symptome einer demenziellen Veränderung.

Wie sah Ihr Alltag aus?

 Mein Mann und ich haben eine gute Ehe geführt. Aber jetzt wurde alles anders und es wurde immer schlimmer?

Was bedeutet schlimmer?

Es gab Situationen, in denen mein Mann mich und unseren Sohn oder unsere Freunde nicht mehr wiedererkannte und dann auch aggressiv wurde.

Wie sahen diese aggressiven Verwirrungszustände aus?

Dann griff mich mein Mann plötzlich am Arm und stieß mich weg, was er sonst nie gemacht hatte. Oder er sagte: „Verlassen Sie meine Wohnung oder ich rufe die Polizei!“ Und wenn ich ihm dann sagte: „Wir sind doch verheiratet“, antwortete er mir: „Nein. Mit Ihnen bin ich nicht verheiratet. Sie sind ja eine alte Frau!“ Auch gemeinsame Freunde, die wir eingeladen hatten,  warf er mit den Worten: „Habt ihr keine eigene Wohnung?“ hinaus.

Was haben Sie in solchen Situationen gemacht?

Aus meiner beruflichen Erfahrung, wusste ich, dass es keinen Sinn macht, demenziell veränderten Menschen zu widersprechen, wenn sie in ihre eigene Welt abgetaucht sind. Ich habe deshalb dann einfach mitgemacht, meinen Mantel angezogen und die Wohnung verlassen. Anfangs habe  ich immer im Keller abgewartet, bis sich mein Mann wieder beruhigt hatte. 

Später durfte ich dann in der Wohnung unserer Hausnachbarn und Mieter abwarten. Und wenn ich dann nach einiger Zeit wieder in unsere Wohnung ging, kam mir mein Man entgegen, als sei nicht gewesen und meinte: „Da bist du ja endlich. Ich habe schon auf dich gewartet.“

Konnte Ihr Sohn Ihnen helfen?

Nur in Grenzen, weil er als berufstätiger und alleinerziehender Vater in Mannheim lebt.

Wo fanden Sie Hilfe?

Zunächst hat mir eine befreundete Sozialarbeiterin geholfen, Pflegegeld zu beantragen. Und dann kam einmal pro Woche die Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes ins Haus. Sie kümmerte sich dann für einige Stunden um meinen Mann, so dass ich mal einen Stadtbummel machen und ein Café besuchen oder mich einfach nur mal ausschlafen konnte. Über den Pflegedienst bekam ich auch Kontakt zur örtlichen Alzheimergesellschaft und zu Demenz-Cafés, zu denen ich mit meinem Mann gehen und dort Menschen treffen  konnte, die mich verstanden, weil es ihnen genauso erging, wie mir.

Auch die Tipps der Pflegedienst-Mitarbeiterin haben mir sehr geholfen. Sie riet mir, zum Beispiel unser Hochzeitsfoto aus dem Jahr 1955 und andere alte Fotos in unserer Wohnung aufzustellen. Das hat meinen Mann sehr beruhigt. Indem wir uns gemeinsam an unsere Hochzeit, an Reisen und Familienfeste erinnerten, hatten wir gemeinsame Erinnerungen und damit gemeinsame Gesprächsthemen. Auch wenn wir gemeinsam unser Stammlokal besuchten und er vom Wirt, der sehr einfühlsam auf ihn einging, sein Lieblingsgericht – Schweine-Filet mit Paprika-Gemüse – bekam, war für meinen Mann und mich die Welt für einige Zeit wieder in Ordnung.

Und wie haben Sie Ihren normalen Alltag bewältigt?

Ich habe meinen Mann überall hin mitgenommen und begleitet. Einmal hatte ich beim Friseur den Kopf unter Wasser, als es ihm zu lange dauerte und er plötzlich in unser Auto stieg und weg fuhr. Ich habe natürlich einen Schrecken bekommen. Doch nach einiger Zeit kam er wieder und brachte zwei Hosen mit, die er sich in der Stadt gekauft hatte. Manchmal hatte er ja auch in seiner Krankheit geistig helle Momente.

Wie schauen Sie auf die letzten Jahre mit Ihrem Mann zurück?

Ich bin dankbar dafür, dass mein Mann und ich eine glückliche Ehe mit schönen Erlebnissen führen durften und das ich ihm in seinen letzten Jahren helfen konnte.

Haben Sie selbst Angst davor, an Alzheimer zu erkranken?

Nein. Ich habe gute Gene und will noch sehr alt werden. Ich bin in einem Sportverein aktiv, engagiere mich in einem Demenz-Café für Kranke und ihre Angehörige und habe mir gerade erst ein neues Auto gekauft. Denn ich bin noch neugierig auf das Leben.

Wertvolle Hinweise und Informationen zum Thema bietet die Internetseite der Alzheimer-Gesellschaft Mülheim unter: www.alzheimer-muelheim.de

Dieser Text erschien am 29. März 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 28. März 2017

Pflege daheim: Hilfe für ein Leben in Würde - bis zuletzt: 40 Frauen und Männer begleiten im Auftrag des Ambulanten Hospizes schwerstkranke und sterbende Menschen zu Hause und entlasten damit auch deren Angehörige

Ursula König (links) und Andrea Guntermann vom Ambulanten Hospiz
Viele Menschen möchten die letzten Tage ihres Lebens zu Hause im Kreise ihrer Familie verbringen, auch wenn die meisten tatsächlich im Krankenhaus oder in einem Altenheim sterben. Doch was kann man tun, um den Wunsch des Sterbens in der vertrauten häuslichen Umgebung zu erfüllen, ohne an der damit verbundenen Herausforderung zu scheitern?  Menschen, die vor dieser Frage stehen, kommen die 40 Frauen und Männer zur Hilfe, die im Auftrag des Ambulanten Hospizes allein im vergangenen Jahr 63 sterbende Mitmenschen begleitet und deren Angehörige so entlastet haben. Wann und wie hilft der 1996 von Henning und Ursula König ins Leben gerufene Hospizverein?  Das erklären seine hauptamtliche Koordinatorin Andrea Guntermann und seine Mit-Gründerin und Frontfrau Ursula  König.

Warum brauchen wir in Mülheim ein ambulantes Hospiz, wenn es doch auch ein stationäres Hospiz gibt?

Ursula König: Weil die zehn Plätze des stationären Hospizes bei weitem nicht ausreichen, um den tatsächlichen Bedarf bei der Begleitung und Betreuung  schwerstkranker und sterbender Menschen abzudecken. Wir sind eine vergleichsweise alte Stadt mit 170 000 Einwohnern. Deshalb ist das Ambulante Hospiz auch als Hospizverein ins Leben gerufen worden.

Die meisten Ihrer Klienten rufen Sie erst mal an. Welche Fragen hören Sie am Telefon als erste?

Andrea Guntermann: Was kostet das? Und: Wann können Sie kommen? Viele staunen, wenn ich ihnen sage, dass wir ehrenamtlich arbeiten und unser Dienst deshalb kostenlos ist.

Muss man lange auf eine Begleitung warten?

Ich fahre so schnell, wie möglich zu den Betroffenen, um mir vor Ort ein genaues Bild von den individuellen Bedürfnissen der Schwerstkranken und Sterbenden und ihrer Angehörigen zu machen und zu überlegen, welche Begleiterin oder welcher Begleiter zu den jeweiligen Menschen am besten passen könnte. In der Regel dauert es nur wenige Tage, ehe unsere Ehrenamtlichen ins Haus kommen.

Sind sie so etwas, wie ein ambulanter Pflegedienst?

Ursula König: Nein. Wir übernehmen zwar kleine Handreichungen. Aber wir pflegen nicht. Wir bringen vor allem Zeit mit, Zeit, um zuzuhören, da zu sein, vielleicht um eine Hand zu halten, mit dem Sterbenden zu sprechen oder ihm etwas vorzulesen. Dabei ist für uns immer entscheidend, was der Schwerstkranke selbst braucht und will.

Und was haben die Angehörigen davon?

Andrea Guntermann: Sie werden vor allem entlastet und bekommen Zeit, in der sie Arztbesuche und Einkäufe erdledigen oder sich auch mal mit Freunden treffen und ausspannen können. Das ist in dieser extremen Ausnahmesituation sehr wichtig, weil die Arbeit, die hier zu leisten ist, oft auf sehr wenige Schultern verteilt ist.
Ursula König: Hinzu kommt, dass sich Sterbende, aber auch deren Angehörigen oft eher einem Fremden, als einem Angehörigen öffnen, weil sie bei ihm oder ihr einfach alles sagen können, was sie bedrückt und bewegt, ohne jemanden schützen zu müssen, der ihnen nahe steht.

Wie werden die Ehrenamtlichen des Ambulanten Hospizes auf ihre schwierige Aufgabe vorbereitet?

Ursula König: Zunächst führen wir ein Auswahlgespräch mit Bewerbern, um auszuschließen, dass sie der Aufgabe vielleicht psychisch nicht gewachsen sind, weil sie zum Beispiel selbst noch eine unbewältigte Trauerarbeit zu leisten haben. Alle Bewerber durchlaufen eine aus 100 Stunden bestehende Ausbildung, die etwa ein halbes Jahr dauert und sowohl psychologische, soziale, rechtliche, medizinische  und ethische Anteile beinhaltet. Entscheidend ist, dass jeder Ehrenamtliche, der Sterbende begleitet, sich selbst mit seiner eigenen Sterblichkeit auseinandersetzt. Zur Ausbildung gehört auch ein 30-stündiges Praktikum, dass die Ehrenamtlichen wahlweise in einem Krankenhaus, in einem Altenheim oder in einem Hospiz absolvieren.

