Mittwoch, 14. Juni 2017

Zu reif für die Marktwirtschaft

Oma und Opa wundern sich. Ihr Enkel steht plötzlich vor ihnen. Sie freuen sich darüber. Doch, dass der Junge in zerrissenen Jeans vor ihnen steht, macht ihnen Sorgen. Haben Tochter und Schwiegersohn ihre Arbeit verloren und können dem armen Jungen keine neue Hose kaufen? Oma und Opa ist es nicht fremd, eine Hose oder ein Hemd zu tragen, das schon mal bessere Tage gesehen hat. Das war im und nach dem 2. Weltkrieg. Da waren sie so alt wie ihr Enkel heute. Und sie waren froh, wenn sie mit heiler Haut den nächsten Tag erlebten und dabei  etwas am Leibe trugen und mehr  im Leibe hatten, als einen knurrenden Magen. Der Enkel beruhigt seine Großeltern. „Das trägt man heute so. Das ist modisch voll im Trend.“ Oma und Opa verstehen die Welt nicht mehr.

Dass Menschen freiwillig viel Geld für zerrissene Hosen bezahlen, will ihnen nicht den Kopf. Sie sind als Menschen, die Not nicht nur aus dem Fernsehen kennen, zu reif, um unsere Marktwirtschaft zu begreifen, die davon lebt, Menschen Dinge zu verkaufen, die sie nicht brauchen. Doch sie ahnen mit Blick auf so manche Mode, die sich auch jenseits der textilen Mode breit macht, dass man heute nicht ganz dicht sein muss, um Erfolg zu haben. Hauptsache, man verkauft sich gut und findet Menschen, die sich für dumm verkaufen lassen.

Dieser Text erschien am 12. Juni 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

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