Montag, 9. April 2018

Ein Mülheimer Rückblick auf das Drei-Kaiser-Jahr 1888

Einen interessanten Einblick in das Mülheim des Drei-Kaiser-Jahres 1888 gewährte Stadtarchivar Kai Rawe zum Auftakt der neuen Reihe zur Mülheimer Geschichte. Er konfrontierte seine Zuhörer im Haus der Stadtgeschichte mit einem Personenkult rund um die drei deutschen Kaiser Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II., die 1888 einander auf den Hohenzollernthron folgten, der für heutige Gemüter unvorstellbar anmutet. So begrüßte die Mülheimer Zeitung den neuen Kaiser Wilhelm II., der „Deutschland herrlichen Zeiten entgegenführen wollte“, mit einem Huldigungsgedicht auf ihrer Titelseite. Kaum nachvollziehbar ist auch, dass nach dem Tode der Kaiser Wilhelm I. und Friedrich III. alle Geschäfte schlossen, die Straßenlaternen mit Trauerflor dekoriert wurden und ein 14-tägigiges Trauergeläut, jeweils zwischen 12 und 13 Uhr, angeordnet wurde.

1888, das damalige Adressbuch zeigte es, gab es im etwas mehr als 25.000 Einwohner zählenden Mülheim, erstaunlicherweise 80 Bäcker, 19 Fischhändler, 14 Gastwirte, 10 Ärzte, 11 Hebammen und 22 Friseure. Den Mülheimer Schülern, die vor 130 Jahren ein Gymnasium, eine höhere Töchterschule, 14 Volksschulen und eine Handwerkerschule besuchten, bescherte der dreimalige Thronwechsel drei zusätzliche schulfreie Tage. Mit einem Foto des sehr überschaubaren Abiturjahrgangs 1888 zeigte Rawe, dass höhere Schulbildung im Kaiserreich eine sehr elitäre und teure Angelegenheit war. Immerhin konnten die Volksschulen ab 1888 schulgeldfrei besucht werden. Außerdem wurde im Rathaus die erste öffentliche Stadtbibliothek eingerichtet. Darüber hinaus konnten die Bürger erstmals mit einer Dampf-Straßenbahn von Broich nach Duisburg fahren.

Eine nur wenigen reichen Bürgern vorbehaltene Errungenschaft blieb jedoch vorerst das neue Telefon. 1888 gab es in Mülheim gerade mal 56 Telefonanschlüsse. Die durchschnittliche Telefonrechnung pro Haushalt und Jahr lag 1888 bei 206 Mark. Zum Vergleich: Der Tageslohn eines Arbeiters betrug damals 3,20 Mark. Kein Anschluss unter dieser Nummer also, zumindest für Normalverdiener.

Und ein Blick in Etat des Jahres 1888 zeigte: Auch die guten alten Zeiten waren finanzpolitisch gar nicht so gut, weil die Stadt, die damals vor allem in Schul- und Straßenbau investierte, hatte sie bei einem Etat von 500.000 Mark einen Schuldenberg von 2,2 Millionen Mark angehäuft. 



Dieser Beitrag erschien am 20. März 2018 in NRZ & WAZ 

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