Warum engagieren sich Menschen im Ambulanten Hospiz?

Ursula König: Weil sie selbst in einer vergleichbaren Situation Hilfe erfahren oder vielleicht auch keine Hilfe erfahren haben, die sie sich damals gewünscht hätten. Es sind oft Menschen in der zweiten Lebenshälfte, die eine Menge Lebenserfahrung und viel Einfühlungsvermögen mitbringen oder die nach einem erfüllten Berufsleben etwas Sinnvolles tun und etwas zurückgeben wollen. Wir haben aber auch eine 22-jährige Studentin der Heilpädagogik in unseren Reihen.

Wie umfangreich ist die Sterbebegleitung und wie verhindern Sie eine seelische Überforderung der Helfer?

Andrea Guntermann: In der Regel kommen die Begleiter ein bis zweimal pro Woche zu den Sterbenden und Schwerstkranken nach Hause. Sie vereinbaren aber meistens selbst ganz individuell mit den Betroffenen, wie oft sie gebraucht werden.
Was macht einen guten Begleiter oder eine gute Begleiterin aus?
Ursula König: Sie oder Er müssen sich zurücknehmen und vor allem zuhören können. Es geht darum, zu erkennen und zu erspüren, was der Schwerstkranke in seiner aktuellen Situation braucht. Außerdem können die ehrenamtlichen Sterbebegleiter regelmäßig das Angebot einer Supervision wahrnehmen.

Arbeitet das Ambulante Hospiz gänzlich ohne Geld?

Andrea Guntermann: Nein. Die Ausbildung der Ehrenamtlichen muss ebenso finanziert werden wie meine Halbtagsstelle als Koordinatorin des Ambulanten Hospizes. Außerdem müssen wir unsere Büromiete und die Supervision für die ehrenamtlichen Begleiter bezahlen.   Deshalb sind wir als Ambulantes Hospiz, das heißt als derzeit 260 Mitglieder zählender und gemeinnütziger Verein, auf Mitgliedsbeiträge, Spenden und die finanzielle Förderung durch die Krankenkassen angewiesen.

Hier findet man das Ambulante Hospiz:

Das Ambulante Hospiz hat sein Büro an der Leineweberstraße 37 bis 39. Die Bürozeiten sind montags, dienstags, donnerstags, freitags von 9 bis 12 Uhr

Telefonisch erreichbar ist es unter der Rufnummer 0208/30 448 680 oder unter der Rufnummer 0160 - 78 688 45


Weitere Informationen über das für die Betroffenen kostenlos und ehrenamtlich arbeitende Ambulante Hospiz findet man auch im Internet auf: www.ambulantes-hospiz-mh.de

Dieser Text erschien am 22. März 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Montag, 27. März 2017

Pflege daheim: Was tun, wenn es nicht mehr alleine geht? Was sollte man bei der Suche nach einem ambulanten Pflegedienst beachten? Ein Gespräch mit der Pflegefachkraft Saskia Kühle, die als Teamleiterin beim Sozialamt für den Bereich Pflege zuständig ist

Saskia Kühle
Was tun, wenn ein Angehöriger oder man selbst Pflege daheim benötigt? Aktuell betrifft das in Mülheim 1300 Menschen. Weitere 1800 Mülheimer müssen stationär gepflegt werden. Tendenz steigend. Denn schon heute ist ein Drittel der Mülheimer 60 Jahre und älter. Im Gespräch gibt die Gesundheits- und Sozialökonomin, Saskia Kühle, die als Teamleiterin beim Sozialamt für den Bereich Pflege zuständig ist, praktische Hinweise für Menschen, die auf der Suche nach einer für sie geeigneten ambulanten  Pflege sind.

Wie viele ambulante Pflegedienste gibt es und wie finde ich den richtigen?

Aktuell haben wir in Mülheim 30 ambulante Pflegedienste. Mit einem Blick ins Internet kann man sich eine erste Übersicht verschaffen. Einfach „Mülheim;ambulante;Pflegedienste“ bei google eingeben und schon wird man auf zahlreiche Adressen stoßen. Außerdem bieten die AOK, der Sozialverband VDK und die Verbraucherzentrale NRW auf ihren Internetseiten Checklisten, die bei der Auswahl des passenden Pflegedienstes helfen. Eine persönliche und neutrale Beratung bieten die kommunalen Pflegestützpunkte. 

Gibt es denn konkrete Auswahlkriterien?

Weil jeder Pflegefall sehr individuell ist, muss man erst mal für sich selbst klären, was man von einem Pflegedienst erwartet. Soll er wohnortnah sein und das persönliche Umfeld gut kennen? Legt man Wert auf eine kontinuierliche Bezugspflege oder kommt man auch mit wechselnden Pflegekräften zurecht? Was soll die Pflege kosten? In welchem Rhythmus, in welchem Umfang und zu welchen Tageszeiten soll gepflegt werden?

Was macht einen guten Pflegedienst aus?

Neben Pflegehelfern muss ein ambulanter Pflegedienst examinierte Alten- und Krankenpflegekräfte haben. Einfache Pflegeleistungen, wie etwa Augentropfen, Blutdruck- und Blutzuckermessungen oder die Gabe von Medikamenten können problemlos von Pflegehelfern bewältigt werden. Wenn es aber um das Zusammenstellen von Medikamenten, das Wechseln von Verbänden, Infusionen, Katheterisierung, Stomaversorgung oder die Überwachung von Patienten geht, die beatmet werden müssen, darf diese Pflege nur von examinierten Pflegefachkräften geleistet werden. Aus Sicht der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen ist es entscheidend, dass sie für alle ihre Fragen einen kompetenten Ansprechpartner haben und dass die Zusammenarbeit mit dem behandelnden Hausarzt reibungslos funktioniert.

Was kann man machen, wenn es mit dem ambulanten Pflegedienst nicht klappt?

Man sollte mit dem ambulanten Pflegedienst seiner Wahl immer eine kurze Kündigungsfrist von maximal einer Woche vereinbaren, damit man im Notfall schnell zu einem anderen Pflegedienst wechseln kann. Bei gravierenden Pflegemängeln, die auch im Dialog mit dem Pflegedienst nicht behoben werden können, können Betroffene den Medizinischen Dienst der Pflegekassen anfordern, der danneine seiner Pflegefachkräfte zur Begutachtung raus schickt.

Was kostet die ambulante Pflege?

Das hängt natürlich vom Umfang der ambulanten Pflege ab. Durchschnittlich berechnen ambulante Pflegedienste 25 Euro pro Arbeitsstunde.

Wer soll das bezahlen?

Man sollte bei seiner Kranken,- bzw. Pflegekasse einen Pflegegrad beantragen. Dann schickt der Medizinische Dienst der Krankenkassen eine seiner Pflegefachkräfte raus, um vor Ort die Pflegebedürftigkeit zu überprüfen. Wichtig ist, dass man bei diesem Gespräch alle Arztberichte und alle Medikamente des Pflegebedürftigen parat hat. Abhängig vom Pflegegrad, kann man das Pflegegeld oder Pflegesachleistungen oder eine Kombination aus beidem beantragen.
Was ist der Unterschied zwischen Pflegegeld und Pflegesachleistungen?
Das niedriger veranschlagte Pflegegeld bekommen Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen. Die höher veranschlagte Pflegesachleistung wird direkt an den jeweils beauftragten Pflegedienst gezahlt!

Von welchen Beträgen sprechen wir hier?

Beim Pflegegrad 1 wird nur ein Pflegegeld von monatlich 125 Euro gezahlt. Beim Pflegegrad 2 können monatlich 316 Euro Pflegegeld oder Pflegesachleistungen in Höhe von 689 Euro in Anspruch genommen werden. Beim Pflegegrad 3 sind das ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 545 Euro oder Pflegesachleistungen in einer monatlichen Höhe von 1298 Euro. Wird der Pflegegrad 4 erreicht, können monatlich 728 Euro Pflegegeld oder Pflegesachleistungen in Höhe von 1775 Euro in Anspruch genommen werden. Und im höchsten Pflegegrad 5 beträgt das monatliche Pflegegeld 901 Euro und die entsprechenden Pflegesachleistungen 1995 Euro.

Was kann man machen, wenn dieses Geld nicht ausreicht, um den tatsächlichen Pflegebedarf abzudecken und die eigenen Einkünfte für eine private Pflegefinanzierung zu gering sind?

Dann kann man eine Hilfe zur Pflege beantragen. Voraussetzung dafür ist aber, dass das monatliche Netto-Einkommen den doppelten Sozialhilfesatz von monatlich 818 Euro, zzgl 434 Euro für die Miete, nicht überschreitet. Bei dieser Summe werden auch Miete oder Kosten für Hausrats,- Haftpflicht- und Sterbeversicherung berücksichtigt. Wer Hilfe zur Pflege beantragt, muss auch seine Vermögensverhältnisse offenlegen. Für Sparguthaben gilt eine Schutzgrenze von 2600 Euro. Eine Sterbeversicherung ist bis zu 2500 Euro und eine Bestattungsvorsorge bis 5000 Euro geschützt.

Welche Hilfe gibt es für pflegende Angehörige, die urlaubs- oder krankheitsbedingt ausfallen?

In diesem Fall kann man bei der Pflegekasse jährlich 1612 Euro für eine Verhinderungspflege durch einen ambulanten Pflegedienst oder eine stationäre Pflegeeinrichtung beantragen.

INFO Die Pflegestützpunkte helfen weiter

Fachlich kompetente und neutrale Beratung in Pflegefragen, bieten die kommunalen Pflegestützpunkte an der Bülowstraße 104 und bei der AOK an der Friedrich-Ebert-Straße 65
Weitere Auskünfte bekommen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen unter der städtischen Rufnummer s 455 3515



Dieser Text erschien am 18. März 2017 in der NRZ/WAZ

Sonntag, 26. März 2017

"Der Nächste, bitte": Unterwegs mit dem Hausarzt Dr. Peter Ramme

Dr. Peter Ramme
6.45 Uhr. Der Arbeitstag von Dr. Peter Ramme beginnt nicht in seiner Praxis, sondern im Haus Kuhlendahl, wo der Hausarzt Altenheimbewohner betreut. Heute stehen Blutabnahmen auf seinem Programm.

Der 51-jährige Mediziner ist kein Arzt im weißen Kittel. Er ist in einem sportiven weißen Outfit unterwegs, das an einen schicken Jogging-Anzug erinnert. Kein Wunder. Der Mann läuft viel, auch später in seiner Arztpraxis, die neben dem Foyer drei Behandlungszimmer und ein Labor umfasst. 7.45 Uhr. Ein Patient in seiner Praxis braucht ein EKG. Und dann kommt noch eine Blutabnahme hinzu.

Die meisten der 84 Patienten, die Ramme an diesem Tag behandelt, kommen hustend und verschnupft in seine Praxis. Die Grippe-Saison geht ihrem Ende entgegen. „Wir haben auch schon mal mehr Patienten im Wartezimmer und dann kann es zu manchmal nervigen Wartezeiten kommen“, erzählt Ramme.

Obwohl der Arzt einen dichten Arbeitstakt hat, bewahrt er sich bis zum Ende seines Praxistages, gegen 17.30 Uhr, Ruhe und Gelassenheit, weil er mit seinen Arzthelferinnen Sarah Frank, Christiane Joosten und Kerstin Fells und seiner bei ihm angestellten Kollegin, Dr. Jennifer Klein, ein starkes Team im Rücken hat. Das spüren seine Patienten und fühlen sich trotz ihrer Beschwerden sichtlich wohl bei ihrem Hausarzt. „Der Doktor ist wirklich mit Leib und Seele Arzt“, sagt eine Patientin, die ohne Termin, aber mit einem akuten Anliegen zu ihm in die Praxis gekommen ist. Sie klagt über Schwindel, Schüttelfrost und starke Abgeschlagenheit. Ramme hört sich alle Symptome an und tippt sie sogleich in seinen Computer, der heute die Patientenakten ersetzt. Bevor es mit der Diagnose weiter geht, schickt er die Frau erstmal zur Urinprobe und zur Blutabnahme. Während er einen verschnupften und hustenden Patienten mit einem Hustenlöser und dem Rat: „Viel trinken und wenig reden“, nach Hause schickt, schaut er sich einen anderen Patienten, der schon länger über Husten klagt, noch etwas genauer an, ehe er entscheidet: „Das muss sich ein Lungenfacharzt anschauen.“ Wenn man Ramme nach seiner größten Angst fragt, dann fällt das Wort: „Fehldiagnose!“ Aus seiner inzwischen 22-jährigen Erfahrung als Hausarzt weiß er: „Man muss dem Patienten sehr gut zuhören und immer wieder genau nachfragen, damit man ihn nicht zu früh, aber auch nicht zu spät zu einem Facharzt schickt.“

Als Sohn eines Hausarztes, von dem er 1997 die Praxis übernommen hat, kennt Ramme die Sonnen- und Schattenseiten seines Berufes von Kindesbeinen. „Als Hausarzt habe ich einen sehr abwechslungsreichen Beruf, in dem man nicht nur kaputte Knochen sieht und im Laufe der Jahre ganze Familiengeschichten erlebt.“ Eine schöne Geschichte ist die eines Vaters, den er davon überzeugen konnte, das Rauchen aufzugeben, sich mehr zu bewegen und sich gesünder zu ernähren. Er kam nach einem Jahr um 40 Kilo leichter zu ihm, hatte seinen Diabetes überwunden und stellte fest: „Ich fühle mich wie neu geboren!“ Eine schlechte Geschichte ist, wenn einer seiner Patienten mit 52 einen Schlaganfall erleidet und neben seiner Arbeit auch seine bisherige Lebensqualität verliert. „Das ist für die gesamte Familie eine Katastrophe“, weiß der dreifache Familienvater. Deshalb praktiziert er als Arzt, was er auch seinen Patienten predigt: Er ernährt sich gesund und ausgewogen, um Übergewicht und Diabetes zu vermeiden, geht regelmäßig joggen und mit seinem Hund spazieren.

Die Vorstellung, selbst einen Schlaganfall zu erleiden, ängstigt Ramme. Keine Angst hat der Palliativmediziner und Schmerztherapeut dagegen vor dem Tod, obwohl er ihm regelmäßig begegnet, nicht nur in Altenheimen, sondern auch bei seinen Arztbesuchen im stationären Hospiz an der Friedrichstraße. Dort setzt er seine ärztliche Kunst nicht ein, um zu heilen, sondern, um Schmerzen zu lindern, Übelkeit zu beseitigen und Luftnot zu verhindern. „Jeder Mensch hat seinen Teil des Lebens und irgendwann sind seine Kräfte erschöpft und dann stirbt er“, sagt Ramme. Der Arzt stellt sich den Tod, „wie einen langen Schlaf“ vor. Und auch bei Verstorbenen, die mit großer Angst dem Tod entgegengegangen sind, hat er am Ende immer wieder einen absolut friedlichen und erlösten Gesichtsausdruck gesehen.

Das macht ihm mit Blick auf seine eigene Vergänglichkeit Mut. Weil er weiß, dass viele Menschen lieber zu Hause als im Altenheim oder im Hospiz sterben wollen und dass die vorhandenen zehn stationären Hospiz-Plätze in Mülheim nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein können, engagiert sich der Palliativmediziner zusammen mit dem stationären und dem ambulanten Hospiz, den Mülheimer Krankenhäusern und ambulanten Pflegediensten dafür, „dass wir in Mülheim eine ambulantes Palliativ-Pflegeteam auf die Beine stellen.“ Der Weg dorthin ist bereits beschritten. Sechs Krankenpfleger wurden inzwischen zu Palliativ-Pflegern mit speziellen medizinischen und psychologischen Kenntnissen ausgebildet. Zwei weitere Pflegekräfte werden ihre achtwöchige Zusatzausbildung in Kürze beginnen. Wenn noch zwei weitere Pflegekräfte für die besonders herausfordernde Palliativpflege gewonnen werden könnten, könnte das ambulante Palliativ-Pflegeteam schon bald an den Start gehen. „Um eine professionelle ambulante Palliativpflege rund um die Uhr leisten zu können, brauchen Sie ein gut funktionierendes Team aus Pflegekräften, Ärzten, Apothekern und Sanitätshäusern“, sagt der Hausarzt aus Eppinghofen, ehe er seine Praxis um 17.30 Uhr verlässt, um noch zwei Hausbesuche zu machen und anschließend eine medizinische Fortbildungsveranstaltung zu besuchen.


Dieser Text erschien am 18. März 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Samstag, 25. März 2017

Vorsicht vor Irrläufern

Es gibt noch Gottvertrauen. Gestern sah ich es in der Innenstadt. Eine alte Dame mit Rollator und Einkaufstasche überquerte in aller Seelenruhe und ohne nach links oder rechts zu blicken die von der Straßenbahn und Autos befahrene Leineweberstraße. Sie tat dies nicht an dem dafür vorgesehenen Fußgängerübergang, sondern einfach auf halber Höhe.

Wahrscheinlich hat die gute Frau nicht nur Gottvertrauen und Schutzengel im Gepäck, sondern auch die unerschütterliche Zuversicht, dass die anderen Verkehrsteilnehmer schon aufpassen und rechtzeitig bremsen werden. So kann man die kleine und für sich sprechende Szene zumindest positiv betrachten.

Natürlich kann man es auch so sehen, dass Alter nicht vor Dummheit schützt und zuweilen auch mit dreistem Egoismus einhergeht. Und dann müssen eben noch jene Mitmenschen guten Willens und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte für die Irrläufer mitdenken, damit es am Ende nicht zu einem großen Unglück kommt. Man sieht es nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch im diplomatischen Verkehr der Weltpolitik, in dem so mancher Irrläufer unterwegs ist und ohne Rücksicht auf Verluste rote Ampeln und Linien überschreitet und überfährt. 


Dieser Text erschien am 20. März 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 24. März 2017

Wenn Frauen komisch werden: Diesmal wollen Regisseur Michael Bohn und seine Schauspieler ihr Publikummit der turbulenten Komödie „Frauenzimmer“ zum Lachen bringen

Ulrike Kroker als französische Chansonette und Marie Zipp-Timmer
als amerikanische Countrysängerin (Szene-Foto: Walter Schernstein)
Wenn eine Chansonnette und eine Countrysängerin, die sich nicht ausstehen können und beide an übersteigertem Selbstbewusstsein leiden, in einem Hotel versehentlich in der selben Suite einquartiert werden, kann das heiter werden. Man wird es sehen, wenn das Backstein-Theater ab dem 25. März seine neue Produktion „Frauenzimmer“ auf die Bühne bringt.

„Die Zuschauer bekommen eine witzige, spritzige und turbulente Komödie mit jeder Menge Situationskomik zu sehen“, verspricht Regisseur Michael Bohn. Ein Jahr lang haben Bohn und sein Ensemble von der Großen Bühne des Backstein-Theaters das Stück des amerikanischen Autor Michael McKeever geprobt. „Wir haben bei den Proben viel gelacht und glauben deshalb, dass das Stück auch dem Publikum gefällt“, erzählt Bohn. Allerdings hat der Regisseur die Journalistin und Prosa-Text-Autorin Anna Blaswich an den Originaltext gesetzt und ihn für das Mülheimer Publikum etwas geschmeidiger machen lassen.

Blaswich, die auch als Souffleuse das Ensemble unterstützt, hat das Stück im besten Sinne zivilisiert. Aus der Benefiz-Gala für die GIs an den Fronten des Zweiten Weltkrieges hat sie eine Benefizveranstaltung für „verlorene Jungs“ gemacht, die hinter den Kulissen das Fünf-Sterne-Hotel im Berlin unserer Tage ganz schön aufmischen und damit dem vom Backstein-Altmeister Klaus Wehling gespielten Hotelmanager das Leben zusätzlich schwer machen.

Die schillernsten Rollen dürfen diesmal Neuzugang Ulrike Kroker (als französische Chansonnette) und das bereits mehrfach bewährte Multitalent Marie Zipp-Timmer (als amerikanische Countrysängerin) spielen. Routinier und Charmeur Wolfgang Bäcker sehen wir als Assistenten der französischen Diva wieder. Ein Wiedersehen gibt es auch mit Altmeisterin Ursula Bönte, die sich als Stiftungspräsidentin dem Wohl der verlorenen und oft auch ungezogenen Jungs verschrieben hat.

Mit ihnen bekommt auch Susanne Zambelly in ihrer Rolle als Klatschkolumnistin öfter zu tun, als ihr lieb sein kann. Nach über zehn Jahren Backstein-Theater-Pause wieder mit dabei ist Martin Lennertz als Hotelpage Tom, der freiwillig oder unfreiwillig während der 100-minütigen Aufführung reichlich küssen darf.

iInternet-Informationen rund um das neue Stück des Backstein-Theaters und dessen Aufführungstermine (bis Januar 2018) finden Theaterfreunde unter www.backsteintheater.de


Dieser Text erschien am 11. März 2017 in der NRZ und in der WAZ

Donnerstag, 23. März 2017

Ein gastliches Haus an der Kämpchenstraße im Wandel der Zeit

Ein Blickfang an der Ecke Kämpchenstraße/Paul-Essers-Straße
Heute springen wir zurück ins Jahr 1910 und landen vor dem Haus an der Kämpchenstraße 59. Ein Foto aus dem Privatarchiv des Mülheimers Burkhard Richter, das auch in dem von ihm herausgegebenen und im örtlichen Buchhandel erhältlichen Kalender „Mülheim in alten Ansichten“ zu finden ist, macht es möglich. 

Als die historische Aufnahme entstand, war das 1906 errichtete Gebäude ein Hotel und Restaurant mit dem schönen Namen Cecilienhof, benannt nach der damaligen Kronprinzessin des deutschen Kaiserreiches Cecilie Auguste Marie Herzogin zu Mecklenburg (1886-1954).

Dem Cecilienhof, folgte der Lippische Hof, in dem bis 1981 gegessen, getrunken, gefeiert und Billard gespielt wurde. Seit 1981 bewirtet in diesem schönen und alten Haus, Evangelos Papoutsoglou, die Gäste seines  Restaurant Amfipolis, werktags von 17 Uhr bis 22.30 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 12- bis 15 Uhr und von 17 Uhr bis 22.30 Uhr  mit den Köstichkeiten aus der traditionellen griechischen Küche. Wunderschöne Wandbilder zeigen Restaurantbesuchern die klassischen Seiten Griechenlands.  Im Sinne des barrierefreien Zugangs wurde das alte Gast-Haus inzwischen mit einem Seiteneingang und einer Auffahrrampe für Kinderwagen, Rollstuhl- und Rollatornutzer ausgestattet. Ihren Namen trägt die Kämpchenstraße seit dem Jahr 1900. Er erinnert nicht, wie man denken könnte, an den namensgleichen Bergmann und Dichter Heinrich Kämpchen (1847-1912), sondern leitet sich von dem Begriff Kamp ab, der seit dem Mittelalter neugewonnene Acker- und Weidenflächen bezeichnete.

Dieser Text erschien am 20. März in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 21. März 2017

„Meine Landsleute sind vernünftige Leute!“ - Wie sieht die aus Maastricht stammende Jessy Kirstein das Wahlergebnis in den Niederlanden?

Jessy und Bernd Kirstein in ihrem gemeinsamen Atelier

Frage: Hat Sie das Wahlergebnis in den Niederlanden überrascht?

Jessy Kirstein: Nein. Ich habe eigentlich mit einem solchen Ergebnis gerechnet. Und ich bin ausgesprochen froh, dass es so gekommen ist, wie es jetzt gekommen ist. Denn meine Landsleute sind vernünftige und bodenständige Leute.

Frage: Warum haben der Rechtspopulist Geert Wilders und seine Partei der Freiheit schwächer und der amtierende Ministerpräsident Mark Rutte und seine wirtschaftsliberale Partei der Freien Demokraten stärker abgeschnitten, als erwartet?

Jessy Kirstein: Dafür sehe ich vor allem zwei Gründe. Erstens haben das Auftreten des neuen rechtspopulistischen US-Präsidenten Donald Trump und die sich abzeichnenden Folgen des Brexits viele Niederländer nachdenklich gemacht und sie davon überzeugt, für einen liberalen und pro-europäischen Kurs ihres Landes zu stimmen. Außerdem hat Mark Rutte mit seinem konsequenten Vorgehen gegen Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder eine klare Kante gezeigt und damit zu Lasten Geert Wilders viele Sympathien gewonnen.

Frage: Im neuen niederländischen Parlament sind 13 Parteien vertreten. Werden die Koalitionsverhandlungen schwierig?

Jessy Kirstein: Das kann lange dauern, vielleicht sogar ein halbes Jahr. Eine schnelle Regierungsbildung würde mich überraschen. Aber das ist in den Niederlanden normal.


Dieser Text erschien am 17. März 2017 in der NRZ und in der WAZ

Montag, 20. März 2017

Augen auf oder Beutel auf

Augen auf oder Beutel auf. Das erfuhr ich jetzt bei der Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG). Sieben Euro hat sie mir von meinem Konto als „Bearbeitungsgebühr“ abgezogen, weil ich meine Monatsfahrkarte zwar bezahlt, aber einmal zu Hause habe liegen lassen. Diese Tatsache zu überprüfen, kostet die MVG also sieben Euro. Eigentlich ist das ja preiswert, wenn man an die Vorstandsgehälter oder den städtischen Zuschuss zum Nahverkehrsbetrieb denkt. Was hätte ich nicht alles für sieben Euro kaufen können: Sieben Kugeln Eis, drei Tafeln Schokolade oder vielleicht auch drei Stücke Torte.

Angesichts der Fastenzeit und meines aktuellen Hüftgoldes muss ich der MVG aber geradezu dankbar sein, dass sie mich vor dieser zusätzlichen Versuchung bewahrt hat.

Natürlich könnte ich selbst der MVG demnächst Wartegebühren, Standgebühren oder Fersengeld berechnen, wenn Bus und Bahn mal wieder zu spät kommen, überfüllt sind oder ihr Takt so ausgedünnt wird, dass ich wieder mehr zu Fuß gehen und meine Sohlen abwetzen muss. Doch auf dieses Geschäft wird sich die MVG wohl auch in der Fastenzeit nicht einlassen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche und die nächste Verspätung von Bus und Bahn.

Dieser Text erschien am 13. März 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 19. März 2017

"Luther wollte mehr": Eugen Drewermann zu Gast in der Immanuelkirche

Eugen Drewermann bei seinem Vortrag in der Styrumer
Immanuelkirche.
Ein katholischer Ex-Priester, der seine Kirche inzwischen verlassen hat, spricht in einer evangelischen Kirche. Und die Kirche, in diesem Fall die Immanuelkirche an der Kaiser-Wilhelm-Straße, ist voll, wie an Weihnachten. 150 Menschen hören gebannt einem Mann zu, der 90 Minuten, ohne Manuskript spricht, ohne dabei auch nur einmal langatmig zu werden.

Der Ex-Katholik Drewermann würdigt die historischen Verdienste des protestantischen Urvaters Luther, ohne dabei der Versuchung zu erliegen, ein Heiligenbild des Reformators zu zeichnen. Seinen Antisemitismus und seine Rechthaberei spricht Drewermann ebenso an, wie Luthers Mut und Beharrlichkeit, gegen alle Widerstände, seinen Landsleuten die Bibel und damit den christlichen Glauben verständlich und damit nachvollziehbar zu machen.

„Luther wollte eigentlich keine  Kirchenspaltung, sondern eine offene Diskussion über die Grundlagen des Glauben. Er hat Jesus von Nazareth und sein Evangelium neu entdeckt, als sich die katholische Kirche schon in Siebenmeilen-Stiefel von der Bergpredigt entfernt hatte“, stellt Drewermann fest.
Bibelbelesen und auch psychoanalytisch fundiert wandert Drewermann durch das von Mut, Glaube und Wahrheitsliebe, aber auch von starken Zweifeln geprägte Leben Luthers und macht deutlich, wo wir heute an Luther anknüpfen können und sollen.

Er nennt an erster Stelle Luthers Freilegung und Bekenntnis zu der in Jesus Christus offenbarten unbedingten Gnade, Liebe und Vergebung Gottes, aus der der zwangsläufig fehlerhafte Mensch alleine leben, glauben und auf ein ewiges Leben bei Gott hoffen kann.

Aktuell ist für den Theologen und Psychoanalytiker Drewermann auch Luthers Erkenntnis, dass die Theologie des Neuen Testaments keine selbstgerechte und strafende, sondern nur eine verstehende und vergebende sein kann. Christliche Kirche müsse als seelsorgerischer und menschenfreundlicher Hirte, wie im biblischen Gleichnis Jesu auch den verlorenen Schafen nachgehen. Deren Schuld, so Drewermann, müssten Christen als „einen Schrei der Verzweiflung und einen Schrei nah Liebe und menschlicher Zuwendung begreifen.“ Daraus folgert er, „dass kein Mensch, wie schuldig er auch immer geworden sein mag, aus der allumfassenden Gnade und Liebe Gottes herausfallen kann.“

Für Drewermann steht fest, dass keine Strafe und keine Gewalt, sondern allein Liebe und Verständnis Menschen bessern können. „Wir müssen versuchen, Menschen und ihre biografische Prägung zu verstehen, statt über sie den Stab zu brechen“, sagt der 76-Jährige Gottesmann aus Paderborn.

Und dann beleuchtet er Luther  als einen Kapitalismuskritiker. Er beleuchtet dessen Kritik am Zinswucher, der mittellose Menschen weiter ins Elend stürzt, und ihre Kreditgeber reicher und unmenschlicher macht. Dies sieht Drewermann als einen auch heute aktuellen Denkanstoß.

Dieser Text erschien am 11. März 2017 im Neuen Ruhrwort

Donnerstag, 16. März 2017

Ruhrblick mit altem und neuem Wasserwerk: Ein Zeitsprung am Leinpfad

Ein Zeitsprung in die 1950er Jahre

Ruhrblick am Leinpfad in den frühen 1950er Jahren. Ein Foto des Mülheimers John Dieter Roehse macht es möglich. 

Mit einem Bötchen auf der Ruhr fahren, wie auf der historischen Fotografie zu sehen: Darüber hätten die alten Mölmschen nur gelacht. Denn der Leinpfad war früher ein Treidelpfad, auf dem starke Männer oder noch stärkere Pferde, die Kohlenkähne flussaufwärts zogen. Noch um 1860 wurden fast 900 000 Tonnen Kohle die Ruhr aufwärts geschippert. Doch dann kam ab 1862 die Eisenbahn. Damit begann der Niedergang der Güterschifffahrt auf der Ruhr, die 1889 eingestellt wurde. Der alte Hafen and er Ruhr wurde zugeschüttet. Mit dem Start der Weißen Flotte, im Juli 1927, wurde dann ein ganz neues Kapitel der Ruhrschifffahrt aufgeschlagen.

Auf der historischen Fotografie erkennen wir nicht nur das heute noch zwischen Leinpfad und Dohne stehende Fachwerkhaus, sondern auch noch das 1875 errichtete und 1970 abgerissene und durch einen Neubau ersetzte Wasserwerk an der Dohne.

Mit dem alten Wasserwerk begann einst für Mülheim eine neue Ära. Hatten die alten Mölmschen bis dahin ihr Wasser aus Brunnen und Bächen geholt, so konnten ab 1877 schrittweise immer mehr von ihnen zu Hause den Wasserhahn aufdrehen.

Seit 1912 versorgt die von August Thyssen mitgegründete Rheinisch Westfälische Wasserwerksgesellschaft nicht nur die Mülheimer Haushalte mit sauberem Trinkwasser und sorgt mit seinen modernen Klärverfahren dafür, dass das Wasser, das bei uns zu Hause aus dem Hahn kommt, den Namen Trinkwasser auch verdient.

Dieser Text erschien am 13. März 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Aufbruchstimmung in schwierigen Zeiten: Die Pfarreien St. Mariae Geburt und St. Mariä Himmelfahrt luden zu einer Zukunftswerkstatt

Pastor Berthold Janberg in der Broicher Herz-Jesu-Kirche
beim Schlusssegen der dortigen Pfarreiversammlung von
St. Mariä-Himmelfahrt
Stellwände voller Zahlen, Daten und Fakten, vor denen Gemeindemitglieder miteinander diskutieren und einander zuhören. Dieses Bild bot sich am vergangenen Wochenende in St. Mariae Geburt und Herz Jesu. Die Rechtsruhr-Pfarrei St. Mariae Geburt und die Linksruhr-Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt hatten zur Pfarreiversammlung geladen. 220 Katholiken fanden den Weg zur Zukunftswerkestatt in Mariae Geburt. Sogar 470 waren es in Herz Jesu. Außerdem glänzte die Linksruhr-Pfarrei mit einem hohen Anteil junger Teilnehmer.
Obwohl die Zahlen an den Stellwänden: Schwindende Gemeindemitgliederzahlen und Einnahmen, steigende Personal und Energiekosten und damit schwindende Finanzreserven nicht gerade zur Euphorie einluden, war dieser Pfarreientwicklungsschritt zwischen der Phase des Sehens und des Handelns geradezu von Aufbruchsstimmung geprägt.
„Hier sind Menschen ganz ernsthaft miteinander ins Gespräch gekommen, die sich bisher gar nicht kannten“, freute sich der Pfarrgemeinderatsvorsitzende von St. Mariä Himmelfahrt, Manuel Gatz. Und für den Pfarrer von St. Mariae Geburt, Michael Janßen, stand nach der dreistündigen Pfarreiversammlung fest: „Die Menschen haben erlebt und begriffen, dass uns Kirche alle angeht.“
Die unaufgeregten und sachlich geführten Diskussionen machten deutlich, dass die Gemeindebasis der jeweils 16.000 Mitglieder zählenden Stadtpfarreien keine Angst vor einer Zukunft hat, in der die katholische Kirche an der Ruhr kleiner wird und die Laien in den Gemeinden mehr Verantwortung übernehmen müssen, weil es weniger hauptamtliches Personal geben wird. Allein die Zahl der Priester wird sich in der 170.000 Einwohner zählenden Stadt im Süden des Ruhrgebietes bis 2030 von zwölf auf sechs halbieren. Positiv überrascht waren die Teilnehmer der Pfarreikonferenzen darüber, dass sich in den beiden Pfarreien insgesamt rund 6000 Menschen ehrenamtlich engagieren und mit ihren Festen und anderen Veranstaltungen mehrere 1000 Menschen in der Stadt erreichen.
Einige Stimmen aus den Diskussionen in Mariae Geburt und Herz Jesu zeigten, wo hin die Reise gehen könnte.
Klaus Drews (55) aus St. Mariae Geburt: „Wir brauchen einen Finanzausgleich zwischen den armen und reichen Bistümern in Deutschland.“
Meßdienerleiter Ole Werger (22) aus St. Mariä Himmelfahrt: „Kirche muss sich mehr in Schulen und Vereinen engagieren. Sie muss ein breiteres Gottesdienstangebot machen, das nicht nur Ältere, sondern auch Jugendliche anspricht.“
Thomas Macioszek (30) aus St. Mariae Geburt: „Wir brauchen charismatischere Predigten und müssen uns wieder mehr auf die Verkündigung des Evangeliums konzentrieren.“
Martin Linssen, Arzt aus St. Mariä Himmelfahrt: „Kirchen könnten auch als Begegnungsstätten und Gemeindezentren genutzt werden.“
Gabi (53) und Detlef Flecken (61) aus St. Mariae Geburt: „Gemeinde findet nicht nur in der Kirche statt. Wir müssen Kompromisse machen. Wir müssen nicht in allen Kirchen die gleichen Gottesdienste anbieten. Vielleicht wird die Kirche kleiner, aber die Gemeinde und ihre Aktiven freier und vielfältiger.“
Christian Kochius (29) aus St. Mariae Geburt: „Wir müssen raus aus der Kirche und im Alltag christliche Werte vorleben und vertreten. Wir sollten solche Pfarreiversammlungen öfter abhalten, um als Gemeinde gemeinsam unsere Entwicklungsziele definieren zu können.“
Alfred Beyer (73) aus St. Mariä Himmelfahrt: „Wir brauchen in Zukunft mehr ökumenische Zusammenarbeit mit den evangelischen Kirchengemeinden.“
Meßdienerleiter Fabian Behur (23) und Jugendbeauftragte Julia Bromma (19) aus St. Mariae Geburt: „Wir sollten auch Gospelgottesdienste und Jugendgottesdienste mit Popmusik anbieten. Außerdem täten der Liturgie mehr christlich inspirierte Alltagstexte gut, die auch von Jugendlichen verstanden werden können.“
Meßdiener Fabian Schlüter (15) aus St. Mariä Himmelfahrt: „Die Gemeindemitglieder müssen zusammenrücken. Gleichzeitig müssen Gemeinden mehr offene Veranstaltungen, wie zum Beispiel ein offenes Singen und Freizeitaktivitäten, anbieten.“
Ulrich und Gisela Jung aus St. Mariae Geburt: „Unsere Gruppen müssen mehr Außenwirkung entfalten. Gemeinden müssen auch mit Veranstaltungen zu sozialen, theologischen und ethischen Themen an die Öffentlichkeit gehen.“
Rolf Hohage (72) aus St. Mariä Himmelfahrt: „Wir dürfen uns nicht aus der Fläche zurückziehen, sondern müssen als Gemeinde nah bei den Menschen sein und erreichbar bleiben.“
Christel Post (60) aus St. Mariae Geburt: „Wir sollten mehr kleine Gottesdienste anbieten, bei denen Menschen als Gruppe Gemeinschaft erfahren und miteinander ins Gespräch kommen können.“
Christian Pöhlmann und Sabine Langhals aus St. Mariae Geburt: „Die Leute sollen sich in der Kirche wohl- und willkommen fühlen. Raus mit den Kirchenbänken und Stühle rund um den Altar aufstellen. Das ist kommunikativer und gemütlicher.“
Herbert Teiglake (78) aus St. Mariae Geburt: „Wir brauchen eine bessere religiöse Erziehung und Bildung. Und wir müssen unsere wenigen Priester von Verwaltungsaufgaben entlasten, damit sie mehr Zeit für Verkündigung und Seelsorge haben.“
Christoph Ducree (46) aus St. Mariae Geburt: „Wir brauchen als Gemeinde offene Treffpunkte und müssen in den Stadtteilen erreichbar sein. Ehrenamtlich sind gut und wichtig. Sie können aber auch nicht alles leisten. Viele Menschen sind heute beruflich eingespannt und haben keine Zeit fürs Ehrenamt.“
Edith und Werner Gerbener aus St. Mariae Geburt: „Wir haben weniger Jugendliche, als ich gedacht hätte. Deshalb müssen wir uns als Gemeinde umso intensiver um die wenigen Jugendlichen kümmern, die da sind.“
Magdalena und Dieter Gatz aus St. Mariä Himmelfahrt: „Solche Veranstaltung, wie die heutige, sollten wir bei Zeiten wiederholen.“
Ilona Zolonkowski (61) aus St. Mariae Geburt: „Die Priester müssen ihre Predigt umstellen und das Evangelium verständlicher verkünden.“
Christel Essers (52) aus St. Mariä Himmelfahrt: „Auch Laienpredigten sind denkbar und wünschenswert, um einen stärkeren Alltagsbezug in der Verkündigung herzustellen.“

Dieser Text erschien am 18. Februar im Neuen Ruhrwort

Mittwoch, 15. März 2017

Startrampe für den September: Welche Bedeutung hat die Landtagswahl in NRW für die Bundestagswahl 2017?

Auf dem Podium im Kardinal-Hengsbach-Saal der katholischen Akademie: (v.l.) Politikwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Blätte von der Universität Duisburg-Essen, Journalist Dr. Richard Kiessler und Akademiedozent Tobias Henrix.
In Nordrhein-Westfalen haben wir in diesem Jahr gleich zweimal die Wahl. Am 14. Mai wählen wir den Landtag und am 24. September den Bundestag. Hat die Wahl im Land auch eine Signalwirkung für die Entscheidung auf der Bundesebene?
Darüber diskutierten jetzt der Journalist Richard Kiessler und der Politikwissenschaftler Andreas Blätte in der Katholischen Akademie mit rund 100 interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Akademiedonzent und Moderator Tobias Henrix erinnerte an das Doppelwahljahr 2005, als die SPD-Niederlage im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW das Ende der Kanzlerschaft des Sozialdemokraten Gerhard Schröder einleitete. Integration, Schuldenbremse und Strukturwandel seien nicht nur in NRW ein Thema.

„Ist unsere Demokratie noch stabil?“ „Kann ich überhaupt wissen, was und wen ich am Ende wähle, wenn ich meine Stimme abgebe?“ „Warum schaffen es die steuerfinanzierten Parteien nicht, ihre Politik besser zu erklären?“ „Womit werden wir in Zukunft unseren wirtschaftlichen Wohlstand erwirtschaften?“ Das waren Fragen aus dem Publikum, mit denen sich der langjährige Spiegel-Korrespondent und NRZ-Chefredakteur und der Politikwissenschaftler von der Universität Duisburg-Essen konfrontiert sahen.

Politik-Professor Blätte sieht Union und SPD bei jeweils 30 und die Grünen und die AFD bei 10 bis 11 Prozent sowie Linke und FDP bei 5 bis 6 Prozent. Vor diesem Hintergrund rechnet er eher mit einer Dreier-Koalition oder einer Minderheitsregierung als mit der Fortsetzung der Großen Koalition. „Es besteht natürlich immer die Möglichkeit einer Großen Koalition. Aber man kann ein Bündnis aus SPD und Union nicht lieben, weil es die politischen Ränder stärkt“, betonte Blätte. Angesichts der Erfahrungen in Skandinavien und im NRW  der Jahre 2010 bis 2012 sieht der Politikwissenschaftler die Option einer Minderheitsregierung nicht als Schreckgespenst. Er weist darauf hin, dass sie an Rhein- und Ruhr den Schulkonsens und den Stärkungspakt für die Kommunalfinanzen zustande gebracht hat.

„Unsere Demokratie ist stabil, auch wenn wir heute mehr um sie kämpfen müssen, als früher“, gab Richard Kiessler zu bedenken. Mit Blick auf die Wirtschaft machte er klar: „NRW hat nur als Industrieland mit einer starken digitalen Infrastruktur eine gute Zukunft. Und der Energieversorger RWE muss jetzt ein neues Geschäftsmodell entwickeln.“ Für die FDP wird die Landtagswahl aus Kiesslers Sicht „zur Startrampe für die Bundestagswahl, auf der sich entscheidet, ob sie den Wiedereinzug in den Bundestag schafft oder politisch erledigt ist.“ Blätte sieht für die Liberalen vor allem in den Themen Digitalisierung und Förderung von Start-Up-Unternehmen gute Profilierungschancen.

Während der Journalist Kiessler unterstrich, „dass die wirtschaftliche Lage in NRW und in Deutschland besser seien, als die Stimmung“, formulierte ein Duisburger Arzt seinen Eindruck, „dass halb Thyssen die AFD wählt, weil sich die Menschen dort abgehängt fühlen.“ Kiessler sieht hier, angesichts einer „latenten Merkel-Müdigkeit“ eine Chance für den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz und seine Kampagne für mehr soziale Gerechtigkeit. Der Kommentar eines Zuhörers fiel da ernüchternd aus; „Die Sozialdemokraten kündigen mehr an, als politisch einhalten.“

Einig waren sich der Politikwissenschaftler und der politische Journalist darin, dass der CDU-Oppositionsführer Armin Laschet „als integrationsfreundlicher Mann der katholischen Soziallehre“ und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als „vorsorgende Sozialpolitikerin“ politisch nicht weit voneinander entfernt seien. Doch eben diese Nähe sieht Kiessler auch als Problem, „weil Laschet im Ungefähren bleibt und Kraft mit ihrer langfristig wirkenden Sozial- und Bildungspolitik keine kurzfristigen Erfolgsgeschichten vorweisen kann.“ In diesem Zusammenhang wurde unter anderem die noch offene Baustelle der Schulinklusion genannt.

Kiessler räumte ein, „dass Merkel international eine gute Figur abgegeben hat“ und Innenminister Ralf Jäger und mit ihn die SPD in NRW durch den Fall des Berliner Attentäters Amri belastet werde. Andererseits hielt der Journalist Jäger zugute, „dass er die Polizei in NRW personell deutlich aufgestockt hat.“

Dieser Text erschien am 18. februar 2017 im Neuen Ruhrwort



Sonntag, 12. März 2017

Superintendent Helmut Hitzbleck verabschiedet sich in den Ruhestand

Helmut Hitzbleck vor einem Kandinsky-Gemälde in seinem
Büro im Altenhof
In der Evangelischen Kirche geht eine Ära zu Ende. Nach 36 Jahren als Pfarrer in der heutigen Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde und nach 12 Jahren als Superintendent an der Spitze des 48.000 Gemeindemitglieder zählenden Kirchenkreises An der Ruhr, verabschiedet sich Helmut Hitzbleck am 31. März in den Ruhestand.
Für die Nachfolge des 64-jährigen Theologen bewerben sich die Pfarrerin Dagmar Tietsch-Lipski aus dem Gemeindebezirk Johanniskirche und Pfarrer Gerald Hilledbrand aus der Gemeinde Broich Saarn. Tietsch-Lipski wird als Stellvertreterin Hitzblecks auch geschäftsführend dessen Amt übernehmen, ehe die Kreissynode am 19. und 20. Mai einen Nachfolgerin oder einen Nachfolger wählt.

"Wir müssen verstärkt den Kontakt zu den 30- und 40-Jährigen halten und suchen, damit es wieder selbstverständlicher wird, seine Kinder taufen zu lassen. Und wir müssen vor allem dann für die Menschen parat stehen, wenn sie uns brauchen", formuliert der scheidende Superintendent die zentrale Aufgabe der evangelischen Kirche und ihrer 29 Pfarrer.

Gleichzeitig macht er sich vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Alterung keinen Illusionen darüber, dass sich die evangelische Kirche, trotz aktuell guter Steuereinnahmen, langfristig mehr auf ehrenamtliche Mitarbeiter wird stützen müssen. "Wir gehen in eine Zeit, in der wir unsere Aufgaben nicht nur mit hauptamtlichen Mitarbeitern bewältigen können", betont Hitzbleck.

Doch auch, wenn sich die Zahl der evangelischen Christen in Mülheim im Laufe der letzten 40 Jahre halbiert hat, schaut er nicht pessimistisch in die Zukunft. "Es kommt nicht auf die Quantität, sondern auf die Intensität des Gemeindelebens an", betont Hitzbleck. "Die Menschen, die sich heute zur Kirche bekennen, sind in der Regel auch engagiert", freut sich der scheidende Superintendent. Das sieht in der Flüchtlingshilfe ebenso, wie beim Besuchsdienst oder bei den 15 evangelischen Laien, die sich in einer zweijährigen theologischen Qualifikation zu Predikanten haben ausbilden lassen oder auch an den vielen Helfern, die bei der Durchführung des gemeindeübergreifenden Pfingstfestes "Begeistert" mit anfassen.

Positiv stimmt ihn, die in den vergangenen Jahren spürbar gestiegen Bereitschaft, auch über Gemeindegrenzen hinweg zusammen zu arbeiten und, unterstützt durch eine gute Öffentlichkeitsarbeit, für die gemeinsamen Angebote in allen Lebenslagen zu werben. Glücklich ist Hitzbleck darüber, dass es dem Kirchenkreis gelungen ist, mit Bernd Walter, einen neuen Jugendreferenten zu gewinnen, der am 1. April sein Amt antreten wird. Auch im Bereich der Ökumene sieht Hitzbleck, etwa mit Blick auf gemeinsame Gottesdienste, ein gemeinsames Kirchenhügelfest oder das ökumenische Friedensgebet gute und ausbaufähige Ansätze.

Zur Person


Helmut Hitzbleck wurde 1952 in Saarn geboren und durch den dortigen Pfarrer Ewald Luhr inspiriert, selbst Theologie zu studieren. Nach seinem Studium in Wuppertal, Marburg und Bonn, dem sich ein zweijähriges Vikariat anschloss, trat er 1980 in Duisburg-Walsum seine erste Pfarrstelle an. Von dort aus wechselte er 1981 als Nachfolger von Herbert Münker in die damalige Altstadtgemeinde nach Mülheim, wo er 2004 als Nachfolger von Frank Kastrup zum Superintendenten gewählt wurde. Helmut Hitzbleck ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im Ruhestand möchte er sich seiner Familie und dem Wandern, aber auch dem Studium der Kunstgeschichte und der Archäologie widmen.


Dieser Text erschien am 16. Februar 2017 in der Mülheimer Woche

Samstag, 11. März 2017

Freie Fahrt für freie Bürger: Ein Zeitsprung an der Leineweberstraße

Die Leineweberstraße anno 1955 znd anno 2017

Heute zeigt und Alfons Oberdiek ein Foto vom 8. Dezember 1955. Wir sehen den damaligen Oberbürgermeister Heinrich Thöne, den damaligen Stadtdirektor Bernhard Witthaus und den damaligen Baudezernenten Paul Essers bei der Freigabe der neuen Leineweberstraße.

Die Leineweberstraße, deren Name bereits im Urkataster von 1821 verzeichnet ist, gehörte während des Zweiten Weltkrieges zu den Mülheimer Straßen mit den meisten Bombentreffern. Paul Essers, nach dem heute eine Straße benannt ist, und seine Mitstreiter im Wiederaufbau der Innenstadt machten aus der Not eine Tugend.

Bereits 1949 hatte der Rat Essers Generalplan zur Neuordnung der Innenstadt beschlossen. Im Zuge seiner Realisierung bekam die Leineweberstraße als 28 Meter lange und vierspurige Ost-West-Achse einen völlig neuen Verlauf. Die neue Leineweberstraße, die zu beiden Seiten mit einem 4,25 Meter breiten Bürgersteig begrenzt wurde und in deren Mitte ein doppeltes Straßenbahngleis verlief, entlastete die parallel verlaufende Schloßstraße vom Durchgangsverkehr der damaligen Bundesstraße 60.

Dort, wo Heinrich Thöne vor 62 Jahren den Straßenverkehr freigab schauen wir heute, links auf das Quartier der Schülerhilfe, in der Mitte auf die Ausläufer der Schloßbrücke und rechts auf das Tengelmann-Haus, in dem heute eine E-Commerce-Gesellschaft ihre Büros hat sowie auf Teile des neuen Ruhrquartiers. Dort wo in den letzten zehn Jahren exklusive Wohnungen mit Ruhrblick entstanden sind, gingen die Mülheimer zwischen 1912 und 1998 im mit Thyssen-Geldern gebauten Stadtbad schwimmen.

Dieser Text erschien am 6. März 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung.

Freitag, 10. März 2017

Tage, wie Kamillentee

Ein schöner Tag. Komm, Welt lass dich umarmen. Mit dieser Liedzeile und einer attraktiven Frau, die mindestens so geschmackvoll aussieht wie das Bier, das sie in der Hand hält, wirbt ein großer Bierhersteller für seinen Gerstensaft.

Der Appell an das Unterbewusstsein ist eindeutig. Nach einem gelungenen Tag belohnt man sich mit einem leckeren Bier, und wenn man Glück hat, kann man es vielleicht auch mit einer Frau genießen. Was mich beim Betrachten dieser Werbung stutzig macht, ist die Tatsache, dass die junge Frau, die den Gerstensaft in vollen Zügen genießt, auch nicht den leichtesten Ansatz eines Bierbauches hat. Wahrscheinlich geht es der Frau wie mir. Tage, an denen man die Welt umarmen und darauf ein Bier trinken möchte, haben eher Seltenheitswert.

Tage, an denen man sich von der Welt in den Hintern getreten fühlt, weil man sich die Hacken abläuft und trotzdem immer die rote Laterne in der Hand hat, weil einem der Bus vor der Nase wegfährt und man zu spät zu einem Termin kommt oder ein Termin platzt oder der Fahrkartenkontrolleur der Mülheimer Verkehrsgesellschaft ausgerechnet kommt, wenn man seine Monatsfahrkarte zu Hause vergessen hat, kommen leider öfter vor als einem lieb sein kann. Da hilft dann wohl nur: Tee trinken und abwarten, bis wieder ein neuer Tag und mit ihm eine Chance auf einen Glücksmoment kommt, auf den man dann, mit welchem Getränk auch immer, anstoßen kann. 


Dieser Text erschien am 10. März 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Donnerstag, 9. März 2017

Eine sichere Bank für alle Bürger: Vor 175 Jahren eröffneten Bürgermeister Christian Weuste und Armensekretär Bernhard Dupindie Stadtsparkasse, die sich seitdem um das kleine und große Geld der Mülheimer kümmert

Sparkasse und Synagoge als Nachbarn am Viktoriaplatz
Dieses Bild bot sich den Mülheimer von 1909 bis 1938
(Archivfoto der Sparkasse Mülheim)

Würde der erste Vorsteher der Sparkasse, Bernhard Dupin, heute die Sparkasse am Berliner Platz besuchen, wäre er sicher verwirrt ob der prachtvollen Kundenhalle. Auch mit den Geldautomaten und Selbstbedienungsterminals wüsste der gute Mann nichts anzufangen. Sicher wäre einer der aktuell gut 500 Sparkassen-Mitarbeiter schnell zu Stelle, um ihm zu helfen. Dupin, seiner Zeit auch Armensekretär der Stadt, war vor 175 Jahren der erste und zunächst auch einzige Mitarbeiter der Stadtsparkasse. Als Geschäftsstelle diente ihm seine eigene Wohnung am Hingberg und ab 1858 an der Eppinghofer Straße.

Dass der damalige Bürgermeister Christian Weuste als Vorsteher der im Februar 1842 eröffneten Stadtsparkasse ausgerechnet seinen Armensekretär mit den Bankgeschäften der Stadtsparkasse beauftragte, hatte seinen Grund. Weuste wollte vor allem Mülheimer mit kleinem Geldbeutel dazu anregen, ihr Erspartes bei der Stadtsparkasse auf die hohe Kante zu legen, um sich damit einen Notgroschen zu schaffen.

Doch von Beginn an war die Stadtsparkasse, die bis 1958 als städtisches Amt geführt werden sollte, nicht nur die Bank des kleinen Mannes. Arbeiter und Handwerker gehörten ebenso zu den ersten Kunden der Bank wie der Unternehmer und Kreditnehmer Matthias Stinnes, der sich finanziell unter anderem am Bau der Kettenbrücke (1844) beteiligte. Das Prinzip Bürger-Bank zieht sich wie ein roter Faden durch die wechselvolle Geschichte der 175 Sparkassenjahre. Das Kundenspektrum reicht vom Arbeitslosengeld-II-Bezieher bis zum Unternehmer. Überschüsse der Sparkasse, die seit 1995 auf den Namenszusatz Stadt verzichtet, fließen ins Stadtsäckel oder ins Stammkapital der 1999 gegründeten Sparkassenstiftung, die seitdem mehr als 70?kommunale Projekte mit insgesamt fast einer Million Euro unterstützt hat. Die Bandbreite reicht vom Schülerwettbewerb über Umwelt- und Sportprojekte bis hin zur Wohnumfeldverbesserung.

Wer heute die stadtweit zwölf Filialen der Sparkasse besucht, mag kaum glauben, dass es bis ins Jahr 1898 dauerte, ehe die Stadtsparkasse im vormaligen Postamt an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße ihre erste Geschäftsstelle bekam. Dass Mülheim anno 1908 zur Großstadt mit über 100.000 Einwohnern wurde, die wirtschaftlich florierte, zeigte sich auch 1909 mit dem Sparkassen-Neubau am damaligen Viktoriaplatz. Über dem Portal der damals neuen Sparkasse wurde eine Skulptur installiert, die wir heute vor der Filiale an der unteren Aktienstraße stehen sehen, Kinder, die mit einem Geldbeutel auf einem Sparschwein reiten. Wo seit 2009 im Medienhaus am heutigen Synagogenplatz gelesen, gesehen und gehört wird, gingen, bis zum Neubau der heutigen Hauptgeschäftsstelle (1989) Sparer, Anleger und Kreditnehmer ein und aus.

In den 175 Sparkassenjahren spiegeln sich auch 175 Jahre Stadtgeschichte. Auch in Mülheim mussten die Sparer während der Hyperinflation Mitte der 1920er Jahre die Entwertung ihres Ersparten miterleben. Heute erleiden sie durch eine Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank die schleichende Entwertung ihrer Guthaben. Im Oktober 1938 war es die Stadtparkasse, die im Namen der Stadt die benachbarte Synagoge zu einem Spottpreis erwarb. Einen Monat später ging das 1907 errichtete Jüdische Gotteshaus am damaligen Viktoriaplatz in den Flammen der von den Nazis entfachten Reichspogromnacht auf. Doch auch die Stadtsparkasse am Viktoriaplatz blieb vom Krieg nicht verschont und musste aufgrund von Bombenschäden in den ersten Nachkriegsjahren bei der Stadtkasse im Rathaus und bei der Deutschen Bank an der Wallstraße Unterschlupf finden.

Mit der D-Mark kam am 20. Juni 1948 auch in Mülheim die Währungsreform und mit ihr langsam, aber sicher auch der Wohlstand zurück. Ihr Geld investierte die Sparkasse in den 50er, 60er und 70er Jahren unter anderem in den Auf- und Ausbau ihrer Stadtteilfilialen, die eine neue Nähe zu den jetzt wieder zahlungskräftigen Kunden schuf.

In den 60er und 70er Jahren zogen auch in der Sparkasse die Kollegen Computer ein. Kaum zu glauben, dass das erste Rechenzentrum der Sparkasse weniger Speicherplatz als ein heute handelsüblicher Computer hatte, von Geldautomaten, SB-Terminals und Online-Banking ganz zu schweigen.


Dieser Text erschien am 18. Februar 2017 in der NRZ und in der WAZ





Mittwoch, 8. März 2017

Treppenhaus statt Fitnessstudio

Drei Damen im Aufzug. „Oh, wie schön“, dachte ich und stieg ein. Doch kaum stand ich mit beiden Beinen in der Aufzugkabine und den Damen gegenüber, gab mir eine Leuchtanzeige an der Steuertafel des Liftes zu verstehen: „Die Traglast des Aufzugs ist überschritten!“ Schreck, lass nach. Ich war vielleicht doch schon zu lange nicht mehr auf meiner Waage.

Ob das Übergewicht im Aufzug nun an den drei Damen oder an mir lag? Das wollte und konnte ich in der Kürze der Zeit nicht ausdiskutieren. Wie dem auch war. Ladies first. Der Gentleman trat zurück und nahm die Treppe.

Auch die längste Reise (zum Idealgewicht) beginnt mit dem ersten Schritt. Treppauf. Treppab. Das macht jedes Fitnessstudio überflüssig.

Und auch die Schokoladen-Osterhasen, die mich an der nächsten Straßenecke aus einem Schaufenster anstrahlten, müssen warten, bis ich die letzten Christstollen und Dominosteine abgestrampelt habe und mir, nicht nur in der Chocolaterie, die süßen Momente des Lebens wieder gönnen und mich irgendwann auch mit der Badehose und oben ohne im Schwimmbad wieder sehen lassen kann.


Dieser Text erschien am 6. März 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 5. März 2017

Der Computerflüsterer: Wenn an der Styrumer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Computerbildschirme schwarz bleiben oder Notebooks und Videobeamer nicht anspringen, ist das ein Fall für den Medienwart Martin Buchholz

Martin Buchholz an seinem Arbeitsplatz in der
Fachhochschule für öffentliche Verwaltung 
Martin Buchholz ist ein ruhiger und freundlicher Mensch. Ruhe und Gelassenheit braucht er auch in seinem Beruf. Denn wenn bei ihm das Telefon klingelt oder jemand im Büro steht, ist Alarmstimmung angesagt. Denn der 36-jährige Medienwart der in Styrum ansässigen Fachhochschule für öffentliche Verwaltung ist für die Lehrenden, Studierenden und Verwaltungsmitarbeiter der im August 2016 eröffneten Hochschule so etwas wie ein Feuerwehrmann für die elektronische Datenverarbeitung und die Alarmanlage. Die Styrumer Fachhochschule, an der rund 850 angehende Polizeibeamte studieren, ist eine Außenstelle der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung (FHÖV), deren Zentrale in Gelsenkirchen sitzt und die daneben landesweit Standorte in Mülheim, Duisburg, Köln, Dortmund, Bielefeld, Hagen und Münster hat. Landesweit studieren an der Fachhochschule insgesamt 8700 Anwärter für die Kommunal- und Landesverwaltung, die Polizei und die Rentenversicherung.

Warum lässt sich ein Computer oder ein Notebook nicht hochfahren? Warum funktioniert ein Videobeamer nicht so, wie er sollte? Ein Fall für IT-System-Elektroniker. Was EDV-Laien zur Verzweiflung bringt, ist für ihn oft eine Sache von zwei oder drei gezielten Handgriffen. Nicht selten steckt hinter dem elektronischen Blackout in einem der 29 Kursräume und drei Hörsäle ein simpler Wackelkontakt. Manchmal muss aber auch ein Kabel, ein Netzteil oder eine Computer-Komponente ausgetauscht oder repariert werden.

Wenn die Lehrenden und Studierenden die Seminarräume verlassen haben, kommt Buchholz mit seinem edv-technisch beladenen Rollwagen vorbei, um Kabel zu verlegen oder die endlich eingetroffnen Lautsprecherkabel für die Videobeamer zu installieren. Alle Kursräume der Hochschule sind mit Notebocks, Videobeamern und Dokumentenkameras ausgestattet, die wiederum in Kabelkanälen stolperfrei miteinander verkabelt sind. Was für den Laien wie Kabelsalat aussieht, hat für Buchholz System.

Ohne Elektronik geht heute an der Hochschule nichts mehr. Darüber wundert sich der ausgebildete Assistent für Betriebsinformatik und IT-Systemelektroniker selbst. „Wenn heute Computer ausfallen, geht nichts mehr und Panik bricht aus. Als Jugendlicher habe ich noch eine Gesamtschule besucht, in der es für die gesamte Oberstufe nur einen Computer gab“, erzählt Buchholz und muss schmunzeln. Auch als der kleine Martin zusammen mit seinem Vater, einem Handwerker, daheim die Modelleisenbahn oder die Waschmaschine reparierte, war von Notebooks und Internet noch keine Rede.
Immerhin ist Buchholz als Medienwart auch im digitalen Zeitalter nicht nur für Computer, Notebooks und Videobeamer, sondern auch für so klassische Medien, wie Clipchart- und Kopierpapier oder White-Board-Marker und ihre Beschaffung zuständig.
Und auch wenn auf seinem Schreibtisch neben einem PC zwei Notebooks stehen, verschafft sich der IT-Systemfachmann auch mit Hilfe eines großen weißen Wandbrettes, vollgespickt mit Beschaffungs,- Inventar,- und Standortlisten, einen Überblick darüber, was edv-technisch auf dem Styrumer Campus wo steht und was wo gebraucht wird.

Neben seiner täglichen Feuerwehrarbeit als Doktor honoris Computerensis „Können Sie mir helfen? Mein Bildschirm ist schwarz!“ kümmert er sich zusammen mit dem Verwaltungsleiter der Hochschule, Joachim Schwering, auch um die Pflege der Internetseite und die regelmäßige Aktualisierung, der auf dem Campus hängenden Infobildschirme. „Welche Veranstaltungen stehen auf dem Programm? Wann hat die Bibliothek geöffnet? Und was gibt es in der Mensa zu essen?“
Lehrende wissen vor allem dann seinen Rat zu schätzen, wenn sie Lehrinhalte auf die E-Learning-Plattform der Fachhochschule stellen wollen.

Die Arbeit an der Hochschule macht Buchholz Freude, „weil man es hier mit Menschen zu tun hat, die aufgeschlossen, zielstrebig und ehrgeizig sind“. Eigentlich fühlt sich Buchholz heute als der richtige Mann an der richtigen Arbeitsstelle, „weil hier im Kollegenkreis die menschliche Chemie stimmt und ich in meinem Zuständigkeitsbereich selbstständig arbeiten kann“. Auf der anderen Seite bringt die zeitliche Befristung seiner Stelle, die er im August letzten Jahres angetreten hat, für den Vater einer vierjährigen Tochter und eines achtjährigen Sohnes Zukunftsängste mit sich, die angesichts einer Befristung auf zunächst maximal 24 Monate nicht vom Tisch zu wischen sind.

Für Buchholz, der in seinem ersten Berufsleben, viereinhalb Jahre als Filialleiter für eine An- und Verkaufs-Kette gearbeitet hat, ist der mit einer Befristung verbundene Existenzdruck nicht neu. Auch nach seiner erfolgreichen IT-Ausbildung an der Universität Duisburg-Essen bekam er im dortigen PC-Service nur eine befristete Stelle, von der er dann im vergangenen August an den neuen Hochschulstandort in Mülheim wechseln konnte, wo er, wie in Duisburg und Essen, das gute Gefühl hat, dass seine fachlich qualifizierte Arbeit gebraucht und geschätzt wird.
Gebraucht und geschätzt und gefragt ist der IT-Fachmann aber auch, wenn er nach 16 Uhr den Campus zwischen der Neustadt- und der Dümptener Straße verlässt, um daheim mit seinen Kindern Jonas und Maite zu spielen. Dann wird aus dem IT-System-Elektroniker der Vater, der Spielplätze und Zoos besucht, puzzelt oder mit Legosteinen baut und mit seiner Lebenspartnerin, die als Krankenschwester in der Nachtschicht eines Krankenhauses arbeitet, das gemeinsame Abendbrot vorbereitet, um das System Familie bei Kräften zu halten.

Dieser Text erschien am 4. März 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

